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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

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wesentlichen Zügen unverbesserlich ist. wenn man sich nicht entschließt, die Tiara
in ihre Bestandtheile: Krone und Bischofsmütze, zu zerlegen. Wer von der
Möglichkeit, die heillosen Zustände des Kirchenstaats durch andere Mittel zu
heilen, spricht, plaidirt bewußt oder unbewußt für die volle Erhaltung des
Alten, für eine Reform, die nur eine Umkleidung der jetzigen Mißbräuche ist.
Das Papstthum kann sich nicht selbst in die zwei Naturen zerlegen, die in
ihm verschmolzen sind, und da die Verhältnisse des Kirchenstaats auf dem
Punkte angelangt sind, wo eine solche Trennung zur Nothwendigkeit geworden
ist, so müssen andere die Scheidung vollziehen. Es wäre unbillig, wollte
man erwarten, einen Papst so regieren zu sehen, daß dessen rechte
Hand nicht wüßte, was die linke thut. Ist es gegen das Gewissen des
Kirchenfürsten. seinem weltlichen Reiche solche Einrichtungen zu geben, welche
es glücklich machen, verstößt er damit gegen den Himmel, wohlan so ist es
Menschenpflicht gegen ihn selbst wie gegen sein Volk, ihm aus diesem Con¬
flict herauszuhelfen, so müssen die. welche kein päpstliches Gewissen zu haben
brauchen, die Verantwortlichkeit für ihn auf sich nehmen. Ist es wahr,
daß der Katholicismus mit dem Papstthum, das Papstthum mit der Sücu-
larisation des Kirchenstaates fällt, so wird immer noch die Frage erlaubt
sein, wie die Römer dazu kommen, für die gesammte katholische Welt zu
leiden?

Die Mittel zu finden, welche verhüten, daß der katholischen Kirche Scha¬
den geschehe, ist Sache der katholischen Mächte. Die protestantische Welt hat
keinen Beruf, sich damit zu echaufsiren. Sie hätte nur dann Veranlassung,
ein Wort mit drein zu reden, wenn zu fürchten wäre, daß die politische Welt¬
ordnung, das europäische Gleichgewicht durch die angeführte Maßregel ins
Schwanken geriethe. Daß dies nicht der Fall ist, daß im Gegentheil der
Kirchenstaat in feiner jetzigen Gestalt eine stete Bedrohung Italiens und mit
diesem ganz Europas, ein.fortwährender Herd für das Feuer der Revolution
ist, braucht nicht nachgewiesen zu werden, und können wir so unsre volle
Sympathie dem römischen Volke zuwenden, so fordert auch unser Interesse,
daß ihm der Sieg erleichtert werde. Das rothe Gespenst des Mazzinismus
Wird nicht eher verschwinden, als bis die römische Frage gelöst ist; es saugt
seine Lebenskraft nicht sowol aus dem Geist der Bevölkerungen, als aus der
faulen Luft, welche die stagnirenden Zustände dieser Bevölkerungen ausströmen.
Wo diese Stagnation durch das letzte Jahr ein Ende sand. geht der Spuk
schon jetzt nur noch als blasser blutloser Schemen um.

In einem zweiten Artikel werden wir versuchen, anzudeuten, was der
Kirchenstaat unter einer verständigen Regierung sein könnte, und dann weiter
auszuführen, was er dem im Vorstehenden skizzirten System zufolge jetzt ist und
bleiben muß.




wesentlichen Zügen unverbesserlich ist. wenn man sich nicht entschließt, die Tiara
in ihre Bestandtheile: Krone und Bischofsmütze, zu zerlegen. Wer von der
Möglichkeit, die heillosen Zustände des Kirchenstaats durch andere Mittel zu
heilen, spricht, plaidirt bewußt oder unbewußt für die volle Erhaltung des
Alten, für eine Reform, die nur eine Umkleidung der jetzigen Mißbräuche ist.
Das Papstthum kann sich nicht selbst in die zwei Naturen zerlegen, die in
ihm verschmolzen sind, und da die Verhältnisse des Kirchenstaats auf dem
Punkte angelangt sind, wo eine solche Trennung zur Nothwendigkeit geworden
ist, so müssen andere die Scheidung vollziehen. Es wäre unbillig, wollte
man erwarten, einen Papst so regieren zu sehen, daß dessen rechte
Hand nicht wüßte, was die linke thut. Ist es gegen das Gewissen des
Kirchenfürsten. seinem weltlichen Reiche solche Einrichtungen zu geben, welche
es glücklich machen, verstößt er damit gegen den Himmel, wohlan so ist es
Menschenpflicht gegen ihn selbst wie gegen sein Volk, ihm aus diesem Con¬
flict herauszuhelfen, so müssen die. welche kein päpstliches Gewissen zu haben
brauchen, die Verantwortlichkeit für ihn auf sich nehmen. Ist es wahr,
daß der Katholicismus mit dem Papstthum, das Papstthum mit der Sücu-
larisation des Kirchenstaates fällt, so wird immer noch die Frage erlaubt
sein, wie die Römer dazu kommen, für die gesammte katholische Welt zu
leiden?

Die Mittel zu finden, welche verhüten, daß der katholischen Kirche Scha¬
den geschehe, ist Sache der katholischen Mächte. Die protestantische Welt hat
keinen Beruf, sich damit zu echaufsiren. Sie hätte nur dann Veranlassung,
ein Wort mit drein zu reden, wenn zu fürchten wäre, daß die politische Welt¬
ordnung, das europäische Gleichgewicht durch die angeführte Maßregel ins
Schwanken geriethe. Daß dies nicht der Fall ist, daß im Gegentheil der
Kirchenstaat in feiner jetzigen Gestalt eine stete Bedrohung Italiens und mit
diesem ganz Europas, ein.fortwährender Herd für das Feuer der Revolution
ist, braucht nicht nachgewiesen zu werden, und können wir so unsre volle
Sympathie dem römischen Volke zuwenden, so fordert auch unser Interesse,
daß ihm der Sieg erleichtert werde. Das rothe Gespenst des Mazzinismus
Wird nicht eher verschwinden, als bis die römische Frage gelöst ist; es saugt
seine Lebenskraft nicht sowol aus dem Geist der Bevölkerungen, als aus der
faulen Luft, welche die stagnirenden Zustände dieser Bevölkerungen ausströmen.
Wo diese Stagnation durch das letzte Jahr ein Ende sand. geht der Spuk
schon jetzt nur noch als blasser blutloser Schemen um.

In einem zweiten Artikel werden wir versuchen, anzudeuten, was der
Kirchenstaat unter einer verständigen Regierung sein könnte, und dann weiter
auszuführen, was er dem im Vorstehenden skizzirten System zufolge jetzt ist und
bleiben muß.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/308>, abgerufen am 15.05.2024.