Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.lassen. Sie waren indessen ebensowenig als das Ministerium Ratazzi geneigt, Wir wollen nun diese Ereignisse im einzelnen betrachten und mit Tos- Grenzboten I. 1800. 12
lassen. Sie waren indessen ebensowenig als das Ministerium Ratazzi geneigt, Wir wollen nun diese Ereignisse im einzelnen betrachten und mit Tos- Grenzboten I. 1800. 12
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0101" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/108823"/> <p xml:id="ID_299" prev="#ID_298"> lassen. Sie waren indessen ebensowenig als das Ministerium Ratazzi geneigt,<lb/> von dem Gange der Cavvurschen Politik und dem Anschlusse an Piemont<lb/> abzustchn. Dieser Wunsch des Anschlusses an Piemont hatte sich während<lb/> des Krieges nur tumuliuarisch oder nur durch einzelne Stadtöehörden und Körper¬<lb/> schaften aussprechen lassen. Es sollte jetzt seinem Ausdrucke eine legitimere<lb/> Form gegeben werden. In allen vier Ländern geschah dies auf ganz gleiche Weise.<lb/> Es wurden Nepräsentantenversammlungcn berufen, selbstständige Regierungen con-<lb/> stituirt und von den ersteren die Entfernung der alten Herrscherhäuser vom Throne<lb/> und der Anschluß an Piemont beschlossen; dann gingen Deputationen sowohl an<lb/> Victor Emanuel als an Napoleon ab, um denselben von den Volkswünschen und<lb/> Beschlüssen Kunde zu geben. Im weiteren ward der definitive Anschluß an Piemont<lb/> durch Einführung Sardinischer Institutionen, des sardinischen Geldes, Maaßes<lb/> lind Gewichtes vorbereitet. Endlich, um das Werk zu krönen, dachten die<lb/> Herzogthümer an die Aufrichtung eines Bundes zur Vertheidigung der von<lb/> ihnen ausgesprochnen Wünsche gegen alle Angriffe. Dieser Bund hatte also<lb/> zunächst eine militärische Grundlage: die Truppen der vier Länder sollten in<lb/> eine Bnndesarmee vereinigt werden. Später dachte mau auch, irgend eine<lb/> Person als Reichsverweser, aufzustellen, falls der definitive Anschluß an<lb/> Piemont sich in die Länge zöge.</p><lb/> <p xml:id="ID_300" next="#ID_301"> Wir wollen nun diese Ereignisse im einzelnen betrachten und mit Tos-<lb/> cana beginnen. Hier hatte schon der Waffenstillstand die Gemüther aufs höchste<lb/> erregt, noch stärker aber erregte sie der Abschluß des Friedens. Sobald der¬<lb/> selbe zu Florenz bekannt geworden war, erließ die provisorische Regierung (am<lb/> 13. Juli) eine Proclamation, unterzeichnet von dem sardinischen Commissär<lb/> Boncomvagni und sämmtlichen Ministern, Nicasoli an der Spike, in welcher<lb/> sie gegen die Bestimmungen des Friedens von Villafranca protestirte; eine<lb/> Deputation an König Victor Emanuel versicherte und sprach die bestimmte Er¬<lb/> wartung aus, Toscana werde nicht wider seinen Willen und seine Rechte von<lb/> neuem dem Joche Oestreichs unterworfen werden. Am 30. Juli mußte der<lb/> abberufene sardinische^ Commissär Boncompagni Florenz verlassen und statt<lb/> seiner trat jetzt Nicasoli an die Spitze der provisorischen Regierung. Derselbe<lb/> ordnete sofort die Wahlen zu einer Nepräsentantenversammlung und zwar nach<lb/> dem alten verfassungsmäßigen Wahlgesetze an. Am 11. August trat diese<lb/> Versammlung zu Florenz zusammen und verificirte die Wahlen. Sie war<lb/> höchst conservativ zusammengesetzt; als einen Beweis dafür gibt mau an,<lb/> daß ihren Mitgliedern mehr als ein Drittel des Gesammtgcbiets von Tos¬<lb/> cana gehöre. Am 13. August stellte in dieser Versammlung der Marchese<lb/> Ginori Lisei. der bis zuletzt sich in der Nähe des Großherzogs Leopold be><lb/> funden und ihm gerathen hatte, den Volksmünschen zu entsprechen und mit<lb/> Piemont zu gehn, den Antrag, das Haus Lothringen für des Thrones ver-</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten I. 1800. 12</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0101]
lassen. Sie waren indessen ebensowenig als das Ministerium Ratazzi geneigt,
von dem Gange der Cavvurschen Politik und dem Anschlusse an Piemont
abzustchn. Dieser Wunsch des Anschlusses an Piemont hatte sich während
des Krieges nur tumuliuarisch oder nur durch einzelne Stadtöehörden und Körper¬
schaften aussprechen lassen. Es sollte jetzt seinem Ausdrucke eine legitimere
Form gegeben werden. In allen vier Ländern geschah dies auf ganz gleiche Weise.
