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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band.

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als von Goethe und Herder. Nach dieser Lehre war die Sehnsucht nach dem
Göttlichen nicht der Ausdruck einer innern Entzweiung, sondern das freudige
Erwarten eines letzten Schmucks, der zum ganzen Leben sich schicke.

Im harten Gegensatz gegen diese optimistische Ansicht begann der Philo¬
soph von Königsberg seine "Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Ver¬
nunft" mit der Auseinandersetzung, daß dem Menschen ein radicales Böse bei'
wohne, und daß eben dies Gefühl ihn zu Gott treibe, daß er aber zugleich
durch das Gefühl des Erhabenen die Fähigkeit besitze, sich einen Gott, d. h>
ein Ideal zu schaffen, und daß dieser ewige Kampf zwischen dem Ideal des
Guten gegen die Existenz des Bösen, den Inhalt sowol der Geschichte als der
echten Religion ausmache. Die Rechtfertigung des Menschen geschehe durch
die unbedingte Unterwerfung seines Willens unter das Sittengesetz, das er
aber aus seinem eignen Innern schöpfe. Das'pflichtmäßige Handeln an sich
genüge noch nicht, wenn nicht das wahre Motiv, die pflichtmäßige Gesinnung,
hinzukäme, und die letztere sei nur da, wo sie sich im Handeln zeige. In der
Religion wie in der Philosophie habe der Mensch nichts Andres zu suchen,
als die Läuterung und Erhebung seines Gemüths zur Kraft der pflichtmäßigen
Gesinnung. Diese Lehre Kants wurde im Wesentlichen das Grundprincip
des Nationalismus.

Wenn Kant in der Annahme eines radicalen Bösen mit der Orthodoxie über¬
einstimmte, so war seine Ansicht von der Rechtfertigung der ihrigen entgegengesetzt-
Den Wortglaubcn stellte er nicht nur als etwas Gleichgiltiges, sondern als
etwas Schädliches dar, so weit er nicht zur sittlichen Gesinnung führte; nickt
die Gnade Gottes rief er an, sondern seine Gerechtigkeit, nicht aus der Schrift
leitete er den Inhalt des Rechts her, sondern aus dem Gewissen, und ließ die
Schrift nur gelten, insofern sie mit dem Gewissen übereinstimmte. -- Noch
lebhafter bekämpfte er den Pietismus. Das Festhalten der Reue und Zer'
knirschung erschien ihm als etwas Schädliches und Verächtliches, und er ließ
das Gefühl der Reue nur als ein Uebergangsmoment gelten, in welchem si^
der Wille entschließt, sich unbedingt dem Gesetz zu unterwerfen. Ueber die
Versöhnung Gottes durch Stellvertretung vollends sprach er sich nur mit
kein Achselzucken aus.

Dabei darf man aber nicht übersehn, daß sein System dem herrschenden
Pantheismus, dem Glauben an die unbedingte Güte der Natur, ebenso ent¬
gegengesetzt war. Seine Anforderungen an den Willen waren ebenso streng
als die des Christenthums, und nicht blos Goethe und Herder sprachen sich zuweilen
sehr bitter darüber aus, sondern auch Jakobi, der zwar den Glauben an die all¬
gemeine Güte der menschlichen Natur nicht gelten ließ, wol aber für sa)
Seelen eine Ausnahmestellung in Anspruch nahm und sie von dem Joch des
setzes befreien wollte. Schiller, den die Kraft dieses strengen Gesetzes sehr anzog'


als von Goethe und Herder. Nach dieser Lehre war die Sehnsucht nach dem
Göttlichen nicht der Ausdruck einer innern Entzweiung, sondern das freudige
Erwarten eines letzten Schmucks, der zum ganzen Leben sich schicke.

Im harten Gegensatz gegen diese optimistische Ansicht begann der Philo¬
soph von Königsberg seine „Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Ver¬
nunft" mit der Auseinandersetzung, daß dem Menschen ein radicales Böse bei'
wohne, und daß eben dies Gefühl ihn zu Gott treibe, daß er aber zugleich
durch das Gefühl des Erhabenen die Fähigkeit besitze, sich einen Gott, d. h>
ein Ideal zu schaffen, und daß dieser ewige Kampf zwischen dem Ideal des
Guten gegen die Existenz des Bösen, den Inhalt sowol der Geschichte als der
echten Religion ausmache. Die Rechtfertigung des Menschen geschehe durch
die unbedingte Unterwerfung seines Willens unter das Sittengesetz, das er
aber aus seinem eignen Innern schöpfe. Das'pflichtmäßige Handeln an sich
genüge noch nicht, wenn nicht das wahre Motiv, die pflichtmäßige Gesinnung,
hinzukäme, und die letztere sei nur da, wo sie sich im Handeln zeige. In der
Religion wie in der Philosophie habe der Mensch nichts Andres zu suchen,
als die Läuterung und Erhebung seines Gemüths zur Kraft der pflichtmäßigen
Gesinnung. Diese Lehre Kants wurde im Wesentlichen das Grundprincip
des Nationalismus.

