Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Macht aussprach. So feindlich damals die französische Literatur dem Christen¬
thum gegcnübertrat, so war doch manches in ihr, was mit der gleichzeitigen
pietistischen Bewegung in Deutschland correspondirte, und die Virtuosität, mit
der z. B. Rousseau sein Inneres zersetzt und immer neue Entdeckungen darin
macht, hätte ein Herrnhuter beneiden können. Die Glaubensphilosophie, wie
später die Romantik, waren antifranzösisch, aber ihre Waffen hatten sie in
Frankreich zugespitzt. Vergleicht man z. V. die Briefe von Caroline Flachs¬
land an ihren Bräutigam Herder mit den Briefen des Rahelschen Kreises, so
versteht man den grellen Contrast nur aus den eingeschobenen französischen
Briefen des letztern. Freilich hatte in den 20 bis 30 Jahren, die dazwischen
lagen, auch Deutschland eine ganz neue Sprache gefunden. --Was den Reiz dieser
Briefe, wenn sie nicht ins Barocke und Ucberspannte übergehen, so sehr erhöht,
ist die eigenthümliche Mischung von anmuihiger Frivolität und dem, was die ,
Franzosen ki'istesso und l^imui nennen, wofür wir eigentlich kein Wort haben,
denn Traurigkeit und Langeweile sagen durchaus uicht dasselbe. Diese Mischung
findet sich schon in der älteren Literatur in einigen glänzenden Beispielen,
namentlich in Pascal, den daher unsre Glaubensphilosvphen auch gern citiren.
Die Sehnsucht nach der Natur im Gegensatz gegen die Convenienz, durch
Rousseau mit großer Kraft ausgesprochen, wurden freilich noch mehr durch das
Vorbild der Engländer bei uns eingeführt, und die echte Empfindsamkeit, d. h.
das gemüthliche Behagen an Dingen, die eigentlich unangenehm sein sollten,
kann man specifisch deutsch nennen.

Die Empfindung als Macht tritt erst dann in die Literatur ein, als ihr
Klopstock eine poetische Sprache schuf. Die Wichtigkeit des Messias sür jene
Zeit vermögen wir kaum mehr zu beurtheilen, wenn wir nicht die Zeugnisse
jener Periode zur Hand nehmen, hauptsächlich die Bodmerjchen Briefe. Bod-
mer war von vornherein weder Schwärmer noch orthodox, er war nur ein
Anempfinder, der vielseitig darüber gegrübelt hatte, wie man der Poesie wieder
aufhelfen könne, und nun durch die Entdeckung Klopstocks wie von einem Blitz¬
strahl getroffen wurde. sein Brief an Fanny, worin er ihr dringend ans
Herz legt, im Interesse des Vaterlandes und der Menschheit den Sänger des
Messias zu lieben und ihm große Gedanken ins Herz zu flößen, ist eben so
rührend als komisch. Die Hauptsache im Messias war der stolze Strom der
Empfindung. Bisher hatte sich das Gefühl nur verschämt, weinerlich, in
herrnhutischer Manier geäußert, nun durfte es mit dem ganzen Stolz jener
Muse austreten, die Homer und David begeistert. Der Stoff hob die Form
und die Form den Stoff. Der Dichter war nicht mehr blos ein Schöngeist, ,
ein geschickter Künstler, er war der Genius, der Offenbarer höherer Geheim¬
nisse, und seine ganze Person wurde von einem heiligen Nimbus umgeben.
Klopstock hatte sich bemüht, so orthodox als möglich zu sein, aber wenn er die


Macht aussprach. So feindlich damals die französische Literatur dem Christen¬
thum gegcnübertrat, so war doch manches in ihr, was mit der gleichzeitigen
pietistischen Bewegung in Deutschland correspondirte, und die Virtuosität, mit
der z. B. Rousseau sein Inneres zersetzt und immer neue Entdeckungen darin
macht, hätte ein Herrnhuter beneiden können. Die Glaubensphilosophie, wie
später die Romantik, waren antifranzösisch, aber ihre Waffen hatten sie in
Frankreich zugespitzt. Vergleicht man z. V. die Briefe von Caroline Flachs¬
land an ihren Bräutigam Herder mit den Briefen des Rahelschen Kreises, so
versteht man den grellen Contrast nur aus den eingeschobenen französischen
Briefen des letztern. Freilich hatte in den 20 bis 30 Jahren, die dazwischen
lagen, auch Deutschland eine ganz neue Sprache gefunden. —Was den Reiz dieser
Briefe, wenn sie nicht ins Barocke und Ucberspannte übergehen, so sehr erhöht,
ist die eigenthümliche Mischung von anmuihiger Frivolität und dem, was die ,
Franzosen ki'istesso und l^imui nennen, wofür wir eigentlich kein Wort haben,
denn Traurigkeit und Langeweile sagen durchaus uicht dasselbe. Diese Mischung
findet sich schon in der älteren Literatur in einigen glänzenden Beispielen,
namentlich in Pascal, den daher unsre Glaubensphilosvphen auch gern citiren.
Die Sehnsucht nach der Natur im Gegensatz gegen die Convenienz, durch
Rousseau mit großer Kraft ausgesprochen, wurden freilich noch mehr durch das
Vorbild der Engländer bei uns eingeführt, und die echte Empfindsamkeit, d. h.
das gemüthliche Behagen an Dingen, die eigentlich unangenehm sein sollten,
kann man specifisch deutsch nennen.

