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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

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20). Die Erzählung bei Strabo (III., 5), wie die Phönicier die Zinninseln
lange ganz verheimlichen konnten, ist bekannt genug. Die Weltstellung
der Briten ist indessen nicht mehr unhistorisch, als ihr Reichthum und ihre Bil¬
dung. Zur Zeit von Strabo wurde an den Südküsten von Britannien, wie
setzt an den Küsten von Afrika, Tauschhandel getrieben. Die Briten gaben
Thierfelle, Hunde und Sklaven gegen Kleinigkeiten aus Elfenbein, Glas und
andere werthlose Waaren. Es lohnt nicht, meint der alte Geograph, die
Insel zu erobern, da man sie doch mit einer Legion besetzen müßte und das
Volk zu arm ist, dieselben nebst den dazu gehörigen Pferden zu ernähren
(Ser. IV., 5). ,M1Ja, xrÄöcla". schreibt Cicero an Atticus (IV. 7). Wenn
Britannien später überhaupt jemals die Kosten der römischen Verwaltung auf¬
gebracht hat, so war das wenigstens bis zur Zeit von Antoninus Pius nicht
der Fall, wie wir es von Appianus. seinem Schatzmeister erfahren (^.xp. in
I)i'g,<zk.). Britannien war den Römern in mancher Beziehung, was jetzt Indien
den Engländern ist. Der Staat verlor daran Geld und Kräfte. Die Regie¬
rung indessen gewann eine Zahl einträglicher Stellen, mit denen sie ihre An¬
hänger belohnen und ihre Gegner bestechen konnte. Die bei weitem gebil¬
detsten Briten, die Bewohner von Kent, waren, statt ordentlich bekleidet, mit
Wald dunkelblau angestrichen und an allen Stellen, wo Haare wachsen, rasirt,
mit Ausnahme des Schädels und der Oberlippe. Väter und Söhne, Brüder
und Brüder hatten ihre Frauen in Gemeinschaft. Die Opfer bei feierlichen
Gelegenheiten bestanden darin, daß Männer, Weiber, Kinder, Ochsen, Hunde,
Hühner u. s. w. auf ungeheuern Scheiterhaufen unter unaussprechlichem Ge¬
heul und Gestank verbrannt wurden (Cäsar IV., 14, Strabo IV. 4, Diodo"
ruf V. 31. vergleiche auch Eusebius und Se. Hieronymus aclversus ^ovinia-uurli).
Wenn Professor N. solche Zustände Reichthum und Bildung nennt, so haben
wir nichts darauf zu erwidern. Wir glauben nur, daß sich seine Leser etwas
ganz anderes darunter gedacht haben.

Denselben Fehler der Vergrößerung wiederholt Professor R. bei den Angel-
sachsen. Nach vielfachen Zeugnissen, besonders aber nach Sidonius Upolu'
maris, dem gebildetsten Schriftsteller seiner Zeit, und nach Gildas, der als
Brite die germanischen Eroberer Englands am besten kennen mußte, waren
diese kaum mehr gebildet als die Briten vor der römischen Herrschaft. Man
bekehrte sie zum Christenthum und lehrte ihnen menschliche Sitten (recww
vivendi ol'amon). Besonders Theodor v. Tarsus, der 668 Erzbischof von
Canterbury wurde, und sein Freund und Nachfolger, Hadrian v. Rom, haben
mit unermüdlichem Eiser dahin gearbeitet, das Volk aus seiner Ignoranz und
Roheit zu ziehen. Aus ihrer Schule ist Beda hervorgegangen, der erste
Germane, der nicht allein ein Gelehrter im heutigen Sinne des Wortes war.
sondern der auch der Wissenschaft als solcher bei seinen Stammgenossen im


20). Die Erzählung bei Strabo (III., 5), wie die Phönicier die Zinninseln
lange ganz verheimlichen konnten, ist bekannt genug. Die Weltstellung
der Briten ist indessen nicht mehr unhistorisch, als ihr Reichthum und ihre Bil¬
dung. Zur Zeit von Strabo wurde an den Südküsten von Britannien, wie
setzt an den Küsten von Afrika, Tauschhandel getrieben. Die Briten gaben
Thierfelle, Hunde und Sklaven gegen Kleinigkeiten aus Elfenbein, Glas und
andere werthlose Waaren. Es lohnt nicht, meint der alte Geograph, die
Insel zu erobern, da man sie doch mit einer Legion besetzen müßte und das
Volk zu arm ist, dieselben nebst den dazu gehörigen Pferden zu ernähren
(Ser. IV., 5). ,M1Ja, xrÄöcla«. schreibt Cicero an Atticus (IV. 7). Wenn
Britannien später überhaupt jemals die Kosten der römischen Verwaltung auf¬
gebracht hat, so war das wenigstens bis zur Zeit von Antoninus Pius nicht
der Fall, wie wir es von Appianus. seinem Schatzmeister erfahren (^.xp. in
I)i'g,<zk.). Britannien war den Römern in mancher Beziehung, was jetzt Indien
den Engländern ist. Der Staat verlor daran Geld und Kräfte. Die Regie¬
rung indessen gewann eine Zahl einträglicher Stellen, mit denen sie ihre An¬
hänger belohnen und ihre Gegner bestechen konnte. Die bei weitem gebil¬
detsten Briten, die Bewohner von Kent, waren, statt ordentlich bekleidet, mit
Wald dunkelblau angestrichen und an allen Stellen, wo Haare wachsen, rasirt,
mit Ausnahme des Schädels und der Oberlippe. Väter und Söhne, Brüder
und Brüder hatten ihre Frauen in Gemeinschaft. Die Opfer bei feierlichen
Gelegenheiten bestanden darin, daß Männer, Weiber, Kinder, Ochsen, Hunde,
Hühner u. s. w. auf ungeheuern Scheiterhaufen unter unaussprechlichem Ge¬
heul und Gestank verbrannt wurden (Cäsar IV., 14, Strabo IV. 4, Diodo«
ruf V. 31. vergleiche auch Eusebius und Se. Hieronymus aclversus ^ovinia-uurli).
Wenn Professor N. solche Zustände Reichthum und Bildung nennt, so haben
wir nichts darauf zu erwidern. Wir glauben nur, daß sich seine Leser etwas
ganz anderes darunter gedacht haben.

