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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

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von den Laien, sondern von den Kardinälen und Prälaten gewühlt. Ur-
wähler also war die hohe Geistlichkeit, Wahlmann die Spitze derselben.

Der März 1848 zwang dem Papst eine Konstitution ab, welche das
Wahlrecht des Volkes anerkannte, in Wahrheit aber ebenso illusorisch war wie
die frühere. Pius setzte über die beiden Kammern des Bürgerstandes und
des Adels das Cardinalscollegium als Senat und stellte an die Spitze des
Staatsgrundgesetzes den Satz, daß die Souveränetät des Papstes ungeschwächt
erhalten werden müsse. Darnach handelte er. Rom hatte eine Volksvertre¬
tung und dieselbe berieth und beschloß nicht weniger als neunundsechzig Ge¬
setze, aber Pius gab auch nicht einem einzigen seine Genehmigung.

Welche Zugeständnisse der Papst der öffentlichen Meinung im folgenden
September machen wollte, als er das Ministerium Rossi bildete, läßt sich nicht
bestimmen, da Rossi ermordet wurde, ehe er sein Programm vortragen konnte,
und Pius wenige Tage später nach Gaeta flüchtete. Nach den Gesetzen zu
schließen, die in der Epoche der Restauration gegeben wurden, würden auch
diese Reformen durchaus unbefriedigend ausgefallen sein. Der Kirchenstaat
besitzt in jenen Gesetzen eine Art Konstitution, nach welcher die Gemeinde,
die Provinz, der Staat Vertreter hat; das Unglück will nur, daß diese dem
Wahlsystem nach nicht das Volk, sondern den Papst vertreten. Die Gemeinde¬
vertretung ist die Basis des Gebäudes; aber nicht die Gemeinde, sondern der
Papst ernennt die Wahlmänner, die den Gemeinderath wählen. Jeder Ge-
meinderath entwirft eine Liste mit vielen Namen, aus welchen der Papst die
Provinzialräthe auswählt. Die Staatsconsulta endlich besteht aus solchen
Männern, die der Papst aus den von den Provinzialräthcn aufgestellten Listen
heraushebt. Nicht genug, daß auf diese Weise der Herrscher des Staates der
alleinige Wähler ist, sowol die Gemeinde- und Provinzialräthe als die Staats¬
consulta werden noch von eignen Beamten beaufsichtigt und geleitet und man
legt ihnen nur das vor, was der Regierung ihnen vorzulegen beliebt. Ein
Dritttheil der Mitglieder des Staatsrathes ernennt der Papst unmittelbar,
ebenso wühlt er die beiden Vorsitzenden aus den Cardinälen und Prälaten,
letztere haben zu entscheiden, welche Gegenstände zur Berathung kommen und
ob die Regierungsvorlagen mit Documenten zu belegen sind oder nicht. Das
Gesetz verheißt den angeblichen Vertretern des Staates eine "Beschäftigung"
mit Finanzfragen; allein bis jetzt hat man ihren Rath in Geldsachen nur
ganz ausnahmsweise befolgt, und ein Gesetz bezüglich einer Anleihe, einer
neuen Steuer, eines Verkaufs von Staatsgütern ist ihnen noch niemals vor¬
gelegt worden. Die Staatsconsulta, die Provinzialräthe sind ein reines Mas¬
kenspiel, vor Europa aufgeführt, um ihm vorzuspiegeln, Rom sei so glücklich,
sich im Besitz freisinniger Einrichtungen zu befinden.

Die Natur wie die Geschichte des Papstthums zeigen, daß es in allen


von den Laien, sondern von den Kardinälen und Prälaten gewühlt. Ur-
wähler also war die hohe Geistlichkeit, Wahlmann die Spitze derselben.

Der März 1848 zwang dem Papst eine Konstitution ab, welche das
Wahlrecht des Volkes anerkannte, in Wahrheit aber ebenso illusorisch war wie
die frühere. Pius setzte über die beiden Kammern des Bürgerstandes und
des Adels das Cardinalscollegium als Senat und stellte an die Spitze des
Staatsgrundgesetzes den Satz, daß die Souveränetät des Papstes ungeschwächt
erhalten werden müsse. Darnach handelte er. Rom hatte eine Volksvertre¬
tung und dieselbe berieth und beschloß nicht weniger als neunundsechzig Ge¬
setze, aber Pius gab auch nicht einem einzigen seine Genehmigung.

