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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

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Prälaten, welche entweder ihre ersten Schritte im Staatsdienst machen oder
anderwärts sich unbrauchbar gezeigt haben oder in Ungnade gefallen sind.
Ihnen sind auch alle politischen Vergehen zugewiesen, vorausgesetzt, daß sie
uicht. wie seit Jahrzehnten mit geringen Unterbrechungen, den Ausnahme¬
gerichten zufalle".

Es kommt vor, daß derselbe Gerichtshof für eine von ihm in erster In¬
stanz abgeurtheilte Sache in einem andern Turnus die Appellationsinstanz
bildet. Falls der Ausspruch der ersten und zweiten Instanz nicht gleichlautet,
steht der Recurs an die sacra Nomana Roda offen. Unter den zwölf Ubi"
loren, welche dieses Gericht bilden, müssen nach altem Herkommen vier Fremde
sein. Die Uditoren sind Prälaten ohne Kenntniß der Rechtswissenschaft. Jeder
hält sich einen Adjutante und zwei Segreti, welche für ihn die Acten studiren
und ihm das Gutachten fertig übergeben; diese sind großentheils Anfänger
auf dem Gebiet der Rechtsgelehrsamkeit. Ueberdies entscheidet die Nota nicht
nach geschriebenen Gesetzen, sondern nach Gewissen, nach Gutdünken und nach
Vorgängen. Verhandlungen sind vor diesem Gerichte nicht erlaubt: die Par¬
teien suchen jeden Uditore in seinem Hause auf, die gewinnende gibt dem Ad¬
jutante, welcher das Urtheil redigirt hat, ein vcrhältnißmäßiges Geschenk.
Noch nach zehn blos gutachtlichen Entscheidungen dieses Hoses kann ein neuer
Aufschub (a,nella>tur) ertheilt werden, bis es endlich -- die Sprache aller höhern
Gerichte Roms ist die lateinische -- exxöÄitrwl- heißt.

Alle Civil- und Criminalprocesse, welche Geistliche oder Kirchengut betreffen,
werden von den Gerichten der Bischöfe entschieden, desgleichen alle wegen Gottes¬
lästerung, fleischlicher Vergehen u. tgi., wodurch Kleriker mit der Untersuchung
der wüstesten Skandale beauftragt sind. Processe des Staatsschatzes mit Pri¬
vatleuten kommen vor eine aus päpstlichen Hosprälaten bestehende Congregation,
welcher der Prälat Schatzmeister, das heißt -- der Minister des Staatsschatzes
selbst, präsidire. Das Tribunal der heiligen Inquisition, gewöhnlicher Santo
Ufficio genannt, ist nicht mehr das grausame Ketzergericht von ehedem. Seine
Plackereien betreffen nur selten andere als Juden. Diese sind mancherlei Hude¬
leien unterworfen: sie dürfen ohne einen vom Pater Inquisitor unterschriebenen
Paß sich nicht von der Stelle rühren, sind in Rom in das Ghetto eingepfercht
und werden von dem Gesinde der Prälaten bei jeder Gelegenheit nach Kräften
geprellt. Wer sich erinnert, wie sehr der Jude an seiner Heimat hängt, wie
schwer er durch Bedrückungen zu verdrängen ist, wird wissen, was es zu be¬
deuten hat, wenn die israelitischen Bewohner der ewigen Stadt unter der
Herrschaft des jetzigen Papstes von 12,700 Köpfen auf etwa 9000 zusammen¬
geschmolzen sind.

Seiner Bodenformation nach zerfällt der Kirchenstaat in zwei große Theile,
einen nordöstlichen und einen südwestlichen, welche, durch den Apennin von


Prälaten, welche entweder ihre ersten Schritte im Staatsdienst machen oder
anderwärts sich unbrauchbar gezeigt haben oder in Ungnade gefallen sind.
Ihnen sind auch alle politischen Vergehen zugewiesen, vorausgesetzt, daß sie
uicht. wie seit Jahrzehnten mit geringen Unterbrechungen, den Ausnahme¬
gerichten zufalle».

Es kommt vor, daß derselbe Gerichtshof für eine von ihm in erster In¬
stanz abgeurtheilte Sache in einem andern Turnus die Appellationsinstanz
bildet. Falls der Ausspruch der ersten und zweiten Instanz nicht gleichlautet,
steht der Recurs an die sacra Nomana Roda offen. Unter den zwölf Ubi»
loren, welche dieses Gericht bilden, müssen nach altem Herkommen vier Fremde
sein. Die Uditoren sind Prälaten ohne Kenntniß der Rechtswissenschaft. Jeder
hält sich einen Adjutante und zwei Segreti, welche für ihn die Acten studiren
und ihm das Gutachten fertig übergeben; diese sind großentheils Anfänger
auf dem Gebiet der Rechtsgelehrsamkeit. Ueberdies entscheidet die Nota nicht
nach geschriebenen Gesetzen, sondern nach Gewissen, nach Gutdünken und nach
Vorgängen. Verhandlungen sind vor diesem Gerichte nicht erlaubt: die Par¬
teien suchen jeden Uditore in seinem Hause auf, die gewinnende gibt dem Ad¬
jutante, welcher das Urtheil redigirt hat, ein vcrhältnißmäßiges Geschenk.
Noch nach zehn blos gutachtlichen Entscheidungen dieses Hoses kann ein neuer
Aufschub (a,nella>tur) ertheilt werden, bis es endlich — die Sprache aller höhern
Gerichte Roms ist die lateinische — exxöÄitrwl- heißt.

