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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band.

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geltend. Dem Pudding zunächst folgt die Punschbowle, die den Abend füllt,
und deren Wirkungen das Vorspiel zu dem bilden, was sich am andern Tage
ereignen soll. Der Tag nach Weihnachten ist in London der tollste Tag des
Jahres; es ist der sogenannte Boxing-Tag. welcher für eine Weile die ganze
Metropole aus ihren Angeln zu heben scheint. Es ist, als ob an diesem
einen Tage jeder Mann das Privileg habe, aus Rand und Band zu gehen
und das zu verlachen, was an den übrigen dreihundert und vier und sechzig
Tagen als ..tronost' und "i'vLxöetablv" streng beobachtet wird. Bei Tage
sind die Straßen voll von jubilirenden Menschen, am Abend in den Theatern
Pflegen sie betrunken zu sein, und in der Nacht das Fest mit allgemeiner
Prügelei zu beschließen, so daß der Tag nicht umsonst den doppelsinnigen
Namen hat. Boxing-Tag und Boxing-Nacht bezeichnet nicht den Tag und die
Nacht, wo man sich boxen und prügeln soll; die Bezeichnung deutet auf die
..Geldbüchse", die an diesem Tage zum Besten der Arbeiter. Aufwärter. Lehr-
jungen und Postboten geschüttelt wird. Es ist eigentlich ein Dienstbotenfest,
aber die Freude steckt an. und ..Geben ist seliger denn Nehmen." Der Tag
ist, wie> so vieles im Englischen Volksleben, von kirchlich-katholischem Ursprung.
Die "Weihnachtöbüchse" (Lnristrmrs-box) war eine Büchse, "in der um diese
Zeit Geld gesammelt wurde, damit die Priester Messe lesen möchten, um für
die Ausschweifungen des Volkes Vergebung zu erhalten. Die Dienstboten
hatten alsdann auch das Recht. Geld zu sammeln, damit auch sie den Prie¬
ster Geld für seine Messe zahlen konnten, da sie die Wahrheit des Sprich¬
worts: "Kein Pfennig, kein Paternoster" wohl kannten. So sagt ein alter
Tractat über diesen Gegenstand. Die Priester und die Messen sind außer Ge¬
brauch gekommen; aber der Boxing-Tag ist geblieben, und -- die Dienstbo¬
ten sammeln ihr Geld und behalten es sür sich selber. Der Schlächter und
der Bäcker schickt seinen Lehrjungen, die Köchin und Elisabeth, die schöne
Pförtnerin, klopfen bescheidentlich an, und das Mädchen der Wäscherin kommt
und der Stiefelputzer aus der Nagschule macht im rothen Habit seine Auf-
Wartung und Mr. Brooks, der Vorschneider im großen Saale des Divan,
und "Boots", der Hausknecht bei Mr. Spyr vom Swiß-House, sie kommen
Alle und thun ihre Hand aus, und das Register der unfreiwilligen Steuern
bat kein Ende am Boxing-Tag. Zuletzt kommt der Postbote -- "und hart
wuß die Natur des Mannes sein, der nicht ein freundliches Gefühl sür den
Postboten hat", sagt die Times. Denn nun ist auch der Tag nicht mehr
Wue. wo der Postbote von London in seinem höchsten Triumphe erscheinen
Wenn der Rausch der Boxing-Nacht verschlafen, wenn der Ruf:
ein-iLtnms ir tai)i>> -- "fröhliche Weihnacht und
glücklich Neujahr!" verhallt und die Festzeit bis zum Abend der heiligen drei
^imige alt den letzten Resten des Mummenschanzes und des Narrentönigrcichs,


Ärenzboten IV. 1859. 60

geltend. Dem Pudding zunächst folgt die Punschbowle, die den Abend füllt,
und deren Wirkungen das Vorspiel zu dem bilden, was sich am andern Tage
ereignen soll. Der Tag nach Weihnachten ist in London der tollste Tag des
Jahres; es ist der sogenannte Boxing-Tag. welcher für eine Weile die ganze
Metropole aus ihren Angeln zu heben scheint. Es ist, als ob an diesem
einen Tage jeder Mann das Privileg habe, aus Rand und Band zu gehen
und das zu verlachen, was an den übrigen dreihundert und vier und sechzig
Tagen als ..tronost' und „i'vLxöetablv" streng beobachtet wird. Bei Tage
sind die Straßen voll von jubilirenden Menschen, am Abend in den Theatern
Pflegen sie betrunken zu sein, und in der Nacht das Fest mit allgemeiner
Prügelei zu beschließen, so daß der Tag nicht umsonst den doppelsinnigen
Namen hat. Boxing-Tag und Boxing-Nacht bezeichnet nicht den Tag und die
Nacht, wo man sich boxen und prügeln soll; die Bezeichnung deutet auf die
..Geldbüchse", die an diesem Tage zum Besten der Arbeiter. Aufwärter. Lehr-
jungen und Postboten geschüttelt wird. Es ist eigentlich ein Dienstbotenfest,
aber die Freude steckt an. und ..Geben ist seliger denn Nehmen." Der Tag
ist, wie> so vieles im Englischen Volksleben, von kirchlich-katholischem Ursprung.
Die „Weihnachtöbüchse" (Lnristrmrs-box) war eine Büchse, „in der um diese
Zeit Geld gesammelt wurde, damit die Priester Messe lesen möchten, um für
die Ausschweifungen des Volkes Vergebung zu erhalten. Die Dienstboten
hatten alsdann auch das Recht. Geld zu sammeln, damit auch sie den Prie¬
ster Geld für seine Messe zahlen konnten, da sie die Wahrheit des Sprich¬
worts: „Kein Pfennig, kein Paternoster" wohl kannten. So sagt ein alter
Tractat über diesen Gegenstand. Die Priester und die Messen sind außer Ge¬
brauch gekommen; aber der Boxing-Tag ist geblieben, und — die Dienstbo¬
ten sammeln ihr Geld und behalten es sür sich selber. Der Schlächter und
der Bäcker schickt seinen Lehrjungen, die Köchin und Elisabeth, die schöne
Pförtnerin, klopfen bescheidentlich an, und das Mädchen der Wäscherin kommt
und der Stiefelputzer aus der Nagschule macht im rothen Habit seine Auf-
Wartung und Mr. Brooks, der Vorschneider im großen Saale des Divan,
und „Boots", der Hausknecht bei Mr. Spyr vom Swiß-House, sie kommen
Alle und thun ihre Hand aus, und das Register der unfreiwilligen Steuern
bat kein Ende am Boxing-Tag. Zuletzt kommt der Postbote — „und hart
wuß die Natur des Mannes sein, der nicht ein freundliches Gefühl sür den
Postboten hat", sagt die Times. Denn nun ist auch der Tag nicht mehr
Wue. wo der Postbote von London in seinem höchsten Triumphe erscheinen
Wenn der Rausch der Boxing-Nacht verschlafen, wenn der Ruf:
ein-iLtnms ir tai)i>> — „fröhliche Weihnacht und
glücklich Neujahr!" verhallt und die Festzeit bis zum Abend der heiligen drei
^imige alt den letzten Resten des Mummenschanzes und des Narrentönigrcichs,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_108129/485>, abgerufen am 21.05.2024.