Welche Zugeständnisse der Papst der öffentlichen Meinung im folgenden
September machen wollte, als er das Ministerium Rossi bildete, läßt sich nicht
bestimmen, da Rossi ermordet wurde, ehe er sein Programm vortragen konnte,
und Pius wenige Tage später nach Gaeta flüchtete. Nach den Gesetzen zu
schließen, die in der Epoche der Restauration gegeben wurden, würden auch
diese Reformen durchaus unbefriedigend ausgefallen sein. Der Kirchenstaat
besitzt in jenen Gesetzen eine Art Konstitution, nach welcher die Gemeinde,
die Provinz, der Staat Vertreter hat; das Unglück will nur, daß diese dem
Wahlsystem nach nicht das Volk, sondern den Papst vertreten. Die Gemeinde¬
vertretung ist die Basis des Gebäudes; aber nicht die Gemeinde, sondern der
Papst ernennt die Wahlmänner, die den Gemeinderath wählen. Jeder Ge-
meinderath entwirft eine Liste mit vielen Namen, aus welchen der Papst die
Provinzialräthe auswählt. Die Staatsconsulta endlich besteht aus solchen
Männern, die der Papst aus den von den Provinzialräthcn aufgestellten Listen
heraushebt. Nicht genug, daß auf diese Weise der Herrscher des Staates der
alleinige Wähler ist, sowol die Gemeinde- und Provinzialräthe als die Staats¬
consulta werden noch von eignen Beamten beaufsichtigt und geleitet und man
legt ihnen nur das vor, was der Regierung ihnen vorzulegen beliebt. Ein
Dritttheil der Mitglieder des Staatsrathes ernennt der Papst unmittelbar,
ebenso wühlt er die beiden Vorsitzenden aus den Cardinälen und Prälaten,
letztere haben zu entscheiden, welche Gegenstände zur Berathung kommen und
ob die Regierungsvorlagen mit Documenten zu belegen sind oder nicht. Das
Gesetz verheißt den angeblichen Vertretern des Staates eine „Beschäftigung"
mit Finanzfragen; allein bis jetzt hat man ihren Rath in Geldsachen nur
ganz ausnahmsweise befolgt, und ein Gesetz bezüglich einer Anleihe, einer
neuen Steuer, eines Verkaufs von Staatsgütern ist ihnen noch niemals vor¬
gelegt worden. Die Staatsconsulta, die Provinzialräthe sind ein reines Mas¬
kenspiel, vor Europa aufgeführt, um ihm vorzuspiegeln, Rom sei so glücklich,
sich im Besitz freisinniger Einrichtungen zu befinden.

Die Natur wie die Geschichte des Papstthums zeigen, daß es in allen


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[0307] von den Laien, sondern von den Kardinälen und Prälaten gewühlt. Ur- wähler also war die hohe Geistlichkeit, Wahlmann die Spitze derselben. Der März 1848 zwang dem Papst eine Konstitution ab, welche das Wahlrecht des Volkes anerkannte, in Wahrheit aber ebenso illusorisch war wie die frühere. Pius setzte über die beiden Kammern des Bürgerstandes und des Adels das Cardinalscollegium als Senat und stellte an die Spitze des Staatsgrundgesetzes den Satz, daß die Souveränetät des Papstes ungeschwächt erhalten werden müsse. Darnach handelte er. Rom hatte eine Volksvertre¬ tung und dieselbe berieth und beschloß nicht weniger als neunundsechzig Ge¬ setze, aber Pius gab auch nicht einem einzigen seine Genehmigung. Welche Zugeständnisse der Papst der öffentlichen Meinung im folgenden September machen wollte, als er das Ministerium Rossi bildete, läßt sich nicht bestimmen, da Rossi ermordet wurde, ehe er sein Programm vortragen konnte, und Pius wenige Tage später nach Gaeta flüchtete. Nach den Gesetzen zu schließen, die in der Epoche der Restauration gegeben wurden, würden auch diese Reformen durchaus unbefriedigend ausgefallen sein. Der Kirchenstaat besitzt in jenen Gesetzen eine Art Konstitution, nach welcher die Gemeinde, die Provinz, der Staat Vertreter hat; das Unglück will nur, daß diese dem Wahlsystem nach nicht das Volk, sondern den Papst vertreten. Die Gemeinde¬ vertretung ist die Basis des Gebäudes; aber nicht die Gemeinde, sondern der Papst ernennt die Wahlmänner, die den Gemeinderath wählen. Jeder Ge- meinderath entwirft eine Liste mit vielen Namen, aus welchen der Papst die Provinzialräthe auswählt. Die Staatsconsulta endlich besteht aus solchen Männern, die der Papst aus den von den Provinzialräthcn aufgestellten Listen heraushebt. Nicht genug, daß auf diese Weise der Herrscher des Staates der alleinige Wähler ist, sowol die Gemeinde- und Provinzialräthe als die Staats¬ consulta werden noch von eignen Beamten beaufsichtigt und geleitet und man legt ihnen nur das vor, was der Regierung ihnen vorzulegen beliebt. Ein Dritttheil der Mitglieder des Staatsrathes ernennt der Papst unmittelbar, ebenso wühlt er die beiden Vorsitzenden aus den Cardinälen und Prälaten, letztere haben zu entscheiden, welche Gegenstände zur Berathung kommen und ob die Regierungsvorlagen mit Documenten zu belegen sind oder nicht. Das Gesetz verheißt den angeblichen Vertretern des Staates eine „Beschäftigung" mit Finanzfragen; allein bis jetzt hat man ihren Rath in Geldsachen nur ganz ausnahmsweise befolgt, und ein Gesetz bezüglich einer Anleihe, einer neuen Steuer, eines Verkaufs von Staatsgütern ist ihnen noch niemals vor¬ gelegt worden. Die Staatsconsulta, die Provinzialräthe sind ein reines Mas¬ kenspiel, vor Europa aufgeführt, um ihm vorzuspiegeln, Rom sei so glücklich, sich im Besitz freisinniger Einrichtungen zu befinden. Die Natur wie die Geschichte des Papstthums zeigen, daß es in allen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/307>, abgerufen am 31.05.2024.