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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band.

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so wurde am 4. Jan. 1315 ein Edict publicirt, durch welches alle frühern
Gesetze wieder in Kraft gesetzt wurden. Vergebens erneuerten die Waldenser
ihre Vorstellungen.

Als Napoleon von Elba zurückgekehrt war und die Könige von neuem
vor ihm zitterten, bemühten sich die Hofschranzen und die römische Priester¬
herrschaft, den König glauben zu machen, die Waldenser würden Napoleon
zufallen und Unruhen erregen, weil sie von ihm so begünstigt worden wären;
nur der edle Graf Brotti nahm sie in Schutz und verbürgte ihre Treue. Und
sie bestätigten durch ihr Verhalten seine Meinung von ihnen. Denn trotzdem
daß ihre Geistlichen nur größtentheils von den freiwilligen Gaben ihrer Pfarr-
kinder leben mußten, weil die englische Unterstützung nur vermindert seit dem
Jahre 1.814 wieder gezahlt wurde, und trotzdem daß Waldenser, welche unter
französischer Herrschaft auch nur den kleinsten Posten eingenommen hatten,
abgesetzt wurden, wankten die wackeren Männer doch nicht in ihrer Treue ge¬
gen den undankbaren König. (Auch Gcymet wurde abgesetzt, obgleich er sich
in seiner dreizehnjährigen Amtsführung selbst die Achtung der Katholiken er¬
worben hatte. Arm, wie er gewesen, schied er aus seinem Amte, und ver¬
waltete fortan bis zu seinem 1822 erfolgten Tode die Stelle eines Lehrers
an der lateinischen Schule mit einem Gehalt von höchstens siebenhundert
Franken.)

Nach dem Befehl der Negierung mußten die Waldenser die Güter wie¬
der herausgeben, welche sie bei der Aushebung der katholischen Pfarreien in
ihren Thälern unter französischer Herrschaft erhalten hatten; allein damit war
der katholische Klerus nicht zufrieden, sondern verlangte auch noch für die
Nutznießung derselben die entsprechende Summe. In der Besprechung über
diesen Gegenstand vor dem Intendanten der Provinz Pignerol, dem oben er¬
wähnten Grafen Frotti, ging es hart her. Endlich trat der jüngste katholische
Geistliche auf und sprach: "Die Waldenser haben nicht nur gesetzmäßig die
Güter innegehabt, da sie dieselben von der damals in Piemont anerkannten
Regierung bekommen hatten, sondern sie haben dieselben auch wohl verwaltet,
wie die uns vorgelegten Rechnungen beweisen und sie uns also in gutem Zu¬
stand erhalten; wir dürfen also nichts mehr von ihnen fordern." Diese frei¬
müthige Erklärung machte dem Streit ein Ende.

Nochmals wendeten sich nun die Waldenser an den König um Hilfe ge¬
gen die Noth chrer Geistlichen, welche Hunger litten; allein die Antwort des
Ministers war keine günstige, und nur nach längeren Bemühungen gelang es
dem englischen Gesandten, den .König für bessere und weisere Maßregeln
zu stimmen. Der König versprach in einem Edict, für den Unterhalt der
Geistlichen der Waldenser sorgen zu wollen, auch sollten sie die außerhalb
ihrer Grenzen erworbenen Besitzungen behalten dürfen; ferner sollten die


so wurde am 4. Jan. 1315 ein Edict publicirt, durch welches alle frühern
Gesetze wieder in Kraft gesetzt wurden. Vergebens erneuerten die Waldenser
ihre Vorstellungen.

Als Napoleon von Elba zurückgekehrt war und die Könige von neuem
vor ihm zitterten, bemühten sich die Hofschranzen und die römische Priester¬
herrschaft, den König glauben zu machen, die Waldenser würden Napoleon
zufallen und Unruhen erregen, weil sie von ihm so begünstigt worden wären;
nur der edle Graf Brotti nahm sie in Schutz und verbürgte ihre Treue. Und
sie bestätigten durch ihr Verhalten seine Meinung von ihnen. Denn trotzdem
daß ihre Geistlichen nur größtentheils von den freiwilligen Gaben ihrer Pfarr-
kinder leben mußten, weil die englische Unterstützung nur vermindert seit dem
Jahre 1.814 wieder gezahlt wurde, und trotzdem daß Waldenser, welche unter
französischer Herrschaft auch nur den kleinsten Posten eingenommen hatten,
abgesetzt wurden, wankten die wackeren Männer doch nicht in ihrer Treue ge¬
gen den undankbaren König. (Auch Gcymet wurde abgesetzt, obgleich er sich
in seiner dreizehnjährigen Amtsführung selbst die Achtung der Katholiken er¬
worben hatte. Arm, wie er gewesen, schied er aus seinem Amte, und ver¬
waltete fortan bis zu seinem 1822 erfolgten Tode die Stelle eines Lehrers
an der lateinischen Schule mit einem Gehalt von höchstens siebenhundert
Franken.)

Nach dem Befehl der Negierung mußten die Waldenser die Güter wie¬
der herausgeben, welche sie bei der Aushebung der katholischen Pfarreien in
ihren Thälern unter französischer Herrschaft erhalten hatten; allein damit war
der katholische Klerus nicht zufrieden, sondern verlangte auch noch für die
Nutznießung derselben die entsprechende Summe. In der Besprechung über
diesen Gegenstand vor dem Intendanten der Provinz Pignerol, dem oben er¬
wähnten Grafen Frotti, ging es hart her. Endlich trat der jüngste katholische
Geistliche auf und sprach: „Die Waldenser haben nicht nur gesetzmäßig die
Güter innegehabt, da sie dieselben von der damals in Piemont anerkannten
Regierung bekommen hatten, sondern sie haben dieselben auch wohl verwaltet,
wie die uns vorgelegten Rechnungen beweisen und sie uns also in gutem Zu¬
stand erhalten; wir dürfen also nichts mehr von ihnen fordern." Diese frei¬
müthige Erklärung machte dem Streit ein Ende.

Nochmals wendeten sich nun die Waldenser an den König um Hilfe ge¬
gen die Noth chrer Geistlichen, welche Hunger litten; allein die Antwort des
Ministers war keine günstige, und nur nach längeren Bemühungen gelang es
dem englischen Gesandten, den .König für bessere und weisere Maßregeln
zu stimmen. Der König versprach in einem Edict, für den Unterhalt der
Geistlichen der Waldenser sorgen zu wollen, auch sollten sie die außerhalb
ihrer Grenzen erworbenen Besitzungen behalten dürfen; ferner sollten die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_108129/20>, abgerufen am 22.05.2024.