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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band.

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meines eignen Landes gefährdet wurden." So sprach er zu den großen
Staatskörpcrn, er stellte das Heil der französischen Nation über seine Wünsche,
und die gerührte Menge jubelte über den vaterlandsliebenden Kaiser, er gab
vor Europa anscheinend seine Plane auf und beschwichtigte so das eifersüchtige
Mißtrauen der andern Mächte. Die Diplomaten wiegten ihre Häupter und
sprachen, der Kaiser erkennt sein Mißlingen an. er fängt an abwärts zu gehen.
Villafranca ist der Anfang des Endes und was dergleichen feine Dinge mehr
waren. Alle Welt spottete über den Kaiser, nur die Italiener nicht.> Als sie
sich vom ersten Erstaunen, welches der plötzliche Friede hervorrufen mußte, er¬
holt hatten, gingen sie ebenso energisch als ruhig ans Werk, ihre Unabhängig¬
keit zu behaupten und die stipulirte Rückkehr der Fürsten zu verhindern. Die
Proclamation von Mailand sagte ihnen: "die Vorsehung begünstigt bisweilen
die Völker wie die Individuen, indem sie ihnen Gelegenheit gibt plötzlich zu
Wachsen, "herunter der Bedingung, daß sie dieselbe zu benutzen wissen." Die
Italiener haben diese Lehre beherzigt und ihre Geschicke selbst in die Hand
genommen. Nacheinander ist in Florenz. Parma. Modena und Bologna
die Ausschließung der alten Dynastien ausgesprochen und die Vereinigung mit
Sardinien beschlossen, nichts hat die Führer der Bewegung in ihrem ebenso
umsichtigen als energischen Vorgehen aufgehalten. Sie zeigten Europa, daß
sie seit 1L48 gelernt hatten, das große Ziel der nationalen Einigung über alle
provinziellen Sonderinteressen zu setzen, und dies war für Städte wie Flo-
renz. Parma und Modena kein Geringes, die von der Residenz der Fürsten so
sehr abhingen. König Victor Emanuel konnte natürlich nicht unbedingt die ihm
""getragenen Kronen annehmen, aber die Zusage die Sache Mittelitaliens vor
Europa vertreten zu wollen, war doch schon mehr als eine bedingte Annahme
und wurde überall so aufgefaßt, indem die Verschmelzung mit Sardinien durch
Hinwegräumung der legislativen und ökonomischen Schranken überall ange¬
bahnt war. England sprach sich immer offner, wenn auch nicht direct für
^nnexation an Piemont. doch für die Nichtrückkehr der Erzherzöge aus. Frank¬
reich sandte den Fürsten Poniatowsky und Grafen Reiset, anscheinend um die
Italiener zu überreden, daß sie besser thäten sich zu fügen, aber wir kennen diese
^'t doppelter diplomatischer Buchhaltung, welche Napoleon gewöhnlich führt.
Der Moniteur hielt den Italienern ihre Undankbarkeit vor und schalt sie, daß sie
'hr eigenes Wohl nicht erkennen wollten, aber fügte dabei sorgfältig hinzu:
"Die Erzherzöge werden nicht durch fremde Gewalt wieder in ihre Staaten
zurückgeführt werden", und wenn er sie etwas arg gezaust, kam sein offiziöser
Bruder, der Constitutionel und sprach ihnen wieder Muth ein. Man.wiro sich
innern, wie rauh die Schweizer oft während des ncuenburger Streites von
^u französischen Diplomaten und Regierungsblättern angefahren wurdenj,
Ehrenb dieselben Preußen mit großer Schonung behandelten, und das


meines eignen Landes gefährdet wurden." So sprach er zu den großen
Staatskörpcrn, er stellte das Heil der französischen Nation über seine Wünsche,
und die gerührte Menge jubelte über den vaterlandsliebenden Kaiser, er gab
vor Europa anscheinend seine Plane auf und beschwichtigte so das eifersüchtige
Mißtrauen der andern Mächte. Die Diplomaten wiegten ihre Häupter und
sprachen, der Kaiser erkennt sein Mißlingen an. er fängt an abwärts zu gehen.
Villafranca ist der Anfang des Endes und was dergleichen feine Dinge mehr
waren. Alle Welt spottete über den Kaiser, nur die Italiener nicht.> Als sie
sich vom ersten Erstaunen, welches der plötzliche Friede hervorrufen mußte, er¬
holt hatten, gingen sie ebenso energisch als ruhig ans Werk, ihre Unabhängig¬
keit zu behaupten und die stipulirte Rückkehr der Fürsten zu verhindern. Die
Proclamation von Mailand sagte ihnen: „die Vorsehung begünstigt bisweilen
die Völker wie die Individuen, indem sie ihnen Gelegenheit gibt plötzlich zu
Wachsen, «herunter der Bedingung, daß sie dieselbe zu benutzen wissen." Die
Italiener haben diese Lehre beherzigt und ihre Geschicke selbst in die Hand
genommen. Nacheinander ist in Florenz. Parma. Modena und Bologna
die Ausschließung der alten Dynastien ausgesprochen und die Vereinigung mit
Sardinien beschlossen, nichts hat die Führer der Bewegung in ihrem ebenso
umsichtigen als energischen Vorgehen aufgehalten. Sie zeigten Europa, daß
sie seit 1L48 gelernt hatten, das große Ziel der nationalen Einigung über alle
provinziellen Sonderinteressen zu setzen, und dies war für Städte wie Flo-
renz. Parma und Modena kein Geringes, die von der Residenz der Fürsten so
sehr abhingen. König Victor Emanuel konnte natürlich nicht unbedingt die ihm
"»getragenen Kronen annehmen, aber die Zusage die Sache Mittelitaliens vor
Europa vertreten zu wollen, war doch schon mehr als eine bedingte Annahme
und wurde überall so aufgefaßt, indem die Verschmelzung mit Sardinien durch
Hinwegräumung der legislativen und ökonomischen Schranken überall ange¬
bahnt war. England sprach sich immer offner, wenn auch nicht direct für
^nnexation an Piemont. doch für die Nichtrückkehr der Erzherzöge aus. Frank¬
reich sandte den Fürsten Poniatowsky und Grafen Reiset, anscheinend um die
Italiener zu überreden, daß sie besser thäten sich zu fügen, aber wir kennen diese
^'t doppelter diplomatischer Buchhaltung, welche Napoleon gewöhnlich führt.
Der Moniteur hielt den Italienern ihre Undankbarkeit vor und schalt sie, daß sie
'hr eigenes Wohl nicht erkennen wollten, aber fügte dabei sorgfältig hinzu:
»Die Erzherzöge werden nicht durch fremde Gewalt wieder in ihre Staaten
zurückgeführt werden", und wenn er sie etwas arg gezaust, kam sein offiziöser
Bruder, der Constitutionel und sprach ihnen wieder Muth ein. Man.wiro sich
innern, wie rauh die Schweizer oft während des ncuenburger Streites von
^u französischen Diplomaten und Regierungsblättern angefahren wurdenj,
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_108129/155>, abgerufen am 14.06.2024.