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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band.

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mit lustiger Geberde den Hut auf den Tisch, schwang sich auf einem Bein
herum, und rief: "Vivat, es lebe der König von Preußen! Höre, Louise! weißt
du was Neues? Der König hat in seinen Landen die Erlaubniß zur Ehe¬
scheidunggegeben; was meinst du, wenn wir die ersten waren, die sich schei¬
den ließen?" Seine äußerst erschrockene Frau konnte ihm hierauf nicht ant¬
worten, und er fuhr fort: "Na du hast doch nichts dawider, wenn wir den
Anfang machen." "Ach Gott, du wirst doch das nicht thun!" war ihre Antwort.
"Ja ja das werde ich wol thun!" erwiederte er. "Und was ist denn für ein
Unglück dabei, wenn man einander nicht leiden kann, ists nicht besser als da¬
von." Die Frau weinte jämmerlich, aller er sagte: "Höre Louise, weine nur
nicht, das Weinen kann zu nichts helfen, es wird nicht anders, ich habe
meinen Sinn darauf gesetzt."

Kurz die Scheidung erfolgte; 11 Jahr hatte die Ehe gedauert. Ais sie,
ohne zu wissen wohin, zum nächsten Thore hinausging, begleitete sie ihre
Schwiegermutter dreiviertel Meilen weit, schluchzte und weinte neben ihr her,
streckte oft ihre gefalteten Hände vor sich ans und rief: "ach meine liebe
Schwiegertochter! daß Gott sich erbarme! du wirst recht aus dem Hause ge¬
stoßen!" Sie lebte dreiviertel Jahr hauptsächlich von den Almosen, die ihr
ihre Gedichte eintrugen, als ein junger Schneidergesell Namens Karsch ihr
seine Hand antrug. Sie willigte ein und zog mit ihm nach Fraustadt. "Sie
überwand den Widerwillen,, den ihr Mann ihr vom ersten Augenblick ein¬
flößt hatte;" er fand keine Arbeit und "sein Mißmuth wurde durch die un¬
verkennbare Kälte seiner Frau vermehrt." Er nahm seine Zuflucht zum
Trinken und es kam zu heftigen Schlägereien. Mittlerweile verbreitete sich
ihr poetischer Ruf nach Großglogau und auf den Nach ihrer Freunde zog sie
5755 mit ihrem Mann und ihren Kindern dorthin. Sie fand Zugang in
vornehmen Häusern, in ihrem eignen Hause war Noth und Elend. Ein Feld¬
prediger, der sie 1758 besuchte, erzählte: "Wir fanden sie in einer armseligen
Wohnung. Zwei ihrer Kinder, die ältesten, gingen in zerrissenen Kleidern in
der Stube umher. Das dritte saß vor ihr, und das vierte ganz kleine auf
ihrem Schoß. Sie selbst aber saß unter dem Getümmel dieser Kinder und
Machte eben eine Predigt, die sie in der reformirten Kirche gehört hatte, in
Verse. Indeß wir uns mit ihr unterhielten, hatte sie einen halben Bogen
"griffen, mit dem sie uns beschenkte. Hier ist sein Inhalt:


Ihr Freunde von den Wissenschaften!
Ihr kämet mich zu sehn, von der ihr viel gehört.
Ihr fast die Dürftigkeit. -- Ich wurde nie belehrt,
Und keine Regel bleibt mir im Gedächtniß haften,
Ich bin nur von Natur der zweiten Schöpferin,
Von ihr allein aus bin ich, was ich bin.

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mit lustiger Geberde den Hut auf den Tisch, schwang sich auf einem Bein
herum, und rief: „Vivat, es lebe der König von Preußen! Höre, Louise! weißt
du was Neues? Der König hat in seinen Landen die Erlaubniß zur Ehe¬
scheidunggegeben; was meinst du, wenn wir die ersten waren, die sich schei¬
den ließen?" Seine äußerst erschrockene Frau konnte ihm hierauf nicht ant¬
worten, und er fuhr fort: „Na du hast doch nichts dawider, wenn wir den
Anfang machen." „Ach Gott, du wirst doch das nicht thun!" war ihre Antwort.
„Ja ja das werde ich wol thun!" erwiederte er. „Und was ist denn für ein
Unglück dabei, wenn man einander nicht leiden kann, ists nicht besser als da¬
von." Die Frau weinte jämmerlich, aller er sagte: „Höre Louise, weine nur
nicht, das Weinen kann zu nichts helfen, es wird nicht anders, ich habe
meinen Sinn darauf gesetzt."