Wenn Kant in der Annahme eines radicalen Bösen mit der Orthodoxie über¬
einstimmte, so war seine Ansicht von der Rechtfertigung der ihrigen entgegengesetzt-
Den Wortglaubcn stellte er nicht nur als etwas Gleichgiltiges, sondern als
etwas Schädliches dar, so weit er nicht zur sittlichen Gesinnung führte; nickt
die Gnade Gottes rief er an, sondern seine Gerechtigkeit, nicht aus der Schrift
leitete er den Inhalt des Rechts her, sondern aus dem Gewissen, und ließ die
Schrift nur gelten, insofern sie mit dem Gewissen übereinstimmte. — Noch
lebhafter bekämpfte er den Pietismus. Das Festhalten der Reue und Zer'
knirschung erschien ihm als etwas Schädliches und Verächtliches, und er ließ
das Gefühl der Reue nur als ein Uebergangsmoment gelten, in welchem si^
der Wille entschließt, sich unbedingt dem Gesetz zu unterwerfen. Ueber die
Versöhnung Gottes durch Stellvertretung vollends sprach er sich nur mit
kein Achselzucken aus.

Dabei darf man aber nicht übersehn, daß sein System dem herrschenden
Pantheismus, dem Glauben an die unbedingte Güte der Natur, ebenso ent¬
gegengesetzt war. Seine Anforderungen an den Willen waren ebenso streng
als die des Christenthums, und nicht blos Goethe und Herder sprachen sich zuweilen
sehr bitter darüber aus, sondern auch Jakobi, der zwar den Glauben an die all¬
gemeine Güte der menschlichen Natur nicht gelten ließ, wol aber für sa)
Seelen eine Ausnahmestellung in Anspruch nahm und sie von dem Joch des
setzes befreien wollte. Schiller, den die Kraft dieses strengen Gesetzes sehr anzog'


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[0144] als von Goethe und Herder. Nach dieser Lehre war die Sehnsucht nach dem Göttlichen nicht der Ausdruck einer innern Entzweiung, sondern das freudige Erwarten eines letzten Schmucks, der zum ganzen Leben sich schicke. Im harten Gegensatz gegen diese optimistische Ansicht begann der Philo¬ soph von Königsberg seine „Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Ver¬ nunft" mit der Auseinandersetzung, daß dem Menschen ein radicales Böse bei' wohne, und daß eben dies Gefühl ihn zu Gott treibe, daß er aber zugleich durch das Gefühl des Erhabenen die Fähigkeit besitze, sich einen Gott, d. h> ein Ideal zu schaffen, und daß dieser ewige Kampf zwischen dem Ideal des Guten gegen die Existenz des Bösen, den Inhalt sowol der Geschichte als der echten Religion ausmache. Die Rechtfertigung des Menschen geschehe durch die unbedingte Unterwerfung seines Willens unter das Sittengesetz, das er aber aus seinem eignen Innern schöpfe. Das'pflichtmäßige Handeln an sich genüge noch nicht, wenn nicht das wahre Motiv, die pflichtmäßige Gesinnung, hinzukäme, und die letztere sei nur da, wo sie sich im Handeln zeige. In der Religion wie in der Philosophie habe der Mensch nichts Andres zu suchen, als die Läuterung und Erhebung seines Gemüths zur Kraft der pflichtmäßigen Gesinnung. Diese Lehre Kants wurde im Wesentlichen das Grundprincip des Nationalismus. Wenn Kant in der Annahme eines radicalen Bösen mit der Orthodoxie über¬ einstimmte, so war seine Ansicht von der Rechtfertigung der ihrigen entgegengesetzt- Den Wortglaubcn stellte er nicht nur als etwas Gleichgiltiges, sondern als etwas Schädliches dar, so weit er nicht zur sittlichen Gesinnung führte; nickt die Gnade Gottes rief er an, sondern seine Gerechtigkeit, nicht aus der Schrift leitete er den Inhalt des Rechts her, sondern aus dem Gewissen, und ließ die Schrift nur gelten, insofern sie mit dem Gewissen übereinstimmte. — Noch lebhafter bekämpfte er den Pietismus. Das Festhalten der Reue und Zer' knirschung erschien ihm als etwas Schädliches und Verächtliches, und er ließ das Gefühl der Reue nur als ein Uebergangsmoment gelten, in welchem si^ der Wille entschließt, sich unbedingt dem Gesetz zu unterwerfen. Ueber die Versöhnung Gottes durch Stellvertretung vollends sprach er sich nur mit kein Achselzucken aus. Dabei darf man aber nicht übersehn, daß sein System dem herrschenden Pantheismus, dem Glauben an die unbedingte Güte der Natur, ebenso ent¬ gegengesetzt war. Seine Anforderungen an den Willen waren ebenso streng als die des Christenthums, und nicht blos Goethe und Herder sprachen sich zuweilen sehr bitter darüber aus, sondern auch Jakobi, der zwar den Glauben an die all¬ gemeine Güte der menschlichen Natur nicht gelten ließ, wol aber für sa) Seelen eine Ausnahmestellung in Anspruch nahm und sie von dem Joch des setzes befreien wollte. Schiller, den die Kraft dieses strengen Gesetzes sehr anzog'

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_108129/144>, abgerufen am 14.06.2024.