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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

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währen ließ, ihr von Seiten der Regierungen entgegen kam. Ob ihr jetziges
gewaltthatiges Gebcchren Erfolge haben wird, ist nach dem was sie bis zur
Stunde damit erzielt hat, gewiß eher zu verneinen als zu bejahen. Es wer¬
den von frommen Gemüthern, die es den Hirtenbriefen ihrer Bischöfe glau¬
ben, daß das Papstthum "durch Sitte. Ursprung und Genius die volksthüm-
lichste aller Herrschaften ist, daß es seinen Grundsätzen nach nur christliche
Tugend und Civilisation zum Zwecke und keinen andern Gegner als Un¬
gerechtigkeit, Barbarei und Tyrannei hat"*) Thränen vergossen, Gebete zum
Himmel gesandt und Ergebenheits- und Beileidsadressen unterschrieben werden.
Man wird Batterien von Zeitungsartikeln auffahren, Flugschriften-Bomben
in das kirchenfeindliche Lager schleudern, vielleicht sogar das mittelalterliche
Zeughaus aufthun, in dem Bannbulle und Interdict liegen. Ein guter Theil
der großen Masse wird in Aufregung gerathen. Mehr aber wird schwerlich
geschehen. Die, welche in den Völkern den Ausschlag zu geben Pflegen, wenn
die Verhältnisse unerträglich geworden sind, die Gebildeten, werden selbst in den
katholischen Ländern meist gleichgültig bleiben: sie werden eben meinen, daß
es zu ertragen sei, wenn der Papst in einem Strich seiner bisherigen Besitz¬
ungen weltlicher Herrscher zu sein aufhört. Der beste Theil von ihnen wird darin
selbst eine Wohlthat erblicken. So in Deutschland, in England, in Oestreich.
So auch im Wesentlichen in Frankreich, von Italien ganz zu schweigen. Wir
glauben, daß es des Verbots der Alarmrufe des französischen Klerus in den Zeitun¬
gen, der Unterdrückung des Univers und ähnlicher Maßregeln nicht bedurft hätte.
Der Kaiser der Franzosen ist vor jeder Revolution sicher, am sichersten vor einer
solchen, welche zu Gunsten des Papstes ausbräche. Das Landvolk in den Provinzen
kommt so gut wie nicht in Betracht, da die Centralisation ihm allen Einfluß
genommen hat. Seine letzte politische That war auf lange Jahre hinaus
die Wahl Napoleons des Dritten zum Oberhