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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

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Leicht steht hinter dem gefügigen Hofmann ein heftiger Vetter als stiller Lenker.
Und auch wo dies nicht der Fall ist. nimmt der Fürst leicht von den Cava-
lieren seiner Umgebung eine Methode an, ernste Geschäfte auf eine Weise zu
behandeln, die mehr cavaliercment. als gründlich ist.

So sind, es wäre vergebens, das zu beschönigen, die deutschen Höfe gegen
wärtig nicht in normaler Stellung zu den Bedürfnissen des modernen Staats.
Und um es kurz zu sagen: sie drohen die Fürsten von dem Verständniß der
Zeit so abzuschließen, daß zuletzt eine Verständigung zwischen den Herrschern
und der Nation überhaupt unmöglich wird. Die letzten Folgen solches Gegen¬
satzes werden einst von beiden Theilen als furchtbare Kalamität empfunden.

Aber vielleicht ist auch hier unsere Zeit behender, die Uebelstände zu fühlen,
als zu bessern.

Allerdings gibt es eine gründliche Heilung, die consequente Ausführung
dessen, was in der Theorie längst Recht ist: Gleichberechtigung der Staatsange¬
hörigen nicht nur vor dem Gesetz, auch vor dem Hüter des Gesetzes, dem Landes¬
herrn. Es naht die Zeit, wo wenigstens in Preußen die unselige Thätigkeit der
Kreuzzeitung und ihrer Partei das Volk zu einem politischen Kampf gegen die An¬
sprüche des Junkerthums erbittern wird. Der schwächliche Uebermuth dieser Ge¬
nossenschaft, die vielmehr eine sociale, als eine politische Partei bildet, beginnt
den Preußen bereits unerträglich zu werden. Der letzte Ausgang dieses Streites
kann nicht zweifelhaft sein. Sicher aber wird die geschlagene Minorität sich
grollend immer mehr von der Bildung der Zeit lösen und immer weniger
brauchbares Material für den Staat, zuletzt auch für den Hof des Landes¬
herrn abgeben. So läßt sich annehmen, daß auch den Regierenden die Em¬
pfindung kommen wird, wie die Zeiten längst vorbei sind, in denen die
Ehre des Edelmanns einem König von Preußen mehr werth sein durfte, als
die des Bürgers.

Doch wird es rathsam sein, wenn die Freunde der Krone nicht bis zu
solcher Selbstverbrennung des Junkerthums müßig zusehen. Wir meinen, es
liegt im höchsten Interesse der Fürsten und des Staats, das alte (Zeremoniell des
Hofes einer gründlichen Revision zu unterwerfen und ohne Rücksicht aus Tradition
das herrschende Princip der Hofsähigkeit gänzlich und für immer aufzuheben.

Möge man dem Kaiserhofe zu Wien den Vorzug lassen, auch dieses
Unhaltbare mit höchster Sorgfalt zu conserviren. In Deutschland aber wird
der Landesherr eines größeren Staates, welcher zuerst den Muth und die
Weisheit hat, den Bann seines Hoses zu brechen, und sich aus einem Lehns¬
herrn mittelalterlicher Vasallen in den ersten Gentleman seines Landes zu ver¬
wandeln, eine Eroberung in den Herzen der Nation machen, welche der Po¬
litik seines Hauses ungleich größern Segen bringen wird, als zahlreiche diplo¬
H matische Verhandlungen und Rüstungen.




Leicht steht hinter dem gefügigen Hofmann ein heftiger Vetter als stiller Lenker.
Und auch wo dies nicht der Fall ist. nimmt der Fürst leicht von den Cava-
lieren seiner Umgebung eine Methode an, ernste Geschäfte auf eine Weise zu
behandeln, die mehr cavaliercment. als gründlich ist.

So sind, es wäre vergebens, das zu beschönigen, die deutschen Höfe gegen
wärtig nicht in normaler Stellung zu den Bedürfnissen des modernen Staats.
Und um es kurz zu sagen: sie drohen die Fürsten von dem Verständniß der
Zeit so abzuschließen, daß zuletzt eine Verständigung zwischen den Herrschern
und der Nation überhaupt unmöglich wird. Die letzten Folgen solches Gegen¬
satzes werden einst von beiden Theilen als furchtbare Kalamität empfunden.

Aber vielleicht ist auch hier unsere Zeit behender, die Uebelstände zu fühlen,
als zu bessern.

Allerdings gibt es eine gründliche Heilung, die consequente Ausführung
dessen, was in der Theorie längst Recht ist: Gleichberechtigung der Staatsange¬
hörigen nicht nur vor dem Gesetz, auch vor dem Hüter des Gesetzes, dem Landes¬
herrn. Es naht die Zeit, wo wenigstens in Preußen die unselige Thätigkeit der
Kreuzzeitung und ihrer Partei das Volk zu einem politischen Kampf gegen die An¬
sprüche des Junkerthums erbittern wird. Der schwächliche Uebermuth dieser Ge¬
nossenschaft, die vielmehr eine sociale, als eine politische Partei bildet, beginnt
den Preußen bereits unerträglich zu werden. Der letzte Ausgang dieses Streites
kann nicht zweifelhaft sein. Sicher aber wird die geschlagene Minorität sich
grollend immer mehr von der Bildung der Zeit lösen und immer weniger
brauchbares Material für den Staat, zuletzt auch für den Hof des Landes¬
herrn abgeben. So läßt sich annehmen, daß auch den Regierenden die Em¬
pfindung kommen wird, wie die Zeiten längst vorbei sind, in denen die
Ehre des Edelmanns einem König von Preußen mehr werth sein durfte, als
die des Bürgers.

Doch wird es rathsam sein, wenn die Freunde der Krone nicht bis zu
solcher Selbstverbrennung des Junkerthums müßig zusehen. Wir meinen, es
liegt im höchsten Interesse der Fürsten und des Staats, das alte (Zeremoniell des
Hofes einer gründlichen Revision zu unterwerfen und ohne Rücksicht aus Tradition
das herrschende Princip der Hofsähigkeit gänzlich und für immer aufzuheben.

Möge man dem Kaiserhofe zu Wien den Vorzug lassen, auch dieses
Unhaltbare mit höchster Sorgfalt zu conserviren. In Deutschland aber wird
der Landesherr eines größeren Staates, welcher zuerst den Muth und die
Weisheit hat, den Bann seines Hoses zu brechen, und sich aus einem Lehns¬
herrn mittelalterlicher Vasallen in den ersten Gentleman seines Landes zu ver¬
wandeln, eine Eroberung in den Herzen der Nation machen, welche der Po¬
litik seines Hauses ungleich größern Segen bringen wird, als zahlreiche diplo¬
H matische Verhandlungen und Rüstungen.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/20>, abgerufen am 14.05.2024.