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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

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schlagen, beharrt, ist nicht zu bezweifeln. Wie es anders werden soll ohne
eine Radikalkur, die den Schnitt durch die Doppelnatur des Papstthums nicht
scheut, müssen wir der Erfindungsgabe von Politikern überlassen, die zu wa¬
schen verstehen ohne naß zu machen. Die öffentliche Meinung ist im Allge¬
meinen davon zurückgekommen, den Thron als auf den Altar gegründet an¬
zusehen; sie wird sich,in katholischen ebenso wie in protestantischen Ländern
entschließen müssen, auch das Dogma aufzugeben, nach welchem in Rom der
Altar auf den Thron gegründet sein soll.

Wann eine endgiltige Entscheidung in dieser Frage eintreten wird, ist
nicht zu sagen. Wahrscheinlich ist, daß die Gegenwart sich mit einer theil¬
weisen Losung begnügen, gewiß, daß zunächst die Romagna vom Erbtheil
Samt Peters getrennt werden wird. Die südwestliche Hülste kann der im
Entstehen begriffene norditalienische Staat sich vorläufig nicht einmal wünschen.
Auch möchte zu einer vollständigen Abtrennung der weltlichen Gewalt des
Papstes von der geistlichen der Kaiser der Franzosen bis jetzt weder den Wil¬
len noch die Macht haben.

Zwar sind die Guelfen Italiens, wie es scheint, ausgestorben, wenigstens
hört man ihre Stimme kaum noch vor dem lauten Ruf der Ghibellinen, die
Victor Emanuels Fahne als die ihre begrüßen. Ebensowenig werden, wie
die Sachen jetzt sich gestaltet haben, die weltlichen Mächte neben Frankreich
und Sardinien zu Gunsten des Papstes einschreiten. Am wenigsten England,
aller Wahrscheinlichkeit nach auch nicht Preußen, nicht Rußland, so wenig
diese beiden sonst mit dem Recht der Selbstbestimmung der Völker über ihre
Dynastien einverstanden sein können. Der einzig denkbare Fall, in welchem
diese Mächte zur Lösung der italienischen Frage das Schwert ziehen müßten,
wäre der, daß Frankreich auf der Abtretung Savoyens bestände, und dann
hätte man, wie wir das Interesse namentlich Preußens auffassen, sich zwar
gegen die pariser Politik, aber nicht gegen die sardinische zu wenden. Oest¬
reich, die einzige Großmacht, auf welche der Papst zu rechnen hätte, wenn sie
ihm Beistand zu leisten vermöchte, würde den Versuch zu solchem Ritterdienst
sicher mit finanziellem, und vermuthlich auch mit militärischem Bankerott
büßen.

Pius der Neunte rechnet daher auch nicht auf die fünf Großmächte. Er
ficht seinen Verbündeten in einer Provinz der sechsten, in der öffentlichen
Meinung der Kirche, deren Haupt er ist. Er wendet sich in seiner Encyklica
vom 19. Januar an die ultramontane Partei, und diese wird, wie sie schon
vor dieser Mahnung alle ihre Kräfte für ihn aufbot, mit verdoppelter Energie
zu Gunsten der Tiara wirken. Ob sie damit etwas Erhebliches erwirken
wird, steht dahin. Ihre Klugheit hat in den letzten Jahren manche Trium¬
phe gefeiert, Concordate durchgesetzt u. a., aber doch nur, weil man sie ge-


Grenzbotm I. 1860. 44

schlagen, beharrt, ist nicht zu bezweifeln. Wie es anders werden soll ohne
eine Radikalkur, die den Schnitt durch die Doppelnatur des Papstthums nicht
scheut, müssen wir der Erfindungsgabe von Politikern überlassen, die zu wa¬
schen verstehen ohne naß zu machen. Die öffentliche Meinung ist im Allge¬
meinen davon zurückgekommen, den Thron als auf den Altar gegründet an¬
zusehen; sie wird sich,in katholischen ebenso wie in protestantischen Ländern
entschließen müssen, auch das Dogma aufzugeben, nach welchem in Rom der
Altar auf den Thron gegründet sein soll.

Wann eine endgiltige Entscheidung in dieser Frage eintreten wird, ist
nicht zu sagen. Wahrscheinlich ist, daß die Gegenwart sich mit einer theil¬
weisen Losung begnügen, gewiß, daß zunächst die Romagna vom Erbtheil
Samt Peters getrennt werden wird. Die südwestliche Hülste kann der im
Entstehen begriffene norditalienische Staat sich vorläufig nicht einmal wünschen.
Auch möchte zu einer vollständigen Abtrennung der weltlichen Gewalt des
Papstes von der geistlichen der Kaiser der Franzosen bis jetzt weder den Wil¬
len noch die Macht haben.

