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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

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Mit wärmsten Antheil sehen wir Deutsche auf eine Politik, welche den
Italienern eine volksthümliche Entwicklung möglich macht und dem schönen
Land, welches in der Völkerfamilie Europas seit Jahrhunderten fast wie ein
abgestorbenes Glied vegetirte. eine neue politische Existenz verheißt. Denn
wir betrachten ein großes und starkes Sardinien als den natürlichen Verbün¬
deten Preußens und Deutschlands.

So weit sympathisirt der Deutsche in diesem Augenblick mit der Politik
des französischen Kaisers. Und vielleicht wird nirgends unbefangener die Klug¬
heit und Energie seiner legten diplomatischen Züge gewürdigt, als bei uns.
Aber wir vergessen darüber nicht, daß der Kaiser ein Napoleon und Franzose
ist. Noch ist nichts Zuverlässiges bekannt über den Preis, den er durch solche
Politik sich selbst erwerben will. Nur durch Zeitungsgerücht, dem officielle
Bestätigung zur Zeit noch fehlt, erfahren wir, daß er dem König von Sar¬
dinien Mittelitalien mit der Romagna nicht ohne ein Opfer gönnen will: er
sucht für sich und Frankreich entweder das ganze oder doch einen Theil Sa-
vouens.

Seit Jahrhunderten war Savoyen ein Kampfvbject zwischen Frankreich
und Italien. Es hat für Frankreich nicht geringen strategischen Werth, denn
es ist eine dominirende Bergveste, welche das bequeme Eindringen in italie¬
nisches Gebiet sichert und dadurch auch ein politisches Principal über Italien
vorbereitet. Es gehört ferner zu den Traditionen seiner Familie, zu erobern,
und wie vorsichtig der Kaiser die Fehler seines Oheims zu vermeiden sucht,
in diesem Fall würde die Nationalität des gewonnenen Territoriums kaum ir¬
gend welchen Widerstand leisten, die schwach bevölkerte Landschaft spricht fran¬
zösisch und ist zum -- kleinen -- Theil auch durch seine realen Interessen mit
französischem Gebiet verbunden.

Demungeachtet hat, so scheint uns, zu Zeiten eine verständige Erwägung
in der Seele des Kaisers Raum gehabt, was ihm auch diese Politik wider¬
rathen sollte. Es ist durchaus nicht seine Mission, für Frankreich zu erobern.
Für das wahre Wohl Frankreichs sind solche Annexationen durchaus unwesent¬
lich; sie mögen der Eitelkeit des Franzosen schmeicheln, aber sie bedrohen die
Machtstellung Frankreichs in Europa, und was dem Kaiser nicht weniger gelten
wird, seine eigne Dynastie. Die Machtfülle, welche Frankreich unter seinem
Regiment nach außen entwickelt, ist bereits so groß, als Europa sie irgend
ertragen kann. Schon jetzt bestimmt der Wille des Kaisers mit stärkerer Kraft
die Geschicke der übrigen Staaten, als die Nachbarn mit Ruhe ansehen können.
Und wenn der Kaiser dauerhaft für das eigne und Frankreichs Wohl sorgen
will, so hat gerade er die Aufgabe: sich mit Selbstüberwindung zu begnügen.
Der größte Feind seines Lebens sind seine eignen Träume von Revision der
Verträge von 1815, von Ausdehnung der gegenwärtigen Grenzen Frankreichs.


Mit wärmsten Antheil sehen wir Deutsche auf eine Politik, welche den
Italienern eine volksthümliche Entwicklung möglich macht und dem schönen
Land, welches in der Völkerfamilie Europas seit Jahrhunderten fast wie ein
abgestorbenes Glied vegetirte. eine neue politische Existenz verheißt. Denn
wir betrachten ein großes und starkes Sardinien als den natürlichen Verbün¬
deten Preußens und Deutschlands.

So weit sympathisirt der Deutsche in diesem Augenblick mit der Politik
des französischen Kaisers. Und vielleicht wird nirgends unbefangener die Klug¬
heit und Energie seiner legten diplomatischen Züge gewürdigt, als bei uns.
Aber wir vergessen darüber nicht, daß der Kaiser ein Napoleon und Franzose
ist. Noch ist nichts Zuverlässiges bekannt über den Preis, den er durch solche
Politik sich selbst erwerben will. Nur durch Zeitungsgerücht, dem officielle
Bestätigung zur Zeit noch fehlt, erfahren wir, daß er dem König von Sar¬
dinien Mittelitalien mit der Romagna nicht ohne ein Opfer gönnen will: er
sucht für sich und Frankreich entweder das ganze oder doch einen Theil Sa-
vouens.

