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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band.

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Wunderbare, die dem Nationalcharakter der Engländer so eigenthümlich ist,
verbunden mit ihrer Leidenschaft für Reichthum und persönliche Fülle und
Größe der Dimensionen machen diese Weihnachtspantomimen -- die übrigens
bis zur Osterzeit ununterbrochen fortgespielt werden -- zu einem Volksvergnü¬
gen, das für den fremden Beobachter viel Belehrendes hat. "Wenn es einen
Abend im Jahre gibt" (sagt William Maccull in seinem geistreichen Buche
(,Me,iormI missions"), an welchem unser Landsmann sich auf der Höhe der
Seligkeit befindet. so ist es der Abend, an welchem er zur Pantomime geht.
Warum? Weil er Alles auf so lächerliche Weise außer Verhältniß findet; und
er schreit vor Entzücken, wenn ein Trupp Gesichter, eine Elle breit und andert¬
halb Ellen lang im Gaslicht vor ihm starrt. Er sieht, was er selber sein
möchte, wenn er könnte!" --

Neben den Pantomimen, deren abenteuerlich verzierte Programme die
Außenseiten der Theater und die Anschlagebreter vor den Ladenthüren der
Hauptstraßen bedecken, erscheinen an den späten Abenden der Weihnachtszeit
die ,^a.it8", d. h. Musikanten, die von Thür zu Thür gehen und ihr Ständ¬
chen bringen -- leider keine Melodien mehr von der alten guten Art, sondern
meist moderne Arien von Verdi und populäre Tänze von Jullicn und Musa>d-
Dagegen hat sich noch manch ein Stück vom alten Weihnachtsgesang, dein
sogenannten "OIiristmÄL-LlU'ol" erhalten, und rührend genug ist es. die alten
Mütterchen oder den Krüppel zu hören, wenn er es an den Straßenecken singt-
Einige dieser Lieder sind von uraltem Datum, und das echte Gold der Volks¬
poesie ,se in mehr als einem derselben ausgeprägt.

Aus solche Weise wird Weihnachten in London eingeleitet, und man wird
nicht anders sagen können, als daß es eine ebenso heitre als sinnig poetische
Weise sei. Nun aber kommt der Tag selbst; und wenn sich die Freude des
Jahrs in der Weihnachtszeit, die Freude der Weihnachtszeit im WeihnachtZ-
tag, und die Freude des Weihnachtstages in dem Weihnachtsnuttagsmahl ge¬
gipfelt hat. so gipfelt sich die Freude der Weihnachtsmittagsmahlzcit in dem
Weihnachtspudding! Ein ganzes Buch könnte ich über den Weihnachts¬
pudding schreiben, und wahrlich, es würde nicht das erste Buch sein, das
darüber geschrieben worden ist. Es gibt gelehrte Abhandlungen und seiten¬
lange Gedichte über diesen Gegenstand, über die Zusammensetzung des Pud¬
dings (er besteht aus Fleisch, klein gehackten Ingredienzen aller Art und be¬
sonders Rosinen und Pflaumen), über die Art, wie er gebacken, aufgetragen
und verzehrt werden muß.

Mit dem Pudding geht die Glorie des Weihnachtstages freilich dahin-
und wenn die Rnmflamme, in welcher er seine Erscheinung macht, wegg>''
braune ist, so ist auch der hellere und pocsievollere Theil der Weihnachtsstcu-
den zu Ende, und ihr grober Bodensatz kommt zum Vorschein und macht sich


Wunderbare, die dem Nationalcharakter der Engländer so eigenthümlich ist,
verbunden mit ihrer Leidenschaft für Reichthum und persönliche Fülle und
Größe der Dimensionen machen diese Weihnachtspantomimen — die übrigens
bis zur Osterzeit ununterbrochen fortgespielt werden — zu einem Volksvergnü¬
gen, das für den fremden Beobachter viel Belehrendes hat. „Wenn es einen
Abend im Jahre gibt" (sagt William Maccull in seinem geistreichen Buche
(,Me,iormI missions"), an welchem unser Landsmann sich auf der Höhe der
Seligkeit befindet. so ist es der Abend, an welchem er zur Pantomime geht.
Warum? Weil er Alles auf so lächerliche Weise außer Verhältniß findet; und
er schreit vor Entzücken, wenn ein Trupp Gesichter, eine Elle breit und andert¬
halb Ellen lang im Gaslicht vor ihm starrt. Er sieht, was er selber sein
möchte, wenn er könnte!" —

Neben den Pantomimen, deren abenteuerlich verzierte Programme die
Außenseiten der Theater und die Anschlagebreter vor den Ladenthüren der
Hauptstraßen bedecken, erscheinen an den späten Abenden der Weihnachtszeit
die ,^a.it8«, d. h. Musikanten, die von Thür zu Thür gehen und ihr Ständ¬
chen bringen — leider keine Melodien mehr von der alten guten Art, sondern
meist moderne Arien von Verdi und populäre Tänze von Jullicn und Musa>d-
Dagegen hat sich noch manch ein Stück vom alten Weihnachtsgesang, dein
sogenannten „OIiristmÄL-LlU'ol" erhalten, und rührend genug ist es. die alten
Mütterchen oder den Krüppel zu hören, wenn er es an den Straßenecken singt-
Einige dieser Lieder sind von uraltem Datum, und das echte Gold der Volks¬
poesie ,se in mehr als einem derselben ausgeprägt.

Aus solche Weise wird Weihnachten in London eingeleitet, und man wird
nicht anders sagen können, als daß es eine ebenso heitre als sinnig poetische
Weise sei. Nun aber kommt der Tag selbst; und wenn sich die Freude des
Jahrs in der Weihnachtszeit, die Freude der Weihnachtszeit im WeihnachtZ-
tag, und die Freude des Weihnachtstages in dem Weihnachtsnuttagsmahl ge¬
gipfelt hat. so gipfelt sich die Freude der Weihnachtsmittagsmahlzcit in dem
Weihnachtspudding! Ein ganzes Buch könnte ich über den Weihnachts¬
pudding schreiben, und wahrlich, es würde nicht das erste Buch sein, das
darüber geschrieben worden ist. Es gibt gelehrte Abhandlungen und seiten¬
lange Gedichte über diesen Gegenstand, über die Zusammensetzung des Pud¬
dings (er besteht aus Fleisch, klein gehackten Ingredienzen aller Art und be¬
sonders Rosinen und Pflaumen), über die Art, wie er gebacken, aufgetragen
und verzehrt werden muß.

Mit dem Pudding geht die Glorie des Weihnachtstages freilich dahin-
und wenn die Rnmflamme, in welcher er seine Erscheinung macht, wegg>''
braune ist, so ist auch der hellere und pocsievollere Theil der Weihnachtsstcu-
den zu Ende, und ihr grober Bodensatz kommt zum Vorschein und macht sich


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[0484] Wunderbare, die dem Nationalcharakter der Engländer so eigenthümlich ist, verbunden mit ihrer Leidenschaft für Reichthum und persönliche Fülle und Größe der Dimensionen machen diese Weihnachtspantomimen — die übrigens bis zur Osterzeit ununterbrochen fortgespielt werden — zu einem Volksvergnü¬ gen, das für den fremden Beobachter viel Belehrendes hat. „Wenn es einen Abend im Jahre gibt" (sagt William Maccull in seinem geistreichen Buche (,Me,iormI missions"), an welchem unser Landsmann sich auf der Höhe der Seligkeit befindet. so ist es der Abend, an welchem er zur Pantomime geht. Warum? Weil er Alles auf so lächerliche Weise außer Verhältniß findet; und er schreit vor Entzücken, wenn ein Trupp Gesichter, eine Elle breit und andert¬ halb Ellen lang im Gaslicht vor ihm starrt. Er sieht, was er selber sein möchte, wenn er könnte!" — Neben den Pantomimen, deren abenteuerlich verzierte Programme die Außenseiten der Theater und die Anschlagebreter vor den Ladenthüren der Hauptstraßen bedecken, erscheinen an den späten Abenden der Weihnachtszeit die ,^a.it8«, d. h. Musikanten, die von Thür zu Thür gehen und ihr Ständ¬ chen bringen — leider keine Melodien mehr von der alten guten Art, sondern meist moderne Arien von Verdi und populäre Tänze von Jullicn und Musa>d- Dagegen hat sich noch manch ein Stück vom alten Weihnachtsgesang, dein sogenannten „OIiristmÄL-LlU'ol" erhalten, und rührend genug ist es. die alten Mütterchen oder den Krüppel zu hören, wenn er es an den Straßenecken singt- Einige dieser Lieder sind von uraltem Datum, und das echte Gold der Volks¬ poesie ,se in mehr als einem derselben ausgeprägt. Aus solche Weise wird Weihnachten in London eingeleitet, und man wird nicht anders sagen können, als daß es eine ebenso heitre als sinnig poetische Weise sei. Nun aber kommt der Tag selbst; und wenn sich die Freude des Jahrs in der Weihnachtszeit, die Freude der Weihnachtszeit im WeihnachtZ- tag, und die Freude des Weihnachtstages in dem Weihnachtsnuttagsmahl ge¬ gipfelt hat. so gipfelt sich die Freude der Weihnachtsmittagsmahlzcit in dem Weihnachtspudding! Ein ganzes Buch könnte ich über den Weihnachts¬ pudding schreiben, und wahrlich, es würde nicht das erste Buch sein, das darüber geschrieben worden ist. Es gibt gelehrte Abhandlungen und seiten¬ lange Gedichte über diesen Gegenstand, über die Zusammensetzung des Pud¬ dings (er besteht aus Fleisch, klein gehackten Ingredienzen aller Art und be¬ sonders Rosinen und Pflaumen), über die Art, wie er gebacken, aufgetragen und verzehrt werden muß. Mit dem Pudding geht die Glorie des Weihnachtstages freilich dahin- und wenn die Rnmflamme, in welcher er seine Erscheinung macht, wegg>'' braune ist, so ist auch der hellere und pocsievollere Theil der Weihnachtsstcu- den zu Ende, und ihr grober Bodensatz kommt zum Vorschein und macht sich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_108129/484>, abgerufen am 15.06.2024.