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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

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sich nicht blos den wahren Aposteln zu, sondern jedem Menschen von starker
Willenskraft; selbst für den Stifter der Illuminaten empfindet er einige Sym¬
pathie. Stolberg war darin viel vorsichtiger. "Die Feinde des Christenthums",
schreibt er 24 Apr. 1788 an Jacobi. "wünschen nichts mehr, als daß die Sache
der Religion mit der schändlichen Sache unserer Thaumaturgen und Magier
verwechselt werde. Unsers lieben und dreimal lieben Lavaters Schwächen
haben sie dazu gereizt." --

Als vorübergehendes Entwickelungsmomcnt in der Seele eines bedeutend
angelegten Menschen, dessen Imagination stärker ist als der Verstand, kann
man sich solche Zustände schon denken. Die Ähnlichkeit (positive und nega¬
tive) mit Don Quixote ist augenscheinlich; Hippel hat sie in den "Kreuz- und
Querzügen" freilich ohne viel Humor ausgebeutet. Das Merkwürdige war.
daß bei Lavater diese Unruhe, dieser fieberhafte Drang das ganze Leben durch
währte. Ja er zehrte sich darüber auf, soviel sanguinische Heiterkeit auch ur¬
sprünglich in seinem Temperament lag. Als ihn Stolberg auf seiner italieni¬
schen Reise (Aug. 91) besuchte, berichtet er an Jacobi: "Sein Ansehen hat
schrecklich gealtert. Ob er auf etwas steht, was auch andere tragen kann?
Der heilige Boden, auf dem er steht, kann und will uns alle tragen; aber
wenn Gott ihn nicht hielte und halten müßte, so fiele er von dem Gerüst, das
er sich auf diesem Boden erbaut hat, und bräche den Hals. Er strengt seine
innere Sehe fürchterlich an, um in unserer Mondscheinnacht andere als reflec-
tirte Sonnenstrahlen zu sehen; das ists, was ihm das Gesicht so durchfurcht."
-- Aber die Einwirkung dieser beständigen Aufregung war noch schlimmer:
da er nicht blos Suchender, sondern nach der andern Seite auch Lehrer der
christlichen Religion war, so mußte er äußerlich und innerlich eine doppelte
Rolle spielen: er mußte, wo er Glauben bei Andern erwecken wollte, die Miene
eines Befriedigten annehmen. Goethe's bekanntes Epigramm: "kreuzige den
Schwärmer im dreißigsten Jahr, denn sonst wird der Betrogne zum Schelm!"
gewinnt durch diese an dem alten Freunde gemachte Erfahrung und durch den
Haß gegen denselben seinen vollen Sinn.

Im innersten Grund waren diese religiösen Visionen eine übersteigerte poeti¬
sche Anschauung, die, weil sie nicht gesättigt genug war, sich selbst zu genügen, ihm
eine Qual bereitete, deren er sich durch jedes Mittel entledigen mußte. Das
ist der große Unterschied gegen den Dichter des Faust, der ihm 4. Nov. 1782
schrieb: "Ich bin geneigter als Jemand, noch eine Welt außer der sichtbaren
zu glauben, und ich habe Dichtungs- und Lebenskraft genug, sogar Mein ei¬
genes beschränktes Selbst zu einem Swedcnborgischcn Geisteruniversum erwei¬
tert zu fühlen. Alsdann mag ich aber gern, daß das Alberne und Ekelhafte
menschlicher Exkremente durch eine feine Gährung abgesondert und der
reinlichste Zustand, in den wir versetzt werden können, empfunden werde." Die


sich nicht blos den wahren Aposteln zu, sondern jedem Menschen von starker
Willenskraft; selbst für den Stifter der Illuminaten empfindet er einige Sym¬
pathie. Stolberg war darin viel vorsichtiger. „Die Feinde des Christenthums",
schreibt er 24 Apr. 1788 an Jacobi. „wünschen nichts mehr, als daß die Sache
der Religion mit der schändlichen Sache unserer Thaumaturgen und Magier
verwechselt werde. Unsers lieben und dreimal lieben Lavaters Schwächen
haben sie dazu gereizt." —

Als vorübergehendes Entwickelungsmomcnt in der Seele eines bedeutend
angelegten Menschen, dessen Imagination stärker ist als der Verstand, kann
man sich solche Zustände schon denken. Die Ähnlichkeit (positive und nega¬
tive) mit Don Quixote ist augenscheinlich; Hippel hat sie in den „Kreuz- und
Querzügen" freilich ohne viel Humor ausgebeutet. Das Merkwürdige war.
daß bei Lavater diese Unruhe, dieser fieberhafte Drang das ganze Leben durch
währte. Ja er zehrte sich darüber auf, soviel sanguinische Heiterkeit auch ur¬
sprünglich in seinem Temperament lag. Als ihn Stolberg auf seiner italieni¬
schen Reise (Aug. 91) besuchte, berichtet er an Jacobi: „Sein Ansehen hat
schrecklich gealtert. Ob er auf etwas steht, was auch andere tragen kann?
Der heilige Boden, auf dem er steht, kann und will uns alle tragen; aber
wenn Gott ihn nicht hielte und halten müßte, so fiele er von dem Gerüst, das
er sich auf diesem Boden erbaut hat, und bräche den Hals. Er strengt seine
innere Sehe fürchterlich an, um in unserer Mondscheinnacht andere als reflec-
tirte Sonnenstrahlen zu sehen; das ists, was ihm das Gesicht so durchfurcht."
— Aber die Einwirkung dieser beständigen Aufregung war noch schlimmer:
da er nicht blos Suchender, sondern nach der andern Seite auch Lehrer der
christlichen Religion war, so mußte er äußerlich und innerlich eine doppelte
Rolle spielen: er mußte, wo er Glauben bei Andern erwecken wollte, die Miene
eines Befriedigten annehmen. Goethe's bekanntes Epigramm: „kreuzige den
Schwärmer im dreißigsten Jahr, denn sonst wird der Betrogne zum Schelm!"
gewinnt durch diese an dem alten Freunde gemachte Erfahrung und durch den
Haß gegen denselben seinen vollen Sinn.

Im innersten Grund waren diese religiösen Visionen eine übersteigerte poeti¬
sche Anschauung, die, weil sie nicht gesättigt genug war, sich selbst zu genügen, ihm
eine Qual bereitete, deren er sich durch jedes Mittel entledigen mußte. Das
ist der große Unterschied gegen den Dichter des Faust, der ihm 4. Nov. 1782
schrieb: „Ich bin geneigter als Jemand, noch eine Welt außer der sichtbaren
zu glauben, und ich habe Dichtungs- und Lebenskraft genug, sogar Mein ei¬
genes beschränktes Selbst zu einem Swedcnborgischcn Geisteruniversum erwei¬
tert zu fühlen. Alsdann mag ich aber gern, daß das Alberne und Ekelhafte
menschlicher Exkremente durch eine feine Gährung abgesondert und der
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/34>, abgerufen am 15.05.2024.