Seit Jahrhunderten war Savoyen ein Kampfvbject zwischen Frankreich
und Italien. Es hat für Frankreich nicht geringen strategischen Werth, denn
es ist eine dominirende Bergveste, welche das bequeme Eindringen in italie¬
nisches Gebiet sichert und dadurch auch ein politisches Principal über Italien
vorbereitet. Es gehört ferner zu den Traditionen seiner Familie, zu erobern,
und wie vorsichtig der Kaiser die Fehler seines Oheims zu vermeiden sucht,
in diesem Fall würde die Nationalität des gewonnenen Territoriums kaum ir¬
gend welchen Widerstand leisten, die schwach bevölkerte Landschaft spricht fran¬
zösisch und ist zum — kleinen — Theil auch durch seine realen Interessen mit
französischem Gebiet verbunden.

Demungeachtet hat, so scheint uns, zu Zeiten eine verständige Erwägung
in der Seele des Kaisers Raum gehabt, was ihm auch diese Politik wider¬
rathen sollte. Es ist durchaus nicht seine Mission, für Frankreich zu erobern.
Für das wahre Wohl Frankreichs sind solche Annexationen durchaus unwesent¬
lich; sie mögen der Eitelkeit des Franzosen schmeicheln, aber sie bedrohen die
Machtstellung Frankreichs in Europa, und was dem Kaiser nicht weniger gelten
wird, seine eigne Dynastie. Die Machtfülle, welche Frankreich unter seinem
Regiment nach außen entwickelt, ist bereits so groß, als Europa sie irgend
ertragen kann. Schon jetzt bestimmt der Wille des Kaisers mit stärkerer Kraft
die Geschicke der übrigen Staaten, als die Nachbarn mit Ruhe ansehen können.
Und wenn der Kaiser dauerhaft für das eigne und Frankreichs Wohl sorgen
will, so hat gerade er die Aufgabe: sich mit Selbstüberwindung zu begnügen.
Der größte Feind seines Lebens sind seine eignen Träume von Revision der
Verträge von 1815, von Ausdehnung der gegenwärtigen Grenzen Frankreichs.


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[0174] Mit wärmsten Antheil sehen wir Deutsche auf eine Politik, welche den Italienern eine volksthümliche Entwicklung möglich macht und dem schönen Land, welches in der Völkerfamilie Europas seit Jahrhunderten fast wie ein abgestorbenes Glied vegetirte. eine neue politische Existenz verheißt. Denn wir betrachten ein großes und starkes Sardinien als den natürlichen Verbün¬ deten Preußens und Deutschlands. So weit sympathisirt der Deutsche in diesem Augenblick mit der Politik des französischen Kaisers. Und vielleicht wird nirgends unbefangener die Klug¬ heit und Energie seiner legten diplomatischen Züge gewürdigt, als bei uns. Aber wir vergessen darüber nicht, daß der Kaiser ein Napoleon und Franzose ist. Noch ist nichts Zuverlässiges bekannt über den Preis, den er durch solche Politik sich selbst erwerben will. Nur durch Zeitungsgerücht, dem officielle Bestätigung zur Zeit noch fehlt, erfahren wir, daß er dem König von Sar¬ dinien Mittelitalien mit der Romagna nicht ohne ein Opfer gönnen will: er sucht für sich und Frankreich entweder das ganze oder doch einen Theil Sa- vouens. Seit Jahrhunderten war Savoyen ein Kampfvbject zwischen Frankreich und Italien. Es hat für Frankreich nicht geringen strategischen Werth, denn es ist eine dominirende Bergveste, welche das bequeme Eindringen in italie¬ nisches Gebiet sichert und dadurch auch ein politisches Principal über Italien vorbereitet. Es gehört ferner zu den Traditionen seiner Familie, zu erobern, und wie vorsichtig der Kaiser die Fehler seines Oheims zu vermeiden sucht, in diesem Fall würde die Nationalität des gewonnenen Territoriums kaum ir¬ gend welchen Widerstand leisten, die schwach bevölkerte Landschaft spricht fran¬ zösisch und ist zum — kleinen — Theil auch durch seine realen Interessen mit französischem Gebiet verbunden. Demungeachtet hat, so scheint uns, zu Zeiten eine verständige Erwägung in der Seele des Kaisers Raum gehabt, was ihm auch diese Politik wider¬ rathen sollte. Es ist durchaus nicht seine Mission, für Frankreich zu erobern. Für das wahre Wohl Frankreichs sind solche Annexationen durchaus unwesent¬ lich; sie mögen der Eitelkeit des Franzosen schmeicheln, aber sie bedrohen die Machtstellung Frankreichs in Europa, und was dem Kaiser nicht weniger gelten wird, seine eigne Dynastie. Die Machtfülle, welche Frankreich unter seinem Regiment nach außen entwickelt, ist bereits so groß, als Europa sie irgend ertragen kann. Schon jetzt bestimmt der Wille des Kaisers mit stärkerer Kraft die Geschicke der übrigen Staaten, als die Nachbarn mit Ruhe ansehen können. Und wenn der Kaiser dauerhaft für das eigne und Frankreichs Wohl sorgen will, so hat gerade er die Aufgabe: sich mit Selbstüberwindung zu begnügen. Der größte Feind seines Lebens sind seine eignen Träume von Revision der Verträge von 1815, von Ausdehnung der gegenwärtigen Grenzen Frankreichs.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/174>, abgerufen am 15.05.2024.