Kurz die Scheidung erfolgte; 11 Jahr hatte die Ehe gedauert. Ais sie,
ohne zu wissen wohin, zum nächsten Thore hinausging, begleitete sie ihre
Schwiegermutter dreiviertel Meilen weit, schluchzte und weinte neben ihr her,
streckte oft ihre gefalteten Hände vor sich ans und rief: „ach meine liebe
Schwiegertochter! daß Gott sich erbarme! du wirst recht aus dem Hause ge¬
stoßen!" Sie lebte dreiviertel Jahr hauptsächlich von den Almosen, die ihr
ihre Gedichte eintrugen, als ein junger Schneidergesell Namens Karsch ihr
seine Hand antrug. Sie willigte ein und zog mit ihm nach Fraustadt. „Sie
überwand den Widerwillen,, den ihr Mann ihr vom ersten Augenblick ein¬
flößt hatte;" er fand keine Arbeit und „sein Mißmuth wurde durch die un¬
verkennbare Kälte seiner Frau vermehrt." Er nahm seine Zuflucht zum
Trinken und es kam zu heftigen Schlägereien. Mittlerweile verbreitete sich
ihr poetischer Ruf nach Großglogau und auf den Nach ihrer Freunde zog sie
5755 mit ihrem Mann und ihren Kindern dorthin. Sie fand Zugang in
vornehmen Häusern, in ihrem eignen Hause war Noth und Elend. Ein Feld¬
prediger, der sie 1758 besuchte, erzählte: „Wir fanden sie in einer armseligen
Wohnung. Zwei ihrer Kinder, die ältesten, gingen in zerrissenen Kleidern in
der Stube umher. Das dritte saß vor ihr, und das vierte ganz kleine auf
ihrem Schoß. Sie selbst aber saß unter dem Getümmel dieser Kinder und
Machte eben eine Predigt, die sie in der reformirten Kirche gehört hatte, in
Verse. Indeß wir uns mit ihr unterhielten, hatte sie einen halben Bogen
"griffen, mit dem sie uns beschenkte. Hier ist sein Inhalt:


Ihr Freunde von den Wissenschaften!
Ihr kämet mich zu sehn, von der ihr viel gehört.
Ihr fast die Dürftigkeit. — Ich wurde nie belehrt,
Und keine Regel bleibt mir im Gedächtniß haften,
Ich bin nur von Natur der zweiten Schöpferin,
Von ihr allein aus bin ich, was ich bin.

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[0173] mit lustiger Geberde den Hut auf den Tisch, schwang sich auf einem Bein herum, und rief: „Vivat, es lebe der König von Preußen! Höre, Louise! weißt du was Neues? Der König hat in seinen Landen die Erlaubniß zur Ehe¬ scheidunggegeben; was meinst du, wenn wir die ersten waren, die sich schei¬ den ließen?" Seine äußerst erschrockene Frau konnte ihm hierauf nicht ant¬ worten, und er fuhr fort: „Na du hast doch nichts dawider, wenn wir den Anfang machen." „Ach Gott, du wirst doch das nicht thun!" war ihre Antwort. „Ja ja das werde ich wol thun!" erwiederte er. „Und was ist denn für ein Unglück dabei, wenn man einander nicht leiden kann, ists nicht besser als da¬ von." Die Frau weinte jämmerlich, aller er sagte: „Höre Louise, weine nur nicht, das Weinen kann zu nichts helfen, es wird nicht anders, ich habe meinen Sinn darauf gesetzt." Kurz die Scheidung erfolgte; 11 Jahr hatte die Ehe gedauert. Ais sie, ohne zu wissen wohin, zum nächsten Thore hinausging, begleitete sie ihre Schwiegermutter dreiviertel Meilen weit, schluchzte und weinte neben ihr her, streckte oft ihre gefalteten Hände vor sich ans und rief: „ach meine liebe Schwiegertochter! daß Gott sich erbarme! du wirst recht aus dem Hause ge¬ stoßen!" Sie lebte dreiviertel Jahr hauptsächlich von den Almosen, die ihr ihre Gedichte eintrugen, als ein junger Schneidergesell Namens Karsch ihr seine Hand antrug. Sie willigte ein und zog mit ihm nach Fraustadt. „Sie überwand den Widerwillen,, den ihr Mann ihr vom ersten Augenblick ein¬ flößt hatte;" er fand keine Arbeit und „sein Mißmuth wurde durch die un¬ verkennbare Kälte seiner Frau vermehrt." Er nahm seine Zuflucht zum Trinken und es kam zu heftigen Schlägereien. Mittlerweile verbreitete sich ihr poetischer Ruf nach Großglogau und auf den Nach ihrer Freunde zog sie 5755 mit ihrem Mann und ihren Kindern dorthin. Sie fand Zugang in vornehmen Häusern, in ihrem eignen Hause war Noth und Elend. Ein Feld¬ prediger, der sie 1758 besuchte, erzählte: „Wir fanden sie in einer armseligen Wohnung. Zwei ihrer Kinder, die ältesten, gingen in zerrissenen Kleidern in der Stube umher. Das dritte saß vor ihr, und das vierte ganz kleine auf ihrem Schoß. Sie selbst aber saß unter dem Getümmel dieser Kinder und Machte eben eine Predigt, die sie in der reformirten Kirche gehört hatte, in Verse. Indeß wir uns mit ihr unterhielten, hatte sie einen halben Bogen "griffen, mit dem sie uns beschenkte. Hier ist sein Inhalt: Ihr Freunde von den Wissenschaften! Ihr kämet mich zu sehn, von der ihr viel gehört. Ihr fast die Dürftigkeit. — Ich wurde nie belehrt, Und keine Regel bleibt mir im Gedächtniß haften, Ich bin nur von Natur der zweiten Schöpferin, Von ihr allein aus bin ich, was ich bin. 21*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_186950/173>, abgerufen am 16.06.2024.