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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

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In- und Auslande Achtung verschaffte. Er, der einfache Gelehrte, der bis zu
seinem Tode Mönch in seinem Kloster blieb, ist in den kurzen Chroniken, welche
die ersten Bände bei Pertz füllen, dreißig Mal genannt, während Könige und
Kaiser oft keinen Platz darin finden. Als nach Hadrians Tode Angelsachsen
Bischöfe und Erzbischöfe wurden, verfiel die eben angeführte Bildung in Eng¬
land. Alcuin zog das Leben in Frankreich dem Aufenthalte unter seinen wah¬
ren Stammgenossen vor ("zxist. aä 0tKin reZsin Xllll.) und Bonifacius wurde
Bischof von Mainz. Alles das hält Professor R. kaum eines Wortes werth,
während er uns auffordert, die Größe König Edgars zu bewundern, der die
Kühnheit hatte, die für ihn leeren Titel von Lasilsus und Imperator neben
seinen Namen zu schreiben. Wäre unter den angelsächsischen Königen nicht
ein Mann gewesen, der sich um die Erziehung des Volkes verdient gemacht,
so, fürchten wir, hätten wir wenig von den Culturbestrebungen dieser Periode
erfahren. Zu welchen historischen Excessen läßt sich unser Verfasser aber hin¬
reißen, wenn er von dem königlichen Autor spricht! "Dieser König (Alfred d.
G.) führte den germanischen Geist mit seiner Gelehrsamkeit und Reflexion in die
Literatur der Welt ein. Erflehe an der Spitze der Prosaschriftsteller und Historiker
deutscher Zunge." Was war damals aber die Gelehrsamkeit und Reflexion
der Germanen? Wir wollen Alfred selbst hören. Im ganzen Königreiche der
Westsachsen war kein Mensch, der geläufig lesen konnte. "Es war das größte
Unglück meines Lebens," klagte Alfred oft seinem Freunde und Biographen
Assa, "daß, als ich jung war und die Fähigkeit zum Lernen hatte, keine Lehrer
zu finden waren/' Lehrer, und unter ihnen Assa, wurden vom Auslande
herbeigeschafft. Alfred lernte Lateinisch und Griechisch und übersetzte Werke
vom heiligen Gregorius von Boethius, die Fabeln des Aesop, Psalmen Davids
und die Geschichtswerke von Orosius und Beda ins Angelsächsische, damit,
wie er sagte, sich sein Volk daran bilden könne, was, beiläufig bemerkt, nicht
geschah. Wir wissen nichts, das würdiger eines großen Königs, von einem
rohen und unwissenden Volke wäre. Heißt das aber "deutsche Gelehrsamkeit und
Reflexion" in die Literatur der Welt einführen, oder im Gegentheile etwas
von der Literatur der Welt den Germanen zugänglich machen? Und ist ein
bloßer Uebersetzer darum der erste Historiker?

Ein Geograph, der die Themse nur bei London als großen Strom gesehen
und daraus schließen wollte, daß sie, derselbe Fluß, auch bei Thaue, wo sich
zwei Bäche vereinigen, breit und tief genug für große Seeschiffe sein müsse,
würde, wenn er den Lauf derselben beschriebe, aus einem Fehler in den andern
fallen. Dem Historiker gehts nicht anders, wenn er sich ähnlichen Illusionen hin¬
gibt. Dagegen gibts nur ein sicheres Mittel, das ist. wenn der Geograph den Lauf
des Stromes und der Historiker den Laus der Geschichte selbst erforscht und
sich nicht mit Hörensagen begnügt. Um zu sehen, wie sehr Professor R.


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In- und Auslande Achtung verschaffte. Er, der einfache Gelehrte, der bis zu
seinem Tode Mönch in seinem Kloster blieb, ist in den kurzen Chroniken, welche
die ersten Bände bei Pertz füllen, dreißig Mal genannt, während Könige und
Kaiser oft keinen Platz darin finden. Als nach Hadrians Tode Angelsachsen
Bischöfe und Erzbischöfe wurden, verfiel die eben angeführte Bildung in Eng¬
land. Alcuin zog das Leben in Frankreich dem Aufenthalte unter seinen wah¬
ren Stammgenossen vor («zxist. aä 0tKin reZsin Xllll.) und Bonifacius wurde
Bischof von Mainz. Alles das hält Professor R. kaum eines Wortes werth,
während er uns auffordert, die Größe König Edgars zu bewundern, der die
Kühnheit hatte, die für ihn leeren Titel von Lasilsus und Imperator neben
seinen Namen zu schreiben. Wäre unter den angelsächsischen Königen nicht
ein Mann gewesen, der sich um die Erziehung des Volkes verdient gemacht,
so, fürchten wir, hätten wir wenig von den Culturbestrebungen dieser Periode
erfahren. Zu welchen historischen Excessen läßt sich unser Verfasser aber hin¬
reißen, wenn er von dem königlichen Autor spricht! „Dieser König (Alfred d.
G.) führte den germanischen Geist mit seiner Gelehrsamkeit und Reflexion in die
Literatur der Welt ein. Erflehe an der Spitze der Prosaschriftsteller und Historiker
deutscher Zunge." Was war damals aber die Gelehrsamkeit und Reflexion
der Germanen? Wir wollen Alfred selbst hören. Im ganzen Königreiche der
Westsachsen war kein Mensch, der geläufig lesen konnte. „Es war das größte
Unglück meines Lebens," klagte Alfred oft seinem Freunde und Biographen
Assa, „daß, als ich jung war und die Fähigkeit zum Lernen hatte, keine Lehrer
zu finden waren/' Lehrer, und unter ihnen Assa, wurden vom Auslande
herbeigeschafft. Alfred lernte Lateinisch und Griechisch und übersetzte Werke
vom heiligen Gregorius von Boethius, die Fabeln des Aesop, Psalmen Davids
und die Geschichtswerke von Orosius und Beda ins Angelsächsische, damit,
wie er sagte, sich sein Volk daran bilden könne, was, beiläufig bemerkt, nicht
geschah. Wir wissen nichts, das würdiger eines großen Königs, von einem
rohen und unwissenden Volke wäre. Heißt das aber „deutsche Gelehrsamkeit und
Reflexion" in die Literatur der Welt einführen, oder im Gegentheile etwas
von der Literatur der Welt den Germanen zugänglich machen? Und ist ein
bloßer Uebersetzer darum der erste Historiker?

Ein Geograph, der die Themse nur bei London als großen Strom gesehen
und daraus schließen wollte, daß sie, derselbe Fluß, auch bei Thaue, wo sich
zwei Bäche vereinigen, breit und tief genug für große Seeschiffe sein müsse,
würde, wenn er den Lauf derselben beschriebe, aus einem Fehler in den andern
fallen. Dem Historiker gehts nicht anders, wenn er sich ähnlichen Illusionen hin¬
gibt. Dagegen gibts nur ein sicheres Mittel, das ist. wenn der Geograph den Lauf
des Stromes und der Historiker den Laus der Geschichte selbst erforscht und
sich nicht mit Hörensagen begnügt. Um zu sehen, wie sehr Professor R.


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[0135] In- und Auslande Achtung verschaffte. Er, der einfache Gelehrte, der bis zu seinem Tode Mönch in seinem Kloster blieb, ist in den kurzen Chroniken, welche die ersten Bände bei Pertz füllen, dreißig Mal genannt, während Könige und Kaiser oft keinen Platz darin finden. Als nach Hadrians Tode Angelsachsen Bischöfe und Erzbischöfe wurden, verfiel die eben angeführte Bildung in Eng¬ land. Alcuin zog das Leben in Frankreich dem Aufenthalte unter seinen wah¬ ren Stammgenossen vor («zxist. aä 0tKin reZsin Xllll.) und Bonifacius wurde Bischof von Mainz. Alles das hält Professor R. kaum eines Wortes werth, während er uns auffordert, die Größe König Edgars zu bewundern, der die Kühnheit hatte, die für ihn leeren Titel von Lasilsus und Imperator neben seinen Namen zu schreiben. Wäre unter den angelsächsischen Königen nicht ein Mann gewesen, der sich um die Erziehung des Volkes verdient gemacht, so, fürchten wir, hätten wir wenig von den Culturbestrebungen dieser Periode erfahren. Zu welchen historischen Excessen läßt sich unser Verfasser aber hin¬ reißen, wenn er von dem königlichen Autor spricht! „Dieser König (Alfred d. G.) führte den germanischen Geist mit seiner Gelehrsamkeit und Reflexion in die Literatur der Welt ein. Erflehe an der Spitze der Prosaschriftsteller und Historiker deutscher Zunge." Was war damals aber die Gelehrsamkeit und Reflexion der Germanen? Wir wollen Alfred selbst hören. Im ganzen Königreiche der Westsachsen war kein Mensch, der geläufig lesen konnte. „Es war das größte Unglück meines Lebens," klagte Alfred oft seinem Freunde und Biographen Assa, „daß, als ich jung war und die Fähigkeit zum Lernen hatte, keine Lehrer zu finden waren/' Lehrer, und unter ihnen Assa, wurden vom Auslande herbeigeschafft. Alfred lernte Lateinisch und Griechisch und übersetzte Werke vom heiligen Gregorius von Boethius, die Fabeln des Aesop, Psalmen Davids und die Geschichtswerke von Orosius und Beda ins Angelsächsische, damit, wie er sagte, sich sein Volk daran bilden könne, was, beiläufig bemerkt, nicht geschah. Wir wissen nichts, das würdiger eines großen Königs, von einem rohen und unwissenden Volke wäre. Heißt das aber „deutsche Gelehrsamkeit und Reflexion" in die Literatur der Welt einführen, oder im Gegentheile etwas von der Literatur der Welt den Germanen zugänglich machen? Und ist ein bloßer Uebersetzer darum der erste Historiker? Ein Geograph, der die Themse nur bei London als großen Strom gesehen und daraus schließen wollte, daß sie, derselbe Fluß, auch bei Thaue, wo sich zwei Bäche vereinigen, breit und tief genug für große Seeschiffe sein müsse, würde, wenn er den Lauf derselben beschriebe, aus einem Fehler in den andern fallen. Dem Historiker gehts nicht anders, wenn er sich ähnlichen Illusionen hin¬ gibt. Dagegen gibts nur ein sicheres Mittel, das ist. wenn der Geograph den Lauf des Stromes und der Historiker den Laus der Geschichte selbst erforscht und sich nicht mit Hörensagen begnügt. Um zu sehen, wie sehr Professor R. 16*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/135>, abgerufen am 10.06.2024.