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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

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Fürsten selbst können den Verkehr mit dem Bürgerthum nicht mehr entbehren,
außer zum eigenen grüßten Schaden.

Zwar für ihre geistigen Bedürfnisse, soweit dieselben sich lebendig regen,
vermögen sie wol jetzt zu sorgen. Professoren halten auch bei Hof Vorträge,
Künstler sprechen über ihre Kunst, auch kleine Privatzirkel laufen neben dem
Hofleben, in denen die Anmuth einer anregenden geselligen Unterhaltung ge¬
sucht wird. Aber sehr gefährlich ist dem Regenten, zumal eines größeren
Staates, die politische Jsolirung, in welcher ihn die Luft seines Hofes erhält.

Denn es ist für die Leitung des Staates keine gleichgiltige Sache, daß
der Souverän des Landes von Jugend auf in der Atmosphäre eines bestimm¬
ten Standes erzogen wird. Groß ist die Zahl gebildeter und liebenswerther
Männer im deutschen Adel; aber es scheint, nur wenige der Stärksten ver¬
mögen sich in politischen und socialen Fragen über die Interessen ihres Stan¬
des zu einer freien Auffassung des modernen Staates zu erheben. Was ihren
Gesichtskreis beschränkt, sie noch heut wie einen Sonderbund der Nation gegen¬
überstellt, das ist gerade der Umstand, daß sie thatsächlich noch Privilegien
haben, welche sie gegen die Forderungen der Zeit zu vertheidigen suchen. Sie
waren vor Jahrhunderten ein unnützer, ja schädlicher Bestandtheil der bürger¬
lichen Gesellschaft, so lange sie nur in diesen Privilegien athmeten. Genau
in dem Maße, in welchem sie von ihren alten Vorrechten verloren, wurden sie
selbst kräftiger, männlicher, patriotischer; sie würden jetzt zu dem besten Theil
der Volkskraft gehören, wenn sie nicht immer noch in einem hoffnungslosen
Kampf um die Reste ihrer Vorrechte begriffen wären. Gerade diese Ansprüche
bilden neben Gutem und Gesunden noch ein krankes Moment in dem Idealis¬
mus der Mehrzahl. Und mit ihren Borurtheilen verwächst die Seele der
Fürsten von Jugend auf. Auch sie gewöhnen sich, ihr Volk, das Leben der
Gegenwart mit den Augen ihres Hofadels zu betrachten. Wie kräftig die
Natur, wie wohlwollend das Gemüth des Fürsten sei, seine Bildung hat fast
immer etwas specifisch Aristokratisches, was dem Volk nicht heimisch wird.
Auch die politischen Intelligenzen gehören nicht mehr vorzugsweise dein Adel
an. Und diese freie Intelligenz des Bürgerthums bleibt, außer bei einzelnen
Solennitäten, dem Throne ganz fremd.

Ja noch mehr. Es ist natürlich, wenn der Fürst sich nicht vorzugsweise
die kräftigen Charaktere aus seinem Landadel in sein Gefolge wählt. Auch
ein verständiger und maßvoller Sinn des Herrn wird am liebsten gut geartete,
nicht stark hervortretende Männer von vermittelnden Wesen zu Vertrauten der
vorübergehenden Tagesstimmungcn aussuchen. Er wird es vielleicht für einen
Vorzug halten, wenn sie keine selbstständige politische Meinung vertreten. Es
scheint uns, daß eine solche Methode keinen Schutz gewahrt gegen das unab¬
lässige stille Einwirken aristokratischer Stimmungen auf die Seele des Fürsten.


Fürsten selbst können den Verkehr mit dem Bürgerthum nicht mehr entbehren,
außer zum eigenen grüßten Schaden.

Zwar für ihre geistigen Bedürfnisse, soweit dieselben sich lebendig regen,
vermögen sie wol jetzt zu sorgen. Professoren halten auch bei Hof Vorträge,
Künstler sprechen über ihre Kunst, auch kleine Privatzirkel laufen neben dem
Hofleben, in denen die Anmuth einer anregenden geselligen Unterhaltung ge¬
sucht wird. Aber sehr gefährlich ist dem Regenten, zumal eines größeren
Staates, die politische Jsolirung, in welcher ihn die Luft seines Hofes erhält.

Denn es ist für die Leitung des Staates keine gleichgiltige Sache, daß
der Souverän des Landes von Jugend auf in der Atmosphäre eines bestimm¬
ten Standes erzogen wird. Groß ist die Zahl gebildeter und liebenswerther
Männer im deutschen Adel; aber es scheint, nur wenige der Stärksten ver¬
mögen sich in politischen und socialen Fragen über die Interessen ihres Stan¬
des zu einer freien Auffassung des modernen Staates zu erheben. Was ihren
Gesichtskreis beschränkt, sie noch heut wie einen Sonderbund der Nation gegen¬
überstellt, das ist gerade der Umstand, daß sie thatsächlich noch Privilegien
haben, welche sie gegen die Forderungen der Zeit zu vertheidigen suchen. Sie
waren vor Jahrhunderten ein unnützer, ja schädlicher Bestandtheil der bürger¬
lichen Gesellschaft, so lange sie nur in diesen Privilegien athmeten. Genau
in dem Maße, in welchem sie von ihren alten Vorrechten verloren, wurden sie
selbst kräftiger, männlicher, patriotischer; sie würden jetzt zu dem besten Theil
der Volkskraft gehören, wenn sie nicht immer noch in einem hoffnungslosen
Kampf um die Reste ihrer Vorrechte begriffen wären. Gerade diese Ansprüche
bilden neben Gutem und Gesunden noch ein krankes Moment in dem Idealis¬
mus der Mehrzahl. Und mit ihren Borurtheilen verwächst die Seele der
Fürsten von Jugend auf. Auch sie gewöhnen sich, ihr Volk, das Leben der
Gegenwart mit den Augen ihres Hofadels zu betrachten. Wie kräftig die
Natur, wie wohlwollend das Gemüth des Fürsten sei, seine Bildung hat fast
immer etwas specifisch Aristokratisches, was dem Volk nicht heimisch wird.
Auch die politischen Intelligenzen gehören nicht mehr vorzugsweise dein Adel
an. Und diese freie Intelligenz des Bürgerthums bleibt, außer bei einzelnen
Solennitäten, dem Throne ganz fremd.

Ja noch mehr. Es ist natürlich, wenn der Fürst sich nicht vorzugsweise
die kräftigen Charaktere aus seinem Landadel in sein Gefolge wählt. Auch
ein verständiger und maßvoller Sinn des Herrn wird am liebsten gut geartete,
nicht stark hervortretende Männer von vermittelnden Wesen zu Vertrauten der
vorübergehenden Tagesstimmungcn aussuchen. Er wird es vielleicht für einen
Vorzug halten, wenn sie keine selbstständige politische Meinung vertreten. Es
scheint uns, daß eine solche Methode keinen Schutz gewahrt gegen das unab¬
lässige stille Einwirken aristokratischer Stimmungen auf die Seele des Fürsten.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/19>, abgerufen am 15.05.2024.