Die Empfindung als Macht tritt erst dann in die Literatur ein, als ihr
Klopstock eine poetische Sprache schuf. Die Wichtigkeit des Messias sür jene
Zeit vermögen wir kaum mehr zu beurtheilen, wenn wir nicht die Zeugnisse
jener Periode zur Hand nehmen, hauptsächlich die Bodmerjchen Briefe. Bod-
mer war von vornherein weder Schwärmer noch orthodox, er war nur ein
Anempfinder, der vielseitig darüber gegrübelt hatte, wie man der Poesie wieder
aufhelfen könne, und nun durch die Entdeckung Klopstocks wie von einem Blitz¬
strahl getroffen wurde. sein Brief an Fanny, worin er ihr dringend ans
Herz legt, im Interesse des Vaterlandes und der Menschheit den Sänger des
Messias zu lieben und ihm große Gedanken ins Herz zu flößen, ist eben so
rührend als komisch. Die Hauptsache im Messias war der stolze Strom der
Empfindung. Bisher hatte sich das Gefühl nur verschämt, weinerlich, in
herrnhutischer Manier geäußert, nun durfte es mit dem ganzen Stolz jener
Muse austreten, die Homer und David begeistert. Der Stoff hob die Form
und die Form den Stoff. Der Dichter war nicht mehr blos ein Schöngeist, ,
ein geschickter Künstler, er war der Genius, der Offenbarer höherer Geheim¬
nisse, und seine ganze Person wurde von einem heiligen Nimbus umgeben.
Klopstock hatte sich bemüht, so orthodox als möglich zu sein, aber wenn er die