Es wurden Nepräsentantenversammlungcn berufen, selbstständige Regierungen con-
stituirt und von den ersteren die Entfernung der alten Herrscherhäuser vom Throne
und der Anschluß an Piemont beschlossen; dann gingen Deputationen sowohl an
Victor Emanuel als an Napoleon ab, um denselben von den Volkswünschen und
Beschlüssen Kunde zu geben. Im weiteren ward der definitive Anschluß an Piemont
durch Einführung Sardinischer Institutionen, des sardinischen Geldes, Maaßes
lind Gewichtes vorbereitet. Endlich, um das Werk zu krönen, dachten die
Herzogthümer an die Aufrichtung eines Bundes zur Vertheidigung der von
ihnen ausgesprochnen Wünsche gegen alle Angriffe. Dieser Bund hatte also
zunächst eine militärische Grundlage: die Truppen der vier Länder sollten in
eine Bnndesarmee vereinigt werden. Später dachte mau auch, irgend eine
Person als Reichsverweser, aufzustellen, falls der definitive Anschluß an
Piemont sich in die Länge zöge.
Wir wollen nun diese Ereignisse im einzelnen betrachten und mit Tos-
cana beginnen. Hier hatte schon der Waffenstillstand die Gemüther aufs höchste
erregt, noch stärker aber erregte sie der Abschluß des Friedens. Sobald der¬
selbe zu Florenz bekannt geworden war, erließ die provisorische Regierung (am
13. Juli) eine Proclamation, unterzeichnet von dem sardinischen Commissär
Boncomvagni und sämmtlichen Ministern, Nicasoli an der Spike, in welcher
sie gegen die Bestimmungen des Friedens von Villafranca protestirte; eine
Deputation an König Victor Emanuel versicherte und sprach die bestimmte Er¬
wartung aus, Toscana werde nicht wider seinen Willen und seine Rechte von
neuem dem Joche Oestreichs unterworfen werden. Am 30. Juli mußte der
abberufene sardinische^ Commissär Boncompagni Florenz verlassen und statt
seiner trat jetzt Nicasoli an die Spitze der provisorischen Regierung. Derselbe
ordnete sofort die Wahlen zu einer Nepräsentantenversammlung und zwar nach
dem alten verfassungsmäßigen Wahlgesetze an. Am 11. August trat diese
Versammlung zu Florenz zusammen und verificirte die Wahlen. Sie war
höchst conservativ zusammengesetzt; als einen Beweis dafür gibt mau an,
daß ihren Mitgliedern mehr als ein Drittel des Gesammtgcbiets von Tos¬
cana gehöre. Am 13. August stellte in dieser Versammlung der Marchese
Ginori Lisei. der bis zuletzt sich in der Nähe des Großherzogs Leopold be>
funden und ihm gerathen hatte, den Volksmünschen zu entsprechen und mit
Piemont zu gehn, den Antrag, das Haus Lothringen für des Thrones ver-
Grenzboten I. 1800. 12
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