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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

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ung einer constituirenden Versammlung verkündet wurde. Am 30. August
waren die Wahlen beendet, und am 1. September ward die Versammlung
von Cipriani eröffnet, der sie aufforderte, den wahren Willen der Nomagno-
len unverhohlen und ohne irgend eine Rücksicht auszusprechen. Am 3. Sep¬
tember erklärte die Versammlung die Abschaffung der weltlichen Herrschaft
des Papstes für erheblich und beschloß sie darauf am 6. September. Weitere
Beschlüsse in den nachfolgenden Tagen betrafen den Anschluß an Piemont,
dann Adressen an Napoleon III. und Victor Emanuel zu Gunsten der Mar-
ken. Andricus und Venedigs. Zur Darbringung von Geldopfern behufs des
Loskaufes Venetiens von Oestreich erklärten die Nomagnolen sich bereit. Eine
Anleihe von K Millionen für die militärischen Bedürfnisse der Romagna war
schon vor dem Zusammentritt der Versammlung ausgebracht worden. Der
Beschluß, die weltliche Herrschaft des Papstes abzuschaffen, ward damit moti-
virt, daß die beiden Nomagnas in früheren Zeiten unter eignen Verfassungen
und Gesetzen gestanden. Theile eines weltlichen Reiches gewesen und erst 1815
gegen ihren Willen unter die weltliche Herrschaft des Papstes gekommen seien.
,Die päpstliche Negierung habe weit entfernt, den Nomagnas ihre alten Freiheiten
zu erneuern, vielmehr die guten Einrichtungen des Königreiches Italien ab¬
geschafft und das drückende System ihrer Mißverwaltung auch auf diese Pro¬
vinzen übertragen. So sei deren Geschichte ein jammervoller Wechsel von
Revolution und Reaction, und Ausnahmsgesetze und Belagerungszustände
seien die Negel ihrer Negierung geworden; das allgemeine Wohl habe darun¬
ter gelitten, das Volk sei zum Nachtheil der Ruhe und Ordnung in Italien
und in ganz Europa dadurch demoralisirt worden, alle Reformversuche seien
vergeblich, alle Bitten des Volkes, alle Rathschläge der europäischen Mächte
umsonst gewesen, gegebne Versprechungen niemals gehalten worden. Die
päpstliche Negierung habe sich unvereinbar gezeigt mit Erhaltung der italieni¬
schen Nationalität, mit der Gleichheit der Bürger vor dem Gesetz, mit der
politischen Freiheit; nicht einmal Leben und Eigenthum ihrer Bürger zu schützen
sei sie im Stande gewesen. Außerdem habe sie sich factisch ihrer souve¬
ränes begeben. Sie habe die höchsten Prärogative der Krone an öst¬
reichische Generale abgetreten, die Jahre lang zum Verderben der Romagna
nicht blos die Militär-, sondern auch die Cevilgcwalt willkürlich gehandhabt
hätten. Da nicht mit eignen Kräften, sondern nur mittelst fremder Söldner die
päpstliche Negierung sich zu behaupten und geltend zu machen vermöge, könne sie
die öffentliche Ruhe und eine dauerhafte Ordnung durchaus nicht erhalten.
Dem geistlichen Regimente der Kirche würden die Nomagnolen immer achtungs¬
voll zugethan bleiben, aber mit der weltlichen Herrschaft dürfte dieses nach
allen angeführten Gründen nichts zu thun haben. Der Bericht über den An¬
schluß der Romagna an Piemont ward von einem -- ungerathenen -- Vet-


Grenzboten I. 1860. 12

ung einer constituirenden Versammlung verkündet wurde. Am 30. August
waren die Wahlen beendet, und am 1. September ward die Versammlung
von Cipriani eröffnet, der sie aufforderte, den wahren Willen der Nomagno-
len unverhohlen und ohne irgend eine Rücksicht auszusprechen. Am 3. Sep¬
tember erklärte die Versammlung die Abschaffung der weltlichen Herrschaft
des Papstes für erheblich und beschloß sie darauf am 6. September. Weitere
Beschlüsse in den nachfolgenden Tagen betrafen den Anschluß an Piemont,
dann Adressen an Napoleon III. und Victor Emanuel zu Gunsten der Mar-
ken. Andricus und Venedigs. Zur Darbringung von Geldopfern behufs des
Loskaufes Venetiens von Oestreich erklärten die Nomagnolen sich bereit. Eine
Anleihe von K Millionen für die militärischen Bedürfnisse der Romagna war
schon vor dem Zusammentritt der Versammlung ausgebracht worden. Der
Beschluß, die weltliche Herrschaft des Papstes abzuschaffen, ward damit moti-
virt, daß die beiden Nomagnas in früheren Zeiten unter eignen Verfassungen
und Gesetzen gestanden. Theile eines weltlichen Reiches gewesen und erst 1815
gegen ihren Willen unter die weltliche Herrschaft des Papstes gekommen seien.
,Die päpstliche Negierung habe weit entfernt, den Nomagnas ihre alten Freiheiten
zu erneuern, vielmehr die guten Einrichtungen des Königreiches Italien ab¬
geschafft und das drückende System ihrer Mißverwaltung auch auf diese Pro¬
vinzen übertragen. So sei deren Geschichte ein jammervoller Wechsel von
Revolution und Reaction, und Ausnahmsgesetze und Belagerungszustände
seien die Negel ihrer Negierung geworden; das allgemeine Wohl habe darun¬
ter gelitten, das Volk sei zum Nachtheil der Ruhe und Ordnung in Italien
und in ganz Europa dadurch demoralisirt worden, alle Reformversuche seien
vergeblich, alle Bitten des Volkes, alle Rathschläge der europäischen Mächte
umsonst gewesen, gegebne Versprechungen niemals gehalten worden. Die
päpstliche Negierung habe sich unvereinbar gezeigt mit Erhaltung der italieni¬
schen Nationalität, mit der Gleichheit der Bürger vor dem Gesetz, mit der
politischen Freiheit; nicht einmal Leben und Eigenthum ihrer Bürger zu schützen
sei sie im Stande gewesen. Außerdem habe sie sich factisch ihrer souve¬
ränes begeben. Sie habe die höchsten Prärogative der Krone an öst¬
reichische Generale abgetreten, die Jahre lang zum Verderben der Romagna
nicht blos die Militär-, sondern auch die Cevilgcwalt willkürlich gehandhabt
hätten. Da nicht mit eignen Kräften, sondern nur mittelst fremder Söldner die
päpstliche Negierung sich zu behaupten und geltend zu machen vermöge, könne sie
die öffentliche Ruhe und eine dauerhafte Ordnung durchaus nicht erhalten.
Dem geistlichen Regimente der Kirche würden die Nomagnolen immer achtungs¬
voll zugethan bleiben, aber mit der weltlichen Herrschaft dürfte dieses nach
allen angeführten Gründen nichts zu thun haben. Der Bericht über den An¬
schluß der Romagna an Piemont ward von einem — ungerathenen — Vet-


Grenzboten I. 1860. 12
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/109>, abgerufen am 29.05.2024.