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0026" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/108748"/>
          <p xml:id="ID_41" prev="#ID_40"> Macht aussprach. So feindlich damals die französische Literatur dem Christen¬<lb/>
thum gegcnübertrat, so war doch manches in ihr, was mit der gleichzeitigen<lb/>
pietistischen Bewegung in Deutschland correspondirte, und die Virtuosität, mit<lb/>
der z. B. Rousseau sein Inneres zersetzt und immer neue Entdeckungen darin<lb/>
macht, hätte ein Herrnhuter beneiden können. Die Glaubensphilosophie, wie<lb/>
später die Romantik, waren antifranzösisch, aber ihre Waffen hatten sie in<lb/>
Frankreich zugespitzt. Vergleicht man z. V. die Briefe von Caroline Flachs¬<lb/>
land an ihren Bräutigam Herder mit den Briefen des Rahelschen Kreises, so<lb/>
versteht man den grellen Contrast nur aus den eingeschobenen französischen<lb/>
Briefen des letztern. Freilich hatte in den 20 bis 30 Jahren, die dazwischen<lb/>
lagen, auch Deutschland eine ganz neue Sprache gefunden. &#x2014;Was den Reiz dieser<lb/>
Briefe, wenn sie nicht ins Barocke und Ucberspannte übergehen, so sehr erhöht,<lb/>
ist die eigenthümliche Mischung von anmuihiger Frivolität und dem, was die ,<lb/>
Franzosen ki'istesso und l^imui nennen, wofür wir eigentlich kein Wort haben,<lb/>
denn Traurigkeit und Langeweile sagen durchaus uicht dasselbe. Diese Mischung<lb/>
findet sich schon in der älteren Literatur in einigen glänzenden Beispielen,<lb/>
namentlich in Pascal, den daher unsre Glaubensphilosvphen auch gern citiren.<lb/>
Die Sehnsucht nach der Natur im Gegensatz gegen die Convenienz, durch<lb/>
Rousseau mit großer Kraft ausgesprochen, wurden freilich noch mehr durch das<lb/>
Vorbild der Engländer bei uns eingeführt, und die echte Empfindsamkeit, d. h.<lb/>
das gemüthliche Behagen an Dingen, die eigentlich unangenehm sein sollten,<lb/>
kann man specifisch deutsch nennen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_42" next="#ID_43"> Die Empfindung als Macht tritt erst dann in die Literatur ein, als ihr<lb/>
Klopstock eine poetische Sprache schuf. Die Wichtigkeit des Messias sür jene<lb/>
Zeit vermögen wir kaum mehr zu beurtheilen, wenn wir nicht die Zeugnisse<lb/>
jener Periode zur Hand nehmen, hauptsächlich die Bodmerjchen Briefe. Bod-<lb/>
mer war von vornherein weder Schwärmer noch orthodox, er war nur ein<lb/>
Anempfinder, der vielseitig darüber gegrübelt hatte, wie man der Poesie wieder<lb/>
aufhelfen könne, und nun durch die Entdeckung Klopstocks wie von einem Blitz¬<lb/>
strahl getroffen wurde. sein Brief an Fanny, worin er ihr dringend ans<lb/>
Herz legt, im Interesse des Vaterlandes und der Menschheit den Sänger des<lb/>
Messias zu lieben und ihm große Gedanken ins Herz zu flößen, ist eben so<lb/>
rührend als komisch. Die Hauptsache im Messias war der stolze Strom der<lb/>
Empfindung. Bisher hatte sich das Gefühl nur verschämt, weinerlich, in<lb/>
herrnhutischer Manier geäußert, nun durfte es mit dem ganzen Stolz jener<lb/>
Muse austreten, die Homer und David begeistert. Der Stoff hob die Form<lb/>
und die Form den Stoff. Der Dichter war nicht mehr blos ein Schöngeist, ,<lb/>
ein geschickter Künstler, er war der Genius, der Offenbarer höherer Geheim¬<lb/>
nisse, und seine ganze Person wurde von einem heiligen Nimbus umgeben.<lb/>
Klopstock hatte sich bemüht, so orthodox als möglich zu sein, aber wenn er die</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0026] Macht aussprach. So feindlich damals die französische Literatur dem Christen¬ thum gegcnübertrat, so war doch manches in ihr, was mit der gleichzeitigen pietistischen Bewegung in Deutschland correspondirte, und die Virtuosität, mit der z. B. Rousseau sein Inneres zersetzt und immer neue Entdeckungen darin macht, hätte ein Herrnhuter beneiden können. Die Glaubensphilosophie, wie später die Romantik, waren antifranzösisch, aber ihre Waffen hatten sie in Frankreich zugespitzt. Vergleicht man z. V. die Briefe von Caroline Flachs¬ land an ihren Bräutigam Herder mit den Briefen des Rahelschen Kreises, so versteht man den grellen Contrast nur aus den eingeschobenen französischen Briefen des letztern. Freilich hatte in den 20 bis 30 Jahren, die dazwischen lagen, auch Deutschland eine ganz neue Sprache gefunden. —Was den Reiz dieser Briefe, wenn sie nicht ins Barocke und Ucberspannte übergehen, so sehr erhöht, ist die eigenthümliche Mischung von anmuihiger Frivolität und dem, was die , Franzosen ki'istesso und l^imui nennen, wofür wir eigentlich kein Wort haben, denn Traurigkeit und Langeweile sagen durchaus uicht dasselbe. Diese Mischung findet sich schon in der älteren Literatur in einigen glänzenden Beispielen, namentlich in Pascal, den daher unsre Glaubensphilosvphen auch gern citiren. Die Sehnsucht nach der Natur im Gegensatz gegen die Convenienz, durch Rousseau mit großer Kraft ausgesprochen, wurden freilich noch mehr durch das Vorbild der Engländer bei uns eingeführt, und die echte Empfindsamkeit, d. h. das gemüthliche Behagen an Dingen, die eigentlich unangenehm sein sollten, kann man specifisch deutsch nennen. Die Empfindung als Macht tritt erst dann in die Literatur ein, als ihr Klopstock eine poetische Sprache schuf. Die Wichtigkeit des Messias sür jene Zeit vermögen wir kaum mehr zu beurtheilen, wenn wir nicht die Zeugnisse jener Periode zur Hand nehmen, hauptsächlich die Bodmerjchen Briefe. Bod- mer war von vornherein weder Schwärmer noch orthodox, er war nur ein Anempfinder, der vielseitig darüber gegrübelt hatte, wie man der Poesie wieder aufhelfen könne, und nun durch die Entdeckung Klopstocks wie von einem Blitz¬ strahl getroffen wurde. sein Brief an Fanny, worin er ihr dringend ans Herz legt, im Interesse des Vaterlandes und der Menschheit den Sänger des Messias zu lieben und ihm große Gedanken ins Herz zu flößen, ist eben so rührend als komisch. Die Hauptsache im Messias war der stolze Strom der Empfindung. Bisher hatte sich das Gefühl nur verschämt, weinerlich, in herrnhutischer Manier geäußert, nun durfte es mit dem ganzen Stolz jener Muse austreten, die Homer und David begeistert. Der Stoff hob die Form und die Form den Stoff. Der Dichter war nicht mehr blos ein Schöngeist, , ein geschickter Künstler, er war der Genius, der Offenbarer höherer Geheim¬ nisse, und seine ganze Person wurde von einem heiligen Nimbus umgeben. Klopstock hatte sich bemüht, so orthodox als möglich zu sein, aber wenn er die

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/26
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/26>, abgerufen am 15.05.2024.