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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

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Classen an Einfluß und hat die kriegerische Classe die Oberhand." -- Die
civilisirten Nationen dagegen, z. B. die Franzosen, sind weniger kriegerisch!
-- Zur Erklärung dieser wunderbaren Behauptung muß noch hinzugefügt
werden, daß diese Abschnitte noch während des orientalischen Krieges geschrie¬
ben sind. -- Darauf folgt die Apotheose Adam Smiths und der Eisenbahnen,
durch welche der Krieg immer unmöglicher werde, und endlich ein Resum6. das
wir hier vorzugsweise mittheilen.

"Bei einem umfassenden Ueberblick hängen die Veränderungen bei jedem
Culturvolk im Ganzen einzig und allein von drei Dingen ab. Zuerst von
dem Umfang des Wissens seiner ausgezeichnetsten Männer; zweitens von der
Richtung, welche dieses Wissen nimmt, d. h. von den Gegenständen, auf
welche es sich bezieht; drittens und vor allen von der Ausdehnung, in welcher
dieses Wissen verbreitet ist. Dies sind die drei großen Hebel der Cultur,
und obgleich ihre Wirkung durch die Laster oder Tugenden mächtiger Indivi¬
duen gestört wird, so corrigiren sich doch diese moralischen Gefühle gegen¬
seitig, und im Durchschnitt bleiben lange Perioden unbeeinflußt davon. . .
Die riesenhaften Verbrechen Alexanders oder Napoleons verlieren nach einiger
Zeit ihre Wirkung, und die Angelegenheiten der Welt kehren auf ihr früheres
Maß zurück. Dies ist die Ebbe und Fluth der Geschichte, die fortwährende
Strömung, der wir nach den Gesetzen der Natur unterworfen sind. Ueber
alledem bewegt sich eine weit höhere Welt, und wie die Fluth weitcrrollt, jetzt
vor und jetzt zurück geht in ihrem endlosen Hin- und Herschwanken, gibt es
eins und nur eins, was ewig währt. Die Thaten schlechter Menschen
bringen nur zeitweilige Uebel hervor, die Thaten guter nur zeitweiliges Gutes;
und endlich sinkt Gut und Uebel zu Boden, wird aufgehoben durch nachfol¬
gende Generationen und geht in der unaufhörlichen Bewegung folgender
Jahrhunderte aus. Aber die Entdeckungen großer Männer verlassen uns nie,
sie sind unsterblich, sie enthalten jene ewigen Wahrheiten, die den Sturz von
Reichen überleben und die eine Religion nach der andern in Verfall gerathen
sehen. Alle Religionen haben ihr eigenes Maß und ihre eigene Regel, eine
gilt für ein gewisses Zeitalter, eine für ein anderes. Sie schwinden dahin
wie ein Traum, sie sind das Geschöpf einer Phantasie, von dem selbst die
Umrisse nicht stehen bleiben. Nur die Entdeckungen des Genius bleiben, ihm
allein verdanken wir alles was wir haben, sie sind sür alle Zeitalter und für
immer." --

Allerdings muß man sich an einen ziemlich weiten Blick gewöhnen, wenn
man diese Wahrheiten in der Geschichte wiederfinden will. Wir haben früher
geglaubt, daß Griechenland durch seine Wissenschaft nicht am Leben erhalten
wurde, daß erst Alexander, dann die römischen Feldherren der Welt auf ein
halbes Jahrtausend eine neue Gestalt gaben; daß das römische Reich trotz


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Classen an Einfluß und hat die kriegerische Classe die Oberhand." — Die
civilisirten Nationen dagegen, z. B. die Franzosen, sind weniger kriegerisch!
— Zur Erklärung dieser wunderbaren Behauptung muß noch hinzugefügt
werden, daß diese Abschnitte noch während des orientalischen Krieges geschrie¬
ben sind. — Darauf folgt die Apotheose Adam Smiths und der Eisenbahnen,
durch welche der Krieg immer unmöglicher werde, und endlich ein Resum6. das
wir hier vorzugsweise mittheilen.

„Bei einem umfassenden Ueberblick hängen die Veränderungen bei jedem
Culturvolk im Ganzen einzig und allein von drei Dingen ab. Zuerst von
dem Umfang des Wissens seiner ausgezeichnetsten Männer; zweitens von der
Richtung, welche dieses Wissen nimmt, d. h. von den Gegenständen, auf
welche es sich bezieht; drittens und vor allen von der Ausdehnung, in welcher
dieses Wissen verbreitet ist. Dies sind die drei großen Hebel der Cultur,
und obgleich ihre Wirkung durch die Laster oder Tugenden mächtiger Indivi¬
duen gestört wird, so corrigiren sich doch diese moralischen Gefühle gegen¬
seitig, und im Durchschnitt bleiben lange Perioden unbeeinflußt davon. . .
Die riesenhaften Verbrechen Alexanders oder Napoleons verlieren nach einiger
Zeit ihre Wirkung, und die Angelegenheiten der Welt kehren auf ihr früheres
Maß zurück. Dies ist die Ebbe und Fluth der Geschichte, die fortwährende
Strömung, der wir nach den Gesetzen der Natur unterworfen sind. Ueber
alledem bewegt sich eine weit höhere Welt, und wie die Fluth weitcrrollt, jetzt
vor und jetzt zurück geht in ihrem endlosen Hin- und Herschwanken, gibt es
eins und nur eins, was ewig währt. Die Thaten schlechter Menschen
bringen nur zeitweilige Uebel hervor, die Thaten guter nur zeitweiliges Gutes;
und endlich sinkt Gut und Uebel zu Boden, wird aufgehoben durch nachfol¬
gende Generationen und geht in der unaufhörlichen Bewegung folgender
Jahrhunderte aus. Aber die Entdeckungen großer Männer verlassen uns nie,
sie sind unsterblich, sie enthalten jene ewigen Wahrheiten, die den Sturz von
Reichen überleben und die eine Religion nach der andern in Verfall gerathen
sehen. Alle Religionen haben ihr eigenes Maß und ihre eigene Regel, eine
gilt für ein gewisses Zeitalter, eine für ein anderes. Sie schwinden dahin
wie ein Traum, sie sind das Geschöpf einer Phantasie, von dem selbst die
Umrisse nicht stehen bleiben. Nur die Entdeckungen des Genius bleiben, ihm
allein verdanken wir alles was wir haben, sie sind sür alle Zeitalter und für
immer." —

Allerdings muß man sich an einen ziemlich weiten Blick gewöhnen, wenn
man diese Wahrheiten in der Geschichte wiederfinden will. Wir haben früher
geglaubt, daß Griechenland durch seine Wissenschaft nicht am Leben erhalten
wurde, daß erst Alexander, dann die römischen Feldherren der Welt auf ein
halbes Jahrtausend eine neue Gestalt gaben; daß das römische Reich trotz


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/319>, abgerufen am 28.05.2024.