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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

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Unterredungen zwischen den Personen der heiligen Dreifaltigkeit berichtete, so
mußte der wahrhaft Rechtgläubige doch stutzig werden; denn wo hatte der
Quedlinburger diese Nachrichten her? Das Mißfallen stieg, als Klopstock den
gefühlvollen Frauen seiner Bekanntschaft zu Liebe einen Verdammten erlöste;
denn wo blieb nun das Dogma von den ewigen Höllenstrafen? Indeß fanden
diese Anklagen der strengern Orthodoxie kein Gehör, und man hatte nun ge¬
lernt, der Religion durch Dichtung, auch wol durch Erdichtung zu Hilfe zu
kommen. Nicht blos Bodmer ging auf dem betretenen Pfade weiter, auch
Wieland in seiner ersten Periode, und es sah eine Zeitlang aus. als ob der
Hexameter mit zu den Kennzeichen einer gemäßigten Rechtgläubigkeit gehörte.
War freilich die erste Freude über die Macht des christlichen Gefühls vorüber,
so mußte man wahrnehmen, daß der Stoff des neuen Testaments für epische,
d. h. sinnliche. Darstellungen nicht sehr ausgiebig sei. und so ist denn der
Versuch begreiflich, sich an das einzige Buch zu halten, das starke, ja grelle
Farben und Umrisse gibt, so wenig man es auch versteht, an die Offenbarung
Johannis. Lavater machte diesen Versuch, er ist in neuster Zeit durch einen
großen Künstler auf dem Gebiet der Malerei erneuert worden.

Unabhängig von diesen poetischen Bestrebungen durchzuckt die ganze Zeit
die Sehnsucht, sich dem Ueberirdischen auf unmittelbare Weise zu nähern.
Man hat im vorigen Jahrhundert mit dem Freimaurerorden die verschieden¬
artigsten Tendenzen verknüpft: man hat durch ihn den Gegensatz der Na¬
tionen ausgleichen wollen, man hat ihn mit dem politischen Fortschritt in
Verbindung gebracht, auch die Jesuiten und Aristokraten suchten ihn auszu¬
beuten, da im Dunkeln sich jeder beliebige Wunsch geltend machen kann. Was
aber die Menge zu ihm zog. war doch dieselbe Sehnsucht, welche die pietisti¬
schen Betstuben öffnete, die Sehnsucht, das Göttliche zu schauen. In den
Betstuben wollte man Gott durch die Macht des Glaubens herabzwingen,
hier hoffte man es bequemer zu haben, sein Anblick sollte dem Wissenden ge¬
radezu geschenkt werden. Noch leichter machten es die zahlreichen Wunder¬
thäter jener Zeit den Menschen, und wenn die meisten von ihnen gemeine
Betrüger waren, so spielt, wie in der Zeit der Hexenprocesse, in ihrem eigenen
Denken die Illusion eine große Rolle, und es ist nicht immer mit Sicherheit
festzustellen, wo die Selbsttäuschung in die Lüge übergeht. Merkwürdig ist
eine seltsame Mischung von christlichem Glauben und Hexerei: der wahre
Glaube wirkt freilich nur durch das Wort, aber man konnte ihm durch Ge¬
heimmittel der Physik, durch verborgne Kräfte der Natur zu Hülfe kommen.
Daher das große Interesse am thierischen Magnetismus und an ähnlichen
Dingen, denen gegenüber wir Tischrücker und Geisterklopfer des neunzehnten
Jahrhunderts uns nicht eine gar zu vornehme Miene geben sollten.

Diese Wunderthäter, diese dämonischen Menschen, gegen welche keine


Unterredungen zwischen den Personen der heiligen Dreifaltigkeit berichtete, so
mußte der wahrhaft Rechtgläubige doch stutzig werden; denn wo hatte der
Quedlinburger diese Nachrichten her? Das Mißfallen stieg, als Klopstock den
gefühlvollen Frauen seiner Bekanntschaft zu Liebe einen Verdammten erlöste;
denn wo blieb nun das Dogma von den ewigen Höllenstrafen? Indeß fanden
diese Anklagen der strengern Orthodoxie kein Gehör, und man hatte nun ge¬
lernt, der Religion durch Dichtung, auch wol durch Erdichtung zu Hilfe zu
kommen. Nicht blos Bodmer ging auf dem betretenen Pfade weiter, auch
Wieland in seiner ersten Periode, und es sah eine Zeitlang aus. als ob der
Hexameter mit zu den Kennzeichen einer gemäßigten Rechtgläubigkeit gehörte.
War freilich die erste Freude über die Macht des christlichen Gefühls vorüber,
so mußte man wahrnehmen, daß der Stoff des neuen Testaments für epische,
d. h. sinnliche. Darstellungen nicht sehr ausgiebig sei. und so ist denn der
Versuch begreiflich, sich an das einzige Buch zu halten, das starke, ja grelle
Farben und Umrisse gibt, so wenig man es auch versteht, an die Offenbarung
Johannis. Lavater machte diesen Versuch, er ist in neuster Zeit durch einen
großen Künstler auf dem Gebiet der Malerei erneuert worden.

Unabhängig von diesen poetischen Bestrebungen durchzuckt die ganze Zeit
die Sehnsucht, sich dem Ueberirdischen auf unmittelbare Weise zu nähern.
Man hat im vorigen Jahrhundert mit dem Freimaurerorden die verschieden¬
artigsten Tendenzen verknüpft: man hat durch ihn den Gegensatz der Na¬
tionen ausgleichen wollen, man hat ihn mit dem politischen Fortschritt in
Verbindung gebracht, auch die Jesuiten und Aristokraten suchten ihn auszu¬
beuten, da im Dunkeln sich jeder beliebige Wunsch geltend machen kann. Was
aber die Menge zu ihm zog. war doch dieselbe Sehnsucht, welche die pietisti¬
schen Betstuben öffnete, die Sehnsucht, das Göttliche zu schauen. In den
Betstuben wollte man Gott durch die Macht des Glaubens herabzwingen,
hier hoffte man es bequemer zu haben, sein Anblick sollte dem Wissenden ge¬
radezu geschenkt werden. Noch leichter machten es die zahlreichen Wunder¬
thäter jener Zeit den Menschen, und wenn die meisten von ihnen gemeine
Betrüger waren, so spielt, wie in der Zeit der Hexenprocesse, in ihrem eigenen
Denken die Illusion eine große Rolle, und es ist nicht immer mit Sicherheit
festzustellen, wo die Selbsttäuschung in die Lüge übergeht. Merkwürdig ist
eine seltsame Mischung von christlichem Glauben und Hexerei: der wahre
Glaube wirkt freilich nur durch das Wort, aber man konnte ihm durch Ge¬
heimmittel der Physik, durch verborgne Kräfte der Natur zu Hülfe kommen.
Daher das große Interesse am thierischen Magnetismus und an ähnlichen
Dingen, denen gegenüber wir Tischrücker und Geisterklopfer des neunzehnten
Jahrhunderts uns nicht eine gar zu vornehme Miene geben sollten.

Diese Wunderthäter, diese dämonischen Menschen, gegen welche keine


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/27>, abgerufen am 15.05.2024.