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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band.

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eine gleiche Behandlung wie seinen übrigen Unterthanen angedeihen lassen,
dem englischen General Bentink überreichen. Trotz der Empfehlung desselben
that der neue König grade das Gegentheil von dem, was die Waldenser
baten: er erließ noch vor seiner Ankunft in Turin ein Edict, durch welches
alle alte Maßregeln der Intoleranz und Zurücksetzung wieder in volle Kraft
traten. Die Waldenser sollten an katholischen Festtagen nicht arbeiten, sollten
keine Güter außerhalb der Thäler erwerben, die Katholiken sollten in ihrem
Gemeinderath. selbst wenn sie die Minderzahl ausmachten, die Majorität
bilden u. s. w.

Da man so die Waldenser in einen Zustand zurückzuversetzen drohte,
welcher dem Geist des Jahrhunderts Hohn sprach; so sandten sie an den
König eine neue Deputation, weil sie hofften, wenn sie ihn an den wohlwollen¬
den Brief seines Vaters an sie erinnerten, er werde vielleicht doch dessen Ver¬
sprechungen erfüllen. Die Deputation erhielt am 28. Mai 1814 Audienz beim
König. Er nahm sie zwar wohlwollend auf und hatte auch vielleicht wirk¬
lich gütige Gesinnungen, allein der katholische Klerus, weicher die Waldenser
nur noch mehr haßte, da die französische Negierung sie durch Aufhebung von
katholischen Pfarreien u. f. w. begünstigt hatte, und welcher den König ganz
beherrschte, stellte sie diesem als Rebellen dar, die unterdrückt, statt begünstigt
zu werden verdienten. So wurde, wie einer der Deputaten sich ausdrückt,
die Petition zerrissen, und alsbald erfolgte der Befehl, daß die Nationalgüter
von den Waldensern der Negierung zurückgegeben werden sollten. Darauf
ließ man auch die von diesen neuerbaute Kirche zu Se. Jean schließen, und
sie mußten ihren Gottesdienst wieder in der alten verfallenen Kirche zu Chia-
bas halten, welche sich innerhalb der Grenze von Angrogne befand. Der ein¬
zige Gewinn von der Gesandtschaft war für die Waldenser der Erlaß eines
königlichen Patents, durch welches ihnen die bis zum Jahre 1794 genossenen
Vergünstigungen, aber auch mit allen möglichen Beschränkungen von ehemals,
garantirt wurden.

Die Entziehung aller Quellen, aus welchen die Besoldungen ihrer Geist¬
lichen geflossen waren, und die neuen Hindernisse, welche man ihren Religions-
übungen in den Weg legte, veranlaßten die Waldenser zu der Absenkung einer
dritten Deputation. Diese sollte den Gebrauch der Kirche zu Se. Jean, ser¬
ner die Erlaubniß, die Besitzthümer behalten zu dürfen, welche die Waldenser
unter der vorigen Regierung'außerhalb ihrer Grenzen erworben hatten, so wie
eine Schadloshaltung für die Einbuße an Nationalgnt zur Besoldung ihrer
Geistlichen reclamiren. Der König schien nicht abgeneigt zu sein, schob aber
seinen Bescheid hinaus.

Der englische Gesandte versprach, ihr Gesuch zu unterstützen; allein die
alten Feinde erhoben stets ihre gewöhnlichen falschen Anklagen gegen sie, und


eine gleiche Behandlung wie seinen übrigen Unterthanen angedeihen lassen,
dem englischen General Bentink überreichen. Trotz der Empfehlung desselben
that der neue König grade das Gegentheil von dem, was die Waldenser
baten: er erließ noch vor seiner Ankunft in Turin ein Edict, durch welches
alle alte Maßregeln der Intoleranz und Zurücksetzung wieder in volle Kraft
traten. Die Waldenser sollten an katholischen Festtagen nicht arbeiten, sollten
keine Güter außerhalb der Thäler erwerben, die Katholiken sollten in ihrem
Gemeinderath. selbst wenn sie die Minderzahl ausmachten, die Majorität
bilden u. s. w.

Da man so die Waldenser in einen Zustand zurückzuversetzen drohte,
welcher dem Geist des Jahrhunderts Hohn sprach; so sandten sie an den
König eine neue Deputation, weil sie hofften, wenn sie ihn an den wohlwollen¬
den Brief seines Vaters an sie erinnerten, er werde vielleicht doch dessen Ver¬
sprechungen erfüllen. Die Deputation erhielt am 28. Mai 1814 Audienz beim
König. Er nahm sie zwar wohlwollend auf und hatte auch vielleicht wirk¬
lich gütige Gesinnungen, allein der katholische Klerus, weicher die Waldenser
nur noch mehr haßte, da die französische Negierung sie durch Aufhebung von
katholischen Pfarreien u. f. w. begünstigt hatte, und welcher den König ganz
beherrschte, stellte sie diesem als Rebellen dar, die unterdrückt, statt begünstigt
zu werden verdienten. So wurde, wie einer der Deputaten sich ausdrückt,
die Petition zerrissen, und alsbald erfolgte der Befehl, daß die Nationalgüter
von den Waldensern der Negierung zurückgegeben werden sollten. Darauf
ließ man auch die von diesen neuerbaute Kirche zu Se. Jean schließen, und
sie mußten ihren Gottesdienst wieder in der alten verfallenen Kirche zu Chia-
bas halten, welche sich innerhalb der Grenze von Angrogne befand. Der ein¬
zige Gewinn von der Gesandtschaft war für die Waldenser der Erlaß eines
königlichen Patents, durch welches ihnen die bis zum Jahre 1794 genossenen
Vergünstigungen, aber auch mit allen möglichen Beschränkungen von ehemals,
garantirt wurden.

Die Entziehung aller Quellen, aus welchen die Besoldungen ihrer Geist¬
lichen geflossen waren, und die neuen Hindernisse, welche man ihren Religions-
übungen in den Weg legte, veranlaßten die Waldenser zu der Absenkung einer
dritten Deputation. Diese sollte den Gebrauch der Kirche zu Se. Jean, ser¬
ner die Erlaubniß, die Besitzthümer behalten zu dürfen, welche die Waldenser
unter der vorigen Regierung'außerhalb ihrer Grenzen erworben hatten, so wie
eine Schadloshaltung für die Einbuße an Nationalgnt zur Besoldung ihrer
Geistlichen reclamiren. Der König schien nicht abgeneigt zu sein, schob aber
seinen Bescheid hinaus.

Der englische Gesandte versprach, ihr Gesuch zu unterstützen; allein die
alten Feinde erhoben stets ihre gewöhnlichen falschen Anklagen gegen sie, und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_108129/19>, abgerufen am 21.05.2024.