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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band.

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entgegnen, daß eine ähnliche Greisenhaftigkeit sich auch in Frankreich finde.
Körperlich ist diese sicher vorhanden; mancher Zahlenmensch würde sogar aus
der Abnahme der Körperlänge und Körperkraft ausrechnen können, dah in so
und so viel Jahrhunderten die Franzosen völlig ausgestorben sein müßten.
Indessen, wenn ihr jugendliches Auftreten in der Politik und im Kriege auch
wirklich nur ein letztes Aufflackern des Greisengeistes ist. solches Aufflackern
dauert, wo es sich um die Geschichte der Menschheit handelt, bisweilen ziem¬
lich lange, und wer steht Ms dafür, daß der keltische Greis in den letzten
Augenblicken, in den gierigen Anstrengungen, sein Leben noch zu erhalten, es
nicht mit germanischem Blute verjüngt und auf Kosten des germanischen Le¬
bens wieder aufersteht! Es wäre dies nicht einmal eine neue Erscheinung.
In den Augen der Franzosen, welche überhaupt von diesen Leuten etwas
wissen (eine nicht sehr zahlreiche Classe), sind Clodwig und Carl der Große
eben auch Franzosen.

Frankreich kann an Landmacht ohne Beschwerde in wenigen Wochen auf¬
stellen 300000 M. Infanterie. 40000 M. Cavallerie. 30000 M. Artillerie, also
un Ganzen 370000 M. und, wenn man den Train, die Stäbe und Stabs
kuppen hinzurechnet in runder Summe 400000 M. Dazu kommen dann im
Le.use von höchstens drei Monaten als feldtüchtige Truppen etwa 100000 M.
vierte Bataillone der Jnfanterieregimentcr und ähnliche Organisationen. End¬
lich kann durch die Einziehung der nächst fälligen Recrutencontingente und
Reorganisation der Nationalgarten im Sinne des neuen Kaiserreichs und auf
den Punkten, wo dieses sie braucht, ein weiteres Materini von mindestens
2V0000 M. binnen einem halben Jahre gewonnen werden.

Bon den 400000 M., welche in erster Linie ausgestellt werden können,
würden 70000 von vornherein für Algier und die übrigen Colonien abzu¬
lehnen sein; für die Festungen, wenn wir fünfzig Plätze in dem heutigen
Frankreich als solche rechnen und auf jeden als Durchschnittsbesatzung nur
^00 M., müßte doch wenigstens das Drittel dieser Mannschaft sogleich von
der Linie abgegeben werden, also 50000 M. Es blieben daher für die erste
Aufstellung im freien Felde 280000 M. übrig. Wenn nun England nicht
Whig bleibt, sondern sich für Preußen betheiligt, so ist eine Küstenbewachung
unerläßlich, und wir rechnen auf diese mindestens 60000 M.. wobei wir dar¬
auf Rücksicht nehmen, daß die Besatzung der Seefestungen und der dem Meere
"unüchst gelegnen Plätze Aushilfe gewähren müsse. Dergestalt blieben sür die
Operationen im freien Felde 220000 M. übrig. Dem verbündeten Preußen
wie seinen deutschen Hilfsländern, England. Holland und Belgien wäre diese
^"ehe nicht ebenbürtig, wie der erste Blick zeigt. Indessen ist anzunehmen,
daß im Lauf der Dinge Frankreich seine Feldarmee beträchtlich, in größerem
^wfange und schneller verstärken könne als die Verbündeten. Nehmen wir


Grenzboten IV. 1859. 40

entgegnen, daß eine ähnliche Greisenhaftigkeit sich auch in Frankreich finde.
Körperlich ist diese sicher vorhanden; mancher Zahlenmensch würde sogar aus
der Abnahme der Körperlänge und Körperkraft ausrechnen können, dah in so
und so viel Jahrhunderten die Franzosen völlig ausgestorben sein müßten.
Indessen, wenn ihr jugendliches Auftreten in der Politik und im Kriege auch
wirklich nur ein letztes Aufflackern des Greisengeistes ist. solches Aufflackern
dauert, wo es sich um die Geschichte der Menschheit handelt, bisweilen ziem¬
lich lange, und wer steht Ms dafür, daß der keltische Greis in den letzten
Augenblicken, in den gierigen Anstrengungen, sein Leben noch zu erhalten, es
nicht mit germanischem Blute verjüngt und auf Kosten des germanischen Le¬
bens wieder aufersteht! Es wäre dies nicht einmal eine neue Erscheinung.
In den Augen der Franzosen, welche überhaupt von diesen Leuten etwas
wissen (eine nicht sehr zahlreiche Classe), sind Clodwig und Carl der Große
eben auch Franzosen.

Frankreich kann an Landmacht ohne Beschwerde in wenigen Wochen auf¬
stellen 300000 M. Infanterie. 40000 M. Cavallerie. 30000 M. Artillerie, also
un Ganzen 370000 M. und, wenn man den Train, die Stäbe und Stabs
kuppen hinzurechnet in runder Summe 400000 M. Dazu kommen dann im
Le.use von höchstens drei Monaten als feldtüchtige Truppen etwa 100000 M.
vierte Bataillone der Jnfanterieregimentcr und ähnliche Organisationen. End¬
lich kann durch die Einziehung der nächst fälligen Recrutencontingente und
Reorganisation der Nationalgarten im Sinne des neuen Kaiserreichs und auf
den Punkten, wo dieses sie braucht, ein weiteres Materini von mindestens
2V0000 M. binnen einem halben Jahre gewonnen werden.

Bon den 400000 M., welche in erster Linie ausgestellt werden können,
würden 70000 von vornherein für Algier und die übrigen Colonien abzu¬
lehnen sein; für die Festungen, wenn wir fünfzig Plätze in dem heutigen
Frankreich als solche rechnen und auf jeden als Durchschnittsbesatzung nur
^00 M., müßte doch wenigstens das Drittel dieser Mannschaft sogleich von
der Linie abgegeben werden, also 50000 M. Es blieben daher für die erste
Aufstellung im freien Felde 280000 M. übrig. Wenn nun England nicht
Whig bleibt, sondern sich für Preußen betheiligt, so ist eine Küstenbewachung
unerläßlich, und wir rechnen auf diese mindestens 60000 M.. wobei wir dar¬
auf Rücksicht nehmen, daß die Besatzung der Seefestungen und der dem Meere
»unüchst gelegnen Plätze Aushilfe gewähren müsse. Dergestalt blieben sür die
Operationen im freien Felde 220000 M. übrig. Dem verbündeten Preußen
wie seinen deutschen Hilfsländern, England. Holland und Belgien wäre diese
^"ehe nicht ebenbürtig, wie der erste Blick zeigt. Indessen ist anzunehmen,
daß im Lauf der Dinge Frankreich seine Feldarmee beträchtlich, in größerem
^wfange und schneller verstärken könne als die Verbündeten. Nehmen wir


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[0325] entgegnen, daß eine ähnliche Greisenhaftigkeit sich auch in Frankreich finde. Körperlich ist diese sicher vorhanden; mancher Zahlenmensch würde sogar aus der Abnahme der Körperlänge und Körperkraft ausrechnen können, dah in so und so viel Jahrhunderten die Franzosen völlig ausgestorben sein müßten. Indessen, wenn ihr jugendliches Auftreten in der Politik und im Kriege auch wirklich nur ein letztes Aufflackern des Greisengeistes ist. solches Aufflackern dauert, wo es sich um die Geschichte der Menschheit handelt, bisweilen ziem¬ lich lange, und wer steht Ms dafür, daß der keltische Greis in den letzten Augenblicken, in den gierigen Anstrengungen, sein Leben noch zu erhalten, es nicht mit germanischem Blute verjüngt und auf Kosten des germanischen Le¬ bens wieder aufersteht! Es wäre dies nicht einmal eine neue Erscheinung. In den Augen der Franzosen, welche überhaupt von diesen Leuten etwas wissen (eine nicht sehr zahlreiche Classe), sind Clodwig und Carl der Große eben auch Franzosen. Frankreich kann an Landmacht ohne Beschwerde in wenigen Wochen auf¬ stellen 300000 M. Infanterie. 40000 M. Cavallerie. 30000 M. Artillerie, also un Ganzen 370000 M. und, wenn man den Train, die Stäbe und Stabs kuppen hinzurechnet in runder Summe 400000 M. Dazu kommen dann im Le.use von höchstens drei Monaten als feldtüchtige Truppen etwa 100000 M. vierte Bataillone der Jnfanterieregimentcr und ähnliche Organisationen. End¬ lich kann durch die Einziehung der nächst fälligen Recrutencontingente und Reorganisation der Nationalgarten im Sinne des neuen Kaiserreichs und auf den Punkten, wo dieses sie braucht, ein weiteres Materini von mindestens 2V0000 M. binnen einem halben Jahre gewonnen werden. Bon den 400000 M., welche in erster Linie ausgestellt werden können, würden 70000 von vornherein für Algier und die übrigen Colonien abzu¬ lehnen sein; für die Festungen, wenn wir fünfzig Plätze in dem heutigen Frankreich als solche rechnen und auf jeden als Durchschnittsbesatzung nur ^00 M., müßte doch wenigstens das Drittel dieser Mannschaft sogleich von der Linie abgegeben werden, also 50000 M. Es blieben daher für die erste Aufstellung im freien Felde 280000 M. übrig. Wenn nun England nicht Whig bleibt, sondern sich für Preußen betheiligt, so ist eine Küstenbewachung unerläßlich, und wir rechnen auf diese mindestens 60000 M.. wobei wir dar¬ auf Rücksicht nehmen, daß die Besatzung der Seefestungen und der dem Meere »unüchst gelegnen Plätze Aushilfe gewähren müsse. Dergestalt blieben sür die Operationen im freien Felde 220000 M. übrig. Dem verbündeten Preußen wie seinen deutschen Hilfsländern, England. Holland und Belgien wäre diese ^"ehe nicht ebenbürtig, wie der erste Blick zeigt. Indessen ist anzunehmen, daß im Lauf der Dinge Frankreich seine Feldarmee beträchtlich, in größerem ^wfange und schneller verstärken könne als die Verbündeten. Nehmen wir Grenzboten IV. 1859. 40

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_108129/325>, abgerufen am 15.06.2024.