Denselben Fehler der Vergrößerung wiederholt Professor R. bei den Angel-
sachsen. Nach vielfachen Zeugnissen, besonders aber nach Sidonius Upolu'
maris, dem gebildetsten Schriftsteller seiner Zeit, und nach Gildas, der als
Brite die germanischen Eroberer Englands am besten kennen mußte, waren
diese kaum mehr gebildet als die Briten vor der römischen Herrschaft. Man
bekehrte sie zum Christenthum und lehrte ihnen menschliche Sitten (recww
vivendi ol'amon). Besonders Theodor v. Tarsus, der 668 Erzbischof von
Canterbury wurde, und sein Freund und Nachfolger, Hadrian v. Rom, haben
mit unermüdlichem Eiser dahin gearbeitet, das Volk aus seiner Ignoranz und
Roheit zu ziehen. Aus ihrer Schule ist Beda hervorgegangen, der erste
Germane, der nicht allein ein Gelehrter im heutigen Sinne des Wortes war.
sondern der auch der Wissenschaft als solcher bei seinen Stammgenossen im


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[0134] 20). Die Erzählung bei Strabo (III., 5), wie die Phönicier die Zinninseln lange ganz verheimlichen konnten, ist bekannt genug. Die Weltstellung der Briten ist indessen nicht mehr unhistorisch, als ihr Reichthum und ihre Bil¬ dung. Zur Zeit von Strabo wurde an den Südküsten von Britannien, wie setzt an den Küsten von Afrika, Tauschhandel getrieben. Die Briten gaben Thierfelle, Hunde und Sklaven gegen Kleinigkeiten aus Elfenbein, Glas und andere werthlose Waaren. Es lohnt nicht, meint der alte Geograph, die Insel zu erobern, da man sie doch mit einer Legion besetzen müßte und das Volk zu arm ist, dieselben nebst den dazu gehörigen Pferden zu ernähren (Ser. IV., 5). ,M1Ja, xrÄöcla«. schreibt Cicero an Atticus (IV. 7). Wenn Britannien später überhaupt jemals die Kosten der römischen Verwaltung auf¬ gebracht hat, so war das wenigstens bis zur Zeit von Antoninus Pius nicht der Fall, wie wir es von Appianus. seinem Schatzmeister erfahren (^.xp. in I)i'g,<zk.). Britannien war den Römern in mancher Beziehung, was jetzt Indien den Engländern ist. Der Staat verlor daran Geld und Kräfte. Die Regie¬ rung indessen gewann eine Zahl einträglicher Stellen, mit denen sie ihre An¬ hänger belohnen und ihre Gegner bestechen konnte. Die bei weitem gebil¬ detsten Briten, die Bewohner von Kent, waren, statt ordentlich bekleidet, mit Wald dunkelblau angestrichen und an allen Stellen, wo Haare wachsen, rasirt, mit Ausnahme des Schädels und der Oberlippe. Väter und Söhne, Brüder und Brüder hatten ihre Frauen in Gemeinschaft. Die Opfer bei feierlichen Gelegenheiten bestanden darin, daß Männer, Weiber, Kinder, Ochsen, Hunde, Hühner u. s. w. auf ungeheuern Scheiterhaufen unter unaussprechlichem Ge¬ heul und Gestank verbrannt wurden (Cäsar IV., 14, Strabo IV. 4, Diodo« ruf V. 31. vergleiche auch Eusebius und Se. Hieronymus aclversus ^ovinia-uurli). Wenn Professor N. solche Zustände Reichthum und Bildung nennt, so haben wir nichts darauf zu erwidern. Wir glauben nur, daß sich seine Leser etwas ganz anderes darunter gedacht haben. Denselben Fehler der Vergrößerung wiederholt Professor R. bei den Angel- sachsen. Nach vielfachen Zeugnissen, besonders aber nach Sidonius Upolu' maris, dem gebildetsten Schriftsteller seiner Zeit, und nach Gildas, der als Brite die germanischen Eroberer Englands am besten kennen mußte, waren diese kaum mehr gebildet als die Briten vor der römischen Herrschaft. Man bekehrte sie zum Christenthum und lehrte ihnen menschliche Sitten (recww vivendi ol'amon). Besonders Theodor v. Tarsus, der 668 Erzbischof von Canterbury wurde, und sein Freund und Nachfolger, Hadrian v. Rom, haben mit unermüdlichem Eiser dahin gearbeitet, das Volk aus seiner Ignoranz und Roheit zu ziehen. Aus ihrer Schule ist Beda hervorgegangen, der erste Germane, der nicht allein ein Gelehrter im heutigen Sinne des Wortes war. sondern der auch der Wissenschaft als solcher bei seinen Stammgenossen im

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/134>, abgerufen am 15.05.2024.