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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

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lischen streng zu halten, üverwanden sie die Scheu vor dem Sprechen. Bei
der Frage über das Recht jedes Deutschen zur unbeschränkten öffentlichen Ue¬
bung seiner Religion hielt Herr Gaffer aus Brixen seine Jungfernrede, worin
er die Vertreter des deutschen Volkes beschwor, bei der Einführung dieses Ge¬
setzes doch ja ans die eigenthümlichen Verhältnisse Tirols Rücksicht zu nehmen, dies
eine bedinge seine Kampfbereitschaft für die deutsche Sache, "den deutschen Sinn
seiner Bewohner." Allererst also wären wir Jesuiten, dann Deutsche! Auf dem
bevorstehenden Landtage soll die Besitzfähigkeit und Cultusfreiheit der Protestanten
zur Sprache kommen; bei dieser und ähnlichen Fragen muß man wol sagen;
daß der Clerus stark vertreten sei. Nur einer der fünf zur Wiederherstellung eines
Postulatcnlandtags auserwnhlten Männer, Herr Wohlwend, ein Vorarlberger,
erhob sich gegen solche Scheinvertretung des Landes; trotz seiner Einsprache
ward das Princip der alten Ständeordnung schon in der ersten Sitzung fest¬
gestellt. Dem Grundsatz treu, bei allem in das ehrwürdige Zeitalter der Per¬
rücken und noch weiter zurückzugreifen, wollte Graf von Brandes in seinem
EntWurfe des Statuts das Recht der Wahl von Abgeordneten sogar den Ren¬
tiers der Deutschordensballci an der Etsch, dem Damenstifte in Innsbruck und
einigen verrotteten Flecken gewahrt wissen, nur die Zahl der Vertreter im Rath
der Alten selbst ermäßigte er bei jedem Stande Merus, Adel, Städte, Bauern)
von es eins 8. Der Wissenschaft gönnte der gelehrte Herr auch uicht eine
Stimme, die Intelligenz des Adels bedingte er durch ein jährliches Einkommen
von 8000 Fi., die Industrie dachte-tWMdurch zu heben, daß er auch für
die Vertretung von Gevatter Schneider und Schuster durch die Einziehung der
kleinsten Städtchen und Märkte uuter die 8 Stimmen des Bürgcrstnndcs sorgte,
der Bauer bildete ohnehin stets den Schweif des Clerus. Doch was hätte
wol auch Intelligenz oder politische Einsicht bei den Berathungen der künftigen
Vertrauensmänner von Tirol zu schaffen? Nach den weisen Rathschlägen des
Grasen sollen sie nur drei Dinge besprechen dürfen: Petitionen, die Verwal¬
tung des ständischen Vermögens (also wol nur die Verwendung des Appro-
visionirungsfonds und die Zinszahlung der Schulden) und die Vergebung
der ständischen Stiftplätze. Eine solche Vertretung des Landes schien sogar
deu drei ebenbürtigen Collegen des Grafen Brandis zu beschränkt. Herr Wohl¬
wend hatte nämlich gleich Anfangs erklärt, daß er sich nur als Gast betrachte,
wenn er Vorarlberg vertreten sollte, und wirkte dann für die wahren Inter-
essen Tirols, so weit es thunlich war. Gras Wolkenstein, der Präsident unsres
Landtags vom Jahre 1848, wollte den Clerus, Freiherr v. Klcbelsbvrg den Adel
stärker vertreten haben; um die Zahl der Stimmführer des Letztern zu ver¬
mehren, stellte er ihn als "Brücke" zwischen den Städten und Bauern dar.
Man einigte sich endlich auf t4 Stimmen aus jedem Stande und glaubte
selbst den Berathungen einen wettern Wirkungskreis anweisen zu dürfen. Der


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lischen streng zu halten, üverwanden sie die Scheu vor dem Sprechen. Bei
der Frage über das Recht jedes Deutschen zur unbeschränkten öffentlichen Ue¬
bung seiner Religion hielt Herr Gaffer aus Brixen seine Jungfernrede, worin
er die Vertreter des deutschen Volkes beschwor, bei der Einführung dieses Ge¬
setzes doch ja ans die eigenthümlichen Verhältnisse Tirols Rücksicht zu nehmen, dies
eine bedinge seine Kampfbereitschaft für die deutsche Sache, „den deutschen Sinn
seiner Bewohner." Allererst also wären wir Jesuiten, dann Deutsche! Auf dem
bevorstehenden Landtage soll die Besitzfähigkeit und Cultusfreiheit der Protestanten
zur Sprache kommen; bei dieser und ähnlichen Fragen muß man wol sagen;
daß der Clerus stark vertreten sei. Nur einer der fünf zur Wiederherstellung eines
Postulatcnlandtags auserwnhlten Männer, Herr Wohlwend, ein Vorarlberger,
erhob sich gegen solche Scheinvertretung des Landes; trotz seiner Einsprache
ward das Princip der alten Ständeordnung schon in der ersten Sitzung fest¬
gestellt. Dem Grundsatz treu, bei allem in das ehrwürdige Zeitalter der Per¬
rücken und noch weiter zurückzugreifen, wollte Graf von Brandes in seinem
EntWurfe des Statuts das Recht der Wahl von Abgeordneten sogar den Ren¬
tiers der Deutschordensballci an der Etsch, dem Damenstifte in Innsbruck und
einigen verrotteten Flecken gewahrt wissen, nur die Zahl der Vertreter im Rath
der Alten selbst ermäßigte er bei jedem Stande Merus, Adel, Städte, Bauern)
von es eins 8. Der Wissenschaft gönnte der gelehrte Herr auch uicht eine
Stimme, die Intelligenz des Adels bedingte er durch ein jährliches Einkommen
von 8000 Fi., die Industrie dachte-tWMdurch zu heben, daß er auch für
die Vertretung von Gevatter Schneider und Schuster durch die Einziehung der
kleinsten Städtchen und Märkte uuter die 8 Stimmen des Bürgcrstnndcs sorgte,
der Bauer bildete ohnehin stets den Schweif des Clerus. Doch was hätte
wol auch Intelligenz oder politische Einsicht bei den Berathungen der künftigen
Vertrauensmänner von Tirol zu schaffen? Nach den weisen Rathschlägen des
Grasen sollen sie nur drei Dinge besprechen dürfen: Petitionen, die Verwal¬
tung des ständischen Vermögens (also wol nur die Verwendung des Appro-
visionirungsfonds und die Zinszahlung der Schulden) und die Vergebung
der ständischen Stiftplätze. Eine solche Vertretung des Landes schien sogar
deu drei ebenbürtigen Collegen des Grafen Brandis zu beschränkt. Herr Wohl¬
wend hatte nämlich gleich Anfangs erklärt, daß er sich nur als Gast betrachte,
wenn er Vorarlberg vertreten sollte, und wirkte dann für die wahren Inter-
essen Tirols, so weit es thunlich war. Gras Wolkenstein, der Präsident unsres
Landtags vom Jahre 1848, wollte den Clerus, Freiherr v. Klcbelsbvrg den Adel
stärker vertreten haben; um die Zahl der Stimmführer des Letztern zu ver¬
mehren, stellte er ihn als „Brücke" zwischen den Städten und Bauern dar.
Man einigte sich endlich auf t4 Stimmen aus jedem Stande und glaubte
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/183>, abgerufen am 14.05.2024.