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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band.

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und der sich im Ganzen für Kant aussprach, milderte doch die Starrheit des
Gesetzes insofern, als er behauptete, dasselbe müsse nach der Wiedergeburt in
Fleisch und Blut übergehn und als Gesetz gar nicht mehr empfunden werden;
erst dann sei die Rechtfertigung der Natur vollzogen.

Noch gegen eine dritte Seite richtete sich Kants Polemik, gegen den Jllu-
nnnatismus, der von einem Zweckbegriff ausging, von dem Reich des Guten,
das auf Erden herzustellen sei: dieser Zweck müsse das herrschende Motiv
des menschlichen Handelns sein. Kant dagegen verwarf sowol die Träumerei
eines zu erwartenden Reichs des Guten, als auch die blos aus dem Zweck
hergeleiteten Maximen, und zeigte ganz richtig, daß es wieder der bekannte
Grundsatz der Jesuiten sei. Es ist eigen, daß derjenige Schüler Kants, der
den Begriff des kategorischen Imperativs auf die Spitze trieb, daß Fichte sich
u> seiner Gesinnung wieder den Illuminaten zuneigte. Freilich ist es schwer,
bei einem Pflichtsystem, welches von allen idealen Zwecken abstrahirt. die
Leerheit und Einförmigkeit zu vermeiden, und so wird auch der strengste und
eifrigste Philosoph dazu getrieben werden, von der Resignation in den uner-
^rschlichen Willen Gottes abzugehn und sich einen Plan der Weltregierung zu
denken, dem der Einzelne, wenn auch mit seinen schwachen Kräften, zu Hilfe
^ kommen habe.

Diese Abstraction von allen idealen Zwecken, diese Resignation in die
lehr Gebote, wie sehr man sie auch erweitern mag, bleibt wol immer die
schwächste Seite im Kantischen Moralsystem und im Rationalismus überhaupt.
^ ist schon bedenklich für das Verständniß der Geschichte, daß alles, oder
W alles, was Großes in derselben geschehen, außerhalb dieses Moralsystems
Welle werden muß, weil in demselben die weltbewegenden Mächte nicht in
Rechnung gezogen werden. In der bloßen Beobachtung des Gesetzes liegt
lvieder der Keim zu einem neuen Pharisäerthum, und während der heroischen
^äst des Einzelnen sehr viel zugemuthet wird, stellt man ihm nichts Andres
'N Aussicht als die Zufriedenheit des Gewissens, d. h. die an sich leere
Übereinstimmung mit sich selbst. Fichte hat allerdings versucht, die Seligkeit
"es wahrhaft Gläubigen, d. h. dessen, der sein Leben an eine Idee setzt, zu
schildern, aber mit dieser Idee ist er nicht blos über den Kantischen Pflichtbegriff
^"ausgetreten, sondern mit sich selbst in Widerspruch gerathen. Wie Segens-
^ich übrigens Kant durch seine Bekämpfung des moralischen Atomismus auf
^u Zeitalter eingewirkt habe, ist vielfach auseinandergesetzt worden, am
^sten von Schiller in seiner Abhandlung über Anmuth und Würde.

^ Am deutlichsten zeigt sich die Einseitigkeit des Systems, wenn man es
seiner Beziehung auf das Gefühlsleben betrachtet; von dieser Seite sind
^ auch die meisten Widersacher erstanden. Historisch genommen kann man
Strenge des Philosophen gegen die Überschreitungen des Gefühlslebens


und der sich im Ganzen für Kant aussprach, milderte doch die Starrheit des
Gesetzes insofern, als er behauptete, dasselbe müsse nach der Wiedergeburt in
Fleisch und Blut übergehn und als Gesetz gar nicht mehr empfunden werden;
erst dann sei die Rechtfertigung der Natur vollzogen.

Noch gegen eine dritte Seite richtete sich Kants Polemik, gegen den Jllu-
nnnatismus, der von einem Zweckbegriff ausging, von dem Reich des Guten,
das auf Erden herzustellen sei: dieser Zweck müsse das herrschende Motiv
des menschlichen Handelns sein. Kant dagegen verwarf sowol die Träumerei
eines zu erwartenden Reichs des Guten, als auch die blos aus dem Zweck
hergeleiteten Maximen, und zeigte ganz richtig, daß es wieder der bekannte
Grundsatz der Jesuiten sei. Es ist eigen, daß derjenige Schüler Kants, der
den Begriff des kategorischen Imperativs auf die Spitze trieb, daß Fichte sich
u> seiner Gesinnung wieder den Illuminaten zuneigte. Freilich ist es schwer,
bei einem Pflichtsystem, welches von allen idealen Zwecken abstrahirt. die
Leerheit und Einförmigkeit zu vermeiden, und so wird auch der strengste und
eifrigste Philosoph dazu getrieben werden, von der Resignation in den uner-
^rschlichen Willen Gottes abzugehn und sich einen Plan der Weltregierung zu
denken, dem der Einzelne, wenn auch mit seinen schwachen Kräften, zu Hilfe
^ kommen habe.

Diese Abstraction von allen idealen Zwecken, diese Resignation in die
lehr Gebote, wie sehr man sie auch erweitern mag, bleibt wol immer die
schwächste Seite im Kantischen Moralsystem und im Rationalismus überhaupt.
^ ist schon bedenklich für das Verständniß der Geschichte, daß alles, oder
W alles, was Großes in derselben geschehen, außerhalb dieses Moralsystems
Welle werden muß, weil in demselben die weltbewegenden Mächte nicht in
Rechnung gezogen werden. In der bloßen Beobachtung des Gesetzes liegt
lvieder der Keim zu einem neuen Pharisäerthum, und während der heroischen
^äst des Einzelnen sehr viel zugemuthet wird, stellt man ihm nichts Andres
'N Aussicht als die Zufriedenheit des Gewissens, d. h. die an sich leere
Übereinstimmung mit sich selbst. Fichte hat allerdings versucht, die Seligkeit
"es wahrhaft Gläubigen, d. h. dessen, der sein Leben an eine Idee setzt, zu
schildern, aber mit dieser Idee ist er nicht blos über den Kantischen Pflichtbegriff
^"ausgetreten, sondern mit sich selbst in Widerspruch gerathen. Wie Segens-
^ich übrigens Kant durch seine Bekämpfung des moralischen Atomismus auf
^u Zeitalter eingewirkt habe, ist vielfach auseinandergesetzt worden, am
^sten von Schiller in seiner Abhandlung über Anmuth und Würde.

^ Am deutlichsten zeigt sich die Einseitigkeit des Systems, wenn man es
seiner Beziehung auf das Gefühlsleben betrachtet; von dieser Seite sind
^ auch die meisten Widersacher erstanden. Historisch genommen kann man
Strenge des Philosophen gegen die Überschreitungen des Gefühlslebens


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_108129/145>, abgerufen am 14.06.2024.