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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band.

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lesenswerth, denn sie weisen auf ein Uebel hin, das weit über den Kreis
dieser Familie hinausgeht.

Der Vater der Karschin, der Schenkwirt!) Dürrbach, lebte aus einer
einsamen Meierei zwischen Züllichau und Krossen, nahe der niederschlesischen
Grenze. Anna Louise, geboren den 1. December 1722, verlor ihn schon
im sechsten Jahre, ein Großoheim nahm sie zu sich auf seine Landbesitzung
Tirschtiegel, wo das junge Mädchen Gelegenheit fand, sich in der Bibliothek
zu thun zu machen, sehr zum Mißfallen ihrer Großmutter, die zu sagen pflegte:
"ein Mädel muß nicht schreiben können, das führt sie nur zu Liebesbriefen, zu
weiter nichts Gutem." Als sie gar anfing, Latein zu lernen, wurde es ihrer
Mutter zu viel; sie nahm sie wieder zu sich. "Kein Cherub war es, der das
wehrlose Kind aus ihrem Paradiese vertrieb; es war das verjährte Vorurtheil,
das feindlich den Frauen jedem geistigen Ausschwung entgegenwirkte. In der
Wüste des Lebens sollte das Weib nur Kameel und Dromedar sein, das ging,
so lange es seine eigenste Bestimmung nicht kannte." Es war für sie eine
Zeit großer Entbehrungen; der Wohlstand des Hauses ging zu Grunde und
sie war zuweilen genöthigt, das Vieh zu hüten. Doch las sie nicht blos heim¬
lich, sie versuchte sich auch eifrig in Versen.

Als sie 16 Jahr alt war, verheirathete man sie an einen jungen Tuch¬
macher Namens Hirsekorn. Er hatte auf eine Mitgift gerechnet, und war
verdrießlich, darin getäuscht zu sein. "Dazu kam noch ihre Unerfahrenheit in
der Haushaltung und ihr zerstreutes Wesen, welches sie nicht überwinden
konnte. Das arme junge Weibchen war zu bedauern. Bei dem besten Willen
konnte sie doch nicht das Geringste handhaben, wobei sie nicht etwas ver¬
schüttet im Wege liegen ließ, aus etwas trat, oder etwas verkehrt machte.
Das verdroß ihren Mann sehr." Bald kamen Kinder. "Ihr Mann störte
sie mürrisch, wenn sie beim Warten des Kindes in einem Buche las." Er
veranlaßte sie, ihn bei seiner Profession zu unterstützen, "indeß ihre Gefühle in
tausend poetischen Bildern herumflatterten." Nur Sonntags, wenn ihr Mann
ausgegangen war, "nahm sie, ihre Kleinen neben sich, eine Feder oder Buch
in die Hand und erleichterte ihren Geist in dem freien Felde der Ideen."
Die Nachbarschaft in Schwivus, wo sie wohnten, erfuhr sehr bald, daß die
Hirsekorn Verse machen könne. Einen höhern Aufschwung nahm ihre Muse,
als Friedrichs Thaten das Vaterland aufregten, und namentlich als ein alter
Jugendfreund nach Schwibus zog und sie mit Büchern versorgte. Ihr Mann
warf zuweilen die Bücher ins Feuer. "Tief gekränkt, wurde nun auch si?
nachlässiger in ihrer sonst so rastlosen Sorge ihm zu genügen, und versäumte
in schmerzlicher Zerstreuung die Sklavenarbeit, welche er ihr täglich auflegte."

Eines Tages kam er von seinem Ausgang mit einem Räuschchen zurück,
welches ihn sonst immer guten Muthes machte. Er warf beim Hereintreten


lesenswerth, denn sie weisen auf ein Uebel hin, das weit über den Kreis
dieser Familie hinausgeht.

Der Vater der Karschin, der Schenkwirt!) Dürrbach, lebte aus einer
einsamen Meierei zwischen Züllichau und Krossen, nahe der niederschlesischen
Grenze. Anna Louise, geboren den 1. December 1722, verlor ihn schon
im sechsten Jahre, ein Großoheim nahm sie zu sich auf seine Landbesitzung
Tirschtiegel, wo das junge Mädchen Gelegenheit fand, sich in der Bibliothek
zu thun zu machen, sehr zum Mißfallen ihrer Großmutter, die zu sagen pflegte:
„ein Mädel muß nicht schreiben können, das führt sie nur zu Liebesbriefen, zu
weiter nichts Gutem." Als sie gar anfing, Latein zu lernen, wurde es ihrer
Mutter zu viel; sie nahm sie wieder zu sich. „Kein Cherub war es, der das
wehrlose Kind aus ihrem Paradiese vertrieb; es war das verjährte Vorurtheil,
das feindlich den Frauen jedem geistigen Ausschwung entgegenwirkte. In der
Wüste des Lebens sollte das Weib nur Kameel und Dromedar sein, das ging,
so lange es seine eigenste Bestimmung nicht kannte." Es war für sie eine
Zeit großer Entbehrungen; der Wohlstand des Hauses ging zu Grunde und
sie war zuweilen genöthigt, das Vieh zu hüten. Doch las sie nicht blos heim¬
lich, sie versuchte sich auch eifrig in Versen.

Als sie 16 Jahr alt war, verheirathete man sie an einen jungen Tuch¬
macher Namens Hirsekorn. Er hatte auf eine Mitgift gerechnet, und war
verdrießlich, darin getäuscht zu sein. „Dazu kam noch ihre Unerfahrenheit in
der Haushaltung und ihr zerstreutes Wesen, welches sie nicht überwinden
konnte. Das arme junge Weibchen war zu bedauern. Bei dem besten Willen
konnte sie doch nicht das Geringste handhaben, wobei sie nicht etwas ver¬
schüttet im Wege liegen ließ, aus etwas trat, oder etwas verkehrt machte.
Das verdroß ihren Mann sehr." Bald kamen Kinder. „Ihr Mann störte
sie mürrisch, wenn sie beim Warten des Kindes in einem Buche las." Er
veranlaßte sie, ihn bei seiner Profession zu unterstützen, „indeß ihre Gefühle in
tausend poetischen Bildern herumflatterten." Nur Sonntags, wenn ihr Mann
ausgegangen war, „nahm sie, ihre Kleinen neben sich, eine Feder oder Buch
in die Hand und erleichterte ihren Geist in dem freien Felde der Ideen."
Die Nachbarschaft in Schwivus, wo sie wohnten, erfuhr sehr bald, daß die
Hirsekorn Verse machen könne. Einen höhern Aufschwung nahm ihre Muse,
als Friedrichs Thaten das Vaterland aufregten, und namentlich als ein alter
Jugendfreund nach Schwibus zog und sie mit Büchern versorgte. Ihr Mann
warf zuweilen die Bücher ins Feuer. „Tief gekränkt, wurde nun auch si?
nachlässiger in ihrer sonst so rastlosen Sorge ihm zu genügen, und versäumte
in schmerzlicher Zerstreuung die Sklavenarbeit, welche er ihr täglich auflegte."

Eines Tages kam er von seinem Ausgang mit einem Räuschchen zurück,
welches ihn sonst immer guten Muthes machte. Er warf beim Hereintreten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_186950/172>, abgerufen am 24.05.2024.