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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band.

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einen andern politischen Gesichtspunkt gewonnen; und von hier aus erkennt
er in der katholischen Kirche die einzige Bändigung der Revolution. So
dachte bald die Mehrzahl der deutschen Staatslenker, und man brachte Kotzebue
ein Todtenopfer, indem man die Vernunft in Banden schlug.

Der praktische Gesichtspunkt war für die Feinde des Rationalismus das
Entscheidende, und damit trafen sie den Kern der Sache, denn in der That
bezieht sich dieses Glaubenssystem weniger auf die theoretische als aus die
Praktische Vernunft, und seine Untersuchungen über die menschlichen Pflichten
sind ungleich bedeutender als seine Methaphysik.

Fast allen Religionen liegt die uralte Vorstellung zu Grunde, der Zorn
der Götter könne nur durch Opfer abgewandt werden. Am härtesten, wenn
auch nur symbolisch, war diese Lehre im Christenthum ausgesprochen: der
Mensch, ursprünglich nach Gottes Bild geschaffen, war durch eine geheimniß-
volle Schuld entartet, und nur das ungeheuerste Opfer, das Opfer seines ein-
gebomen Sohnes, der gewissermaßen als Repräsentant der ganzen Mensch¬
heit auftrat, konnte Gott versöhnen. Inwiefern nun diese stellvertretende
Buße den einzelnen Menschen zu Gute kam, darüber war die Kirche seit den
ältesten Zeiten getheilter Meinung, doch überwog in der Periode/ die der Re¬
formation vorherging, die Ansicht, daß man sich der göttlichen Begnadigung,
im Sacrament bestätigt, hauptsächlich durch gute Werke d. h. durch Opfer, im
Gehorsam gegen die unmittelbaren Diener Gottes gebracht, würdig machen
könne. Bei seiner entschiedenen Auflehnung gegen diese Diener Gottes ver¬
warf Luther diese Rechtfertigung durch gute Werke, und stellte statt dessen die
Rechtfertigung durch den Glauben fest. Diese Theorie spaltete sich im folgen¬
den Jahrhundert in zwei verschiedene Richtungen: die eigentliche Orthodoxie
suchte den Glauben in der unbedingten Annahme aller Punkte des Katechis¬
mus; dagegen verlangten die Pietisten eine inbrünstige Vertiefung in das
Leben Jesu, eine völlige Zerknirschung des Willens und das reuige Ersülltsein
Mit dem Bewußtsein der allgemeinen Sünde. Darin kamen sie überein, daß
seit dem Sündenfall der Mensch von Natur böse sei.

Gegen diese Ansicht wandte sich das Bewußtsein der Gebildeten, die na¬
mentlich seitdem Rousseau ihnen Muth gemacht, von der Ueberzeugung aus¬
lugen, daß Gott sich in der Natur offenbare, daß in der Natur alles gut sei,
s^glich auch der Mensch, so weit er der Natur folge. Wo denn doch das Böse
herkäme, darüber dachten sie entweder nicht nach, oder sie leugneten die Exi-
stenz des absolut Bösen überhaupt und ließen nur ein relativ Böses d. h. un¬
artiges, unvollkommnes gelten, welches sich im natürlichen Verlauf schon von
selbst corrigiren werde. Diese Lehre, die man wol als das eigentliche Kenn¬
zeichen des sogenannten Pantheismus auffassen kann, wurde in Deutschland
^u Dichtern und Philosophen wetteifernd verkündet, von niemand beredter


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einen andern politischen Gesichtspunkt gewonnen; und von hier aus erkennt
er in der katholischen Kirche die einzige Bändigung der Revolution. So
dachte bald die Mehrzahl der deutschen Staatslenker, und man brachte Kotzebue
ein Todtenopfer, indem man die Vernunft in Banden schlug.

Der praktische Gesichtspunkt war für die Feinde des Rationalismus das
Entscheidende, und damit trafen sie den Kern der Sache, denn in der That
bezieht sich dieses Glaubenssystem weniger auf die theoretische als aus die
Praktische Vernunft, und seine Untersuchungen über die menschlichen Pflichten
sind ungleich bedeutender als seine Methaphysik.

Fast allen Religionen liegt die uralte Vorstellung zu Grunde, der Zorn
der Götter könne nur durch Opfer abgewandt werden. Am härtesten, wenn
auch nur symbolisch, war diese Lehre im Christenthum ausgesprochen: der
Mensch, ursprünglich nach Gottes Bild geschaffen, war durch eine geheimniß-
volle Schuld entartet, und nur das ungeheuerste Opfer, das Opfer seines ein-
gebomen Sohnes, der gewissermaßen als Repräsentant der ganzen Mensch¬
heit auftrat, konnte Gott versöhnen. Inwiefern nun diese stellvertretende
Buße den einzelnen Menschen zu Gute kam, darüber war die Kirche seit den
ältesten Zeiten getheilter Meinung, doch überwog in der Periode/ die der Re¬
formation vorherging, die Ansicht, daß man sich der göttlichen Begnadigung,
im Sacrament bestätigt, hauptsächlich durch gute Werke d. h. durch Opfer, im
Gehorsam gegen die unmittelbaren Diener Gottes gebracht, würdig machen
könne. Bei seiner entschiedenen Auflehnung gegen diese Diener Gottes ver¬
warf Luther diese Rechtfertigung durch gute Werke, und stellte statt dessen die
Rechtfertigung durch den Glauben fest. Diese Theorie spaltete sich im folgen¬
den Jahrhundert in zwei verschiedene Richtungen: die eigentliche Orthodoxie
suchte den Glauben in der unbedingten Annahme aller Punkte des Katechis¬
mus; dagegen verlangten die Pietisten eine inbrünstige Vertiefung in das
Leben Jesu, eine völlige Zerknirschung des Willens und das reuige Ersülltsein
Mit dem Bewußtsein der allgemeinen Sünde. Darin kamen sie überein, daß
seit dem Sündenfall der Mensch von Natur böse sei.

Gegen diese Ansicht wandte sich das Bewußtsein der Gebildeten, die na¬
mentlich seitdem Rousseau ihnen Muth gemacht, von der Ueberzeugung aus¬
lugen, daß Gott sich in der Natur offenbare, daß in der Natur alles gut sei,
s^glich auch der Mensch, so weit er der Natur folge. Wo denn doch das Böse
herkäme, darüber dachten sie entweder nicht nach, oder sie leugneten die Exi-
stenz des absolut Bösen überhaupt und ließen nur ein relativ Böses d. h. un¬
artiges, unvollkommnes gelten, welches sich im natürlichen Verlauf schon von
selbst corrigiren werde. Diese Lehre, die man wol als das eigentliche Kenn¬
zeichen des sogenannten Pantheismus auffassen kann, wurde in Deutschland
^u Dichtern und Philosophen wetteifernd verkündet, von niemand beredter


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_108129/143>, abgerufen am 14.06.2024.