Zwar sind die Guelfen Italiens, wie es scheint, ausgestorben, wenigstens
hört man ihre Stimme kaum noch vor dem lauten Ruf der Ghibellinen, die
Victor Emanuels Fahne als die ihre begrüßen. Ebensowenig werden, wie
die Sachen jetzt sich gestaltet haben, die weltlichen Mächte neben Frankreich
und Sardinien zu Gunsten des Papstes einschreiten. Am wenigsten England,
aller Wahrscheinlichkeit nach auch nicht Preußen, nicht Rußland, so wenig
diese beiden sonst mit dem Recht der Selbstbestimmung der Völker über ihre
Dynastien einverstanden sein können. Der einzig denkbare Fall, in welchem
diese Mächte zur Lösung der italienischen Frage das Schwert ziehen müßten,
wäre der, daß Frankreich auf der Abtretung Savoyens bestände, und dann
hätte man, wie wir das Interesse namentlich Preußens auffassen, sich zwar
gegen die pariser Politik, aber nicht gegen die sardinische zu wenden. Oest¬
reich, die einzige Großmacht, auf welche der Papst zu rechnen hätte, wenn sie
ihm Beistand zu leisten vermöchte, würde den Versuch zu solchem Ritterdienst
sicher mit finanziellem, und vermuthlich auch mit militärischem Bankerott
büßen.

Pius der Neunte rechnet daher auch nicht auf die fünf Großmächte. Er
ficht seinen Verbündeten in einer Provinz der sechsten, in der öffentlichen
Meinung der Kirche, deren Haupt er ist. Er wendet sich in seiner Encyklica
vom 19. Januar an die ultramontane Partei, und diese wird, wie sie schon
vor dieser Mahnung alle ihre Kräfte für ihn aufbot, mit verdoppelter Energie
zu Gunsten der Tiara wirken. Ob sie damit etwas Erhebliches erwirken
wird, steht dahin. Ihre Klugheit hat in den letzten Jahren manche Trium¬
phe gefeiert, Concordate durchgesetzt u. a., aber doch nur, weil man sie ge-


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[0357] schlagen, beharrt, ist nicht zu bezweifeln. Wie es anders werden soll ohne eine Radikalkur, die den Schnitt durch die Doppelnatur des Papstthums nicht scheut, müssen wir der Erfindungsgabe von Politikern überlassen, die zu wa¬ schen verstehen ohne naß zu machen. Die öffentliche Meinung ist im Allge¬ meinen davon zurückgekommen, den Thron als auf den Altar gegründet an¬ zusehen; sie wird sich,in katholischen ebenso wie in protestantischen Ländern entschließen müssen, auch das Dogma aufzugeben, nach welchem in Rom der Altar auf den Thron gegründet sein soll. Wann eine endgiltige Entscheidung in dieser Frage eintreten wird, ist nicht zu sagen. Wahrscheinlich ist, daß die Gegenwart sich mit einer theil¬ weisen Losung begnügen, gewiß, daß zunächst die Romagna vom Erbtheil Samt Peters getrennt werden wird. Die südwestliche Hülste kann der im Entstehen begriffene norditalienische Staat sich vorläufig nicht einmal wünschen. Auch möchte zu einer vollständigen Abtrennung der weltlichen Gewalt des Papstes von der geistlichen der Kaiser der Franzosen bis jetzt weder den Wil¬ len noch die Macht haben. Zwar sind die Guelfen Italiens, wie es scheint, ausgestorben, wenigstens hört man ihre Stimme kaum noch vor dem lauten Ruf der Ghibellinen, die Victor Emanuels Fahne als die ihre begrüßen. Ebensowenig werden, wie die Sachen jetzt sich gestaltet haben, die weltlichen Mächte neben Frankreich und Sardinien zu Gunsten des Papstes einschreiten. Am wenigsten England, aller Wahrscheinlichkeit nach auch nicht Preußen, nicht Rußland, so wenig diese beiden sonst mit dem Recht der Selbstbestimmung der Völker über ihre Dynastien einverstanden sein können. Der einzig denkbare Fall, in welchem diese Mächte zur Lösung der italienischen Frage das Schwert ziehen müßten, wäre der, daß Frankreich auf der Abtretung Savoyens bestände, und dann hätte man, wie wir das Interesse namentlich Preußens auffassen, sich zwar gegen die pariser Politik, aber nicht gegen die sardinische zu wenden. Oest¬ reich, die einzige Großmacht, auf welche der Papst zu rechnen hätte, wenn sie ihm Beistand zu leisten vermöchte, würde den Versuch zu solchem Ritterdienst sicher mit finanziellem, und vermuthlich auch mit militärischem Bankerott büßen. Pius der Neunte rechnet daher auch nicht auf die fünf Großmächte. Er ficht seinen Verbündeten in einer Provinz der sechsten, in der öffentlichen Meinung der Kirche, deren Haupt er ist. Er wendet sich in seiner Encyklica vom 19. Januar an die ultramontane Partei, und diese wird, wie sie schon vor dieser Mahnung alle ihre Kräfte für ihn aufbot, mit verdoppelter Energie zu Gunsten der Tiara wirken. Ob sie damit etwas Erhebliches erwirken wird, steht dahin. Ihre Klugheit hat in den letzten Jahren manche Trium¬ phe gefeiert, Concordate durchgesetzt u. a., aber doch nur, weil man sie ge- Grenzbotm I. 1860. 44

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/357>, abgerufen am 29.05.2024.