Alle Civil- und Criminalprocesse, welche Geistliche oder Kirchengut betreffen,
werden von den Gerichten der Bischöfe entschieden, desgleichen alle wegen Gottes¬
lästerung, fleischlicher Vergehen u. tgi., wodurch Kleriker mit der Untersuchung
der wüstesten Skandale beauftragt sind. Processe des Staatsschatzes mit Pri¬
vatleuten kommen vor eine aus päpstlichen Hosprälaten bestehende Congregation,
welcher der Prälat Schatzmeister, das heißt — der Minister des Staatsschatzes
selbst, präsidire. Das Tribunal der heiligen Inquisition, gewöhnlicher Santo
Ufficio genannt, ist nicht mehr das grausame Ketzergericht von ehedem. Seine
Plackereien betreffen nur selten andere als Juden. Diese sind mancherlei Hude¬
leien unterworfen: sie dürfen ohne einen vom Pater Inquisitor unterschriebenen
Paß sich nicht von der Stelle rühren, sind in Rom in das Ghetto eingepfercht
und werden von dem Gesinde der Prälaten bei jeder Gelegenheit nach Kräften
geprellt. Wer sich erinnert, wie sehr der Jude an seiner Heimat hängt, wie
schwer er durch Bedrückungen zu verdrängen ist, wird wissen, was es zu be¬
deuten hat, wenn die israelitischen Bewohner der ewigen Stadt unter der
Herrschaft des jetzigen Papstes von 12,700 Köpfen auf etwa 9000 zusammen¬
geschmolzen sind.

Seiner Bodenformation nach zerfällt der Kirchenstaat in zwei große Theile,
einen nordöstlichen und einen südwestlichen, welche, durch den Apennin von


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[0345] Prälaten, welche entweder ihre ersten Schritte im Staatsdienst machen oder anderwärts sich unbrauchbar gezeigt haben oder in Ungnade gefallen sind. Ihnen sind auch alle politischen Vergehen zugewiesen, vorausgesetzt, daß sie uicht. wie seit Jahrzehnten mit geringen Unterbrechungen, den Ausnahme¬ gerichten zufalle». Es kommt vor, daß derselbe Gerichtshof für eine von ihm in erster In¬ stanz abgeurtheilte Sache in einem andern Turnus die Appellationsinstanz bildet. Falls der Ausspruch der ersten und zweiten Instanz nicht gleichlautet, steht der Recurs an die sacra Nomana Roda offen. Unter den zwölf Ubi» loren, welche dieses Gericht bilden, müssen nach altem Herkommen vier Fremde sein. Die Uditoren sind Prälaten ohne Kenntniß der Rechtswissenschaft. Jeder hält sich einen Adjutante und zwei Segreti, welche für ihn die Acten studiren und ihm das Gutachten fertig übergeben; diese sind großentheils Anfänger auf dem Gebiet der Rechtsgelehrsamkeit. Ueberdies entscheidet die Nota nicht nach geschriebenen Gesetzen, sondern nach Gewissen, nach Gutdünken und nach Vorgängen. Verhandlungen sind vor diesem Gerichte nicht erlaubt: die Par¬ teien suchen jeden Uditore in seinem Hause auf, die gewinnende gibt dem Ad¬ jutante, welcher das Urtheil redigirt hat, ein vcrhältnißmäßiges Geschenk. Noch nach zehn blos gutachtlichen Entscheidungen dieses Hoses kann ein neuer Aufschub (a,nella>tur) ertheilt werden, bis es endlich — die Sprache aller höhern Gerichte Roms ist die lateinische — exxöÄitrwl- heißt. Alle Civil- und Criminalprocesse, welche Geistliche oder Kirchengut betreffen, werden von den Gerichten der Bischöfe entschieden, desgleichen alle wegen Gottes¬ lästerung, fleischlicher Vergehen u. tgi., wodurch Kleriker mit der Untersuchung der wüstesten Skandale beauftragt sind. Processe des Staatsschatzes mit Pri¬ vatleuten kommen vor eine aus päpstlichen Hosprälaten bestehende Congregation, welcher der Prälat Schatzmeister, das heißt — der Minister des Staatsschatzes selbst, präsidire. Das Tribunal der heiligen Inquisition, gewöhnlicher Santo Ufficio genannt, ist nicht mehr das grausame Ketzergericht von ehedem. Seine Plackereien betreffen nur selten andere als Juden. Diese sind mancherlei Hude¬ leien unterworfen: sie dürfen ohne einen vom Pater Inquisitor unterschriebenen Paß sich nicht von der Stelle rühren, sind in Rom in das Ghetto eingepfercht und werden von dem Gesinde der Prälaten bei jeder Gelegenheit nach Kräften geprellt. Wer sich erinnert, wie sehr der Jude an seiner Heimat hängt, wie schwer er durch Bedrückungen zu verdrängen ist, wird wissen, was es zu be¬ deuten hat, wenn die israelitischen Bewohner der ewigen Stadt unter der Herrschaft des jetzigen Papstes von 12,700 Köpfen auf etwa 9000 zusammen¬ geschmolzen sind. Seiner Bodenformation nach zerfällt der Kirchenstaat in zwei große Theile, einen nordöstlichen und einen südwestlichen, welche, durch den Apennin von

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/345>, abgerufen am 29.05.2024.