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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

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Hje Vertheidigung des Landes aber verfallen ließ? Er fand eine unbestrittne
Thronfolge. Und wie hinterließ er sie? Zwei seiner Kinder hatten er und
sein Parlament nicht nur für illegitim erklärt, sondern er hatte auch durch die höch¬
sten Autoritäten und in allen Formen Rechtens feststellen lassen, daß sie in Blut¬
schande erzeugt waren. Dennoch waren sie zur Thronfolge bestimmt. Maria mußte
in Elisabeth die Frucht eines unerlaubten Umganges sehen, dem sie und ihre
Mutter geopfert waren, und Elisabeth konnte in Eduard nur den Sohn der
Nebenbuhlerin erblicken, für die ihre Mutter unter der schimpflichsten Anklage
auf den? Blutgerüste gestorben war. Und wenn, wie wir glauben. Prof. N.
das Alles zugestehen muß, was hat er dem entgegenzusetzen? England
sagte sich von dem Gehorsam gegen den Papst los. Hat uns aber Prof. R.
nicht selbst erzählt, wie lange und mit welcher Zähigkeit sich der König an
den Papst geklammert und daß ihn nur eine Neigung, die auch unser Verf.
nicht zu vertheidigen wagt, und der Drang der Umstände vom päpstlichen
Stuhle getrennt haben? Wenn es Verdienst war, so war es also nicht sein
Verdienst. Wir sagen, wenn es Verdienst war, weil wir den neuen Zustand
auch im protestantischen Sinne für schlechter als den alten halten. Nach eini¬
gen vorübergehenden Schwankungen wurde nämlich im Jahre 1539 durch das
Statut der sechs Artikel, damals gewöhnlich das Blut-Statut genannt, ver¬
ordnet, daß Jeder den Tod am Galgen oder auf dein Scheiterhaufen
sterben sollte, der sich durch Schrift oder Wort folgender Verbrechen schuldig
machte:

i. die Transsubstantiation zu leugnen, 2. die Communion unter beiderlei
Gestalten zu vertheidigen, 3. zu behaupten, daß Priester heirathen dürfen,
4. daß man die Gelübde der Keuschheit brechen dürfte, 5. daß Privat-Messen
überflüssig sind, 6. daß Ohrenbeichte nicht nöthig sei. Und solch ein Statut
kam in einer Zeit, in der wenigstens der höchste Gerichtshof des Landes e,s
nicht für nöthig hielt, den Angeklagten zu hören. Ist Torquemada weiter
gegangen? Für England wurde die grausame Herabwürdigung dadurch noch
größer, daß, während die Protestanten sich nach ihrem Gewissen dem Statut
nicht unterwerfen konnten, die Katholiken den gräßlichen Tod der Hochver¬
räther sterben mußten, wenn sie die katholische Religion auf das katholische
Oberhaupt zurückführten. Und war das ein Vortheil, daß jetzt weltliche und
geistliche Tyrannei in einer Person vereinigt wurden, der nicht ein Mal die
alte Tradition zur Seite stand und deren Leben wahrlich keine Achtung ein¬
flößen konnte?

Wir würden glauben, daß es in einer so gebildeten Geschichte, wie der
unsers Verfassers, gegen den Anstand ist, von gemeinen Hinrichtungen zu
sprechen, hätte Professor N. nicht selbst seine Entrüstung über die Executionen
unter Maria zu erkennen gegeben, die, wie er dabei bemerkt, halb spanischer


Hje Vertheidigung des Landes aber verfallen ließ? Er fand eine unbestrittne
Thronfolge. Und wie hinterließ er sie? Zwei seiner Kinder hatten er und
sein Parlament nicht nur für illegitim erklärt, sondern er hatte auch durch die höch¬
sten Autoritäten und in allen Formen Rechtens feststellen lassen, daß sie in Blut¬
schande erzeugt waren. Dennoch waren sie zur Thronfolge bestimmt. Maria mußte
in Elisabeth die Frucht eines unerlaubten Umganges sehen, dem sie und ihre
Mutter geopfert waren, und Elisabeth konnte in Eduard nur den Sohn der
Nebenbuhlerin erblicken, für die ihre Mutter unter der schimpflichsten Anklage
auf den? Blutgerüste gestorben war. Und wenn, wie wir glauben. Prof. N.
das Alles zugestehen muß, was hat er dem entgegenzusetzen? England
sagte sich von dem Gehorsam gegen den Papst los. Hat uns aber Prof. R.
nicht selbst erzählt, wie lange und mit welcher Zähigkeit sich der König an
den Papst geklammert und daß ihn nur eine Neigung, die auch unser Verf.
nicht zu vertheidigen wagt, und der Drang der Umstände vom päpstlichen
Stuhle getrennt haben? Wenn es Verdienst war, so war es also nicht sein
Verdienst. Wir sagen, wenn es Verdienst war, weil wir den neuen Zustand
auch im protestantischen Sinne für schlechter als den alten halten. Nach eini¬
gen vorübergehenden Schwankungen wurde nämlich im Jahre 1539 durch das
Statut der sechs Artikel, damals gewöhnlich das Blut-Statut genannt, ver¬
ordnet, daß Jeder den Tod am Galgen oder auf dein Scheiterhaufen
sterben sollte, der sich durch Schrift oder Wort folgender Verbrechen schuldig
machte:

i. die Transsubstantiation zu leugnen, 2. die Communion unter beiderlei
Gestalten zu vertheidigen, 3. zu behaupten, daß Priester heirathen dürfen,
4. daß man die Gelübde der Keuschheit brechen dürfte, 5. daß Privat-Messen
überflüssig sind, 6. daß Ohrenbeichte nicht nöthig sei. Und solch ein Statut
kam in einer Zeit, in der wenigstens der höchste Gerichtshof des Landes e,s
nicht für nöthig hielt, den Angeklagten zu hören. Ist Torquemada weiter
gegangen? Für England wurde die grausame Herabwürdigung dadurch noch
größer, daß, während die Protestanten sich nach ihrem Gewissen dem Statut
nicht unterwerfen konnten, die Katholiken den gräßlichen Tod der Hochver¬
räther sterben mußten, wenn sie die katholische Religion auf das katholische
Oberhaupt zurückführten. Und war das ein Vortheil, daß jetzt weltliche und
geistliche Tyrannei in einer Person vereinigt wurden, der nicht ein Mal die
alte Tradition zur Seite stand und deren Leben wahrlich keine Achtung ein¬
flößen konnte?

Wir würden glauben, daß es in einer so gebildeten Geschichte, wie der
unsers Verfassers, gegen den Anstand ist, von gemeinen Hinrichtungen zu
sprechen, hätte Professor N. nicht selbst seine Entrüstung über die Executionen
unter Maria zu erkennen gegeben, die, wie er dabei bemerkt, halb spanischer


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[0145] Hje Vertheidigung des Landes aber verfallen ließ? Er fand eine unbestrittne Thronfolge. Und wie hinterließ er sie? Zwei seiner Kinder hatten er und sein Parlament nicht nur für illegitim erklärt, sondern er hatte auch durch die höch¬ sten Autoritäten und in allen Formen Rechtens feststellen lassen, daß sie in Blut¬ schande erzeugt waren. Dennoch waren sie zur Thronfolge bestimmt. Maria mußte in Elisabeth die Frucht eines unerlaubten Umganges sehen, dem sie und ihre Mutter geopfert waren, und Elisabeth konnte in Eduard nur den Sohn der Nebenbuhlerin erblicken, für die ihre Mutter unter der schimpflichsten Anklage auf den? Blutgerüste gestorben war. Und wenn, wie wir glauben. Prof. N. das Alles zugestehen muß, was hat er dem entgegenzusetzen? England sagte sich von dem Gehorsam gegen den Papst los. Hat uns aber Prof. R. nicht selbst erzählt, wie lange und mit welcher Zähigkeit sich der König an den Papst geklammert und daß ihn nur eine Neigung, die auch unser Verf. nicht zu vertheidigen wagt, und der Drang der Umstände vom päpstlichen Stuhle getrennt haben? Wenn es Verdienst war, so war es also nicht sein Verdienst. Wir sagen, wenn es Verdienst war, weil wir den neuen Zustand auch im protestantischen Sinne für schlechter als den alten halten. Nach eini¬ gen vorübergehenden Schwankungen wurde nämlich im Jahre 1539 durch das Statut der sechs Artikel, damals gewöhnlich das Blut-Statut genannt, ver¬ ordnet, daß Jeder den Tod am Galgen oder auf dein Scheiterhaufen sterben sollte, der sich durch Schrift oder Wort folgender Verbrechen schuldig machte: i. die Transsubstantiation zu leugnen, 2. die Communion unter beiderlei Gestalten zu vertheidigen, 3. zu behaupten, daß Priester heirathen dürfen, 4. daß man die Gelübde der Keuschheit brechen dürfte, 5. daß Privat-Messen überflüssig sind, 6. daß Ohrenbeichte nicht nöthig sei. Und solch ein Statut kam in einer Zeit, in der wenigstens der höchste Gerichtshof des Landes e,s nicht für nöthig hielt, den Angeklagten zu hören. Ist Torquemada weiter gegangen? Für England wurde die grausame Herabwürdigung dadurch noch größer, daß, während die Protestanten sich nach ihrem Gewissen dem Statut nicht unterwerfen konnten, die Katholiken den gräßlichen Tod der Hochver¬ räther sterben mußten, wenn sie die katholische Religion auf das katholische Oberhaupt zurückführten. Und war das ein Vortheil, daß jetzt weltliche und geistliche Tyrannei in einer Person vereinigt wurden, der nicht ein Mal die alte Tradition zur Seite stand und deren Leben wahrlich keine Achtung ein¬ flößen konnte? Wir würden glauben, daß es in einer so gebildeten Geschichte, wie der unsers Verfassers, gegen den Anstand ist, von gemeinen Hinrichtungen zu sprechen, hätte Professor N. nicht selbst seine Entrüstung über die Executionen unter Maria zu erkennen gegeben, die, wie er dabei bemerkt, halb spanischer

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/145>, abgerufen am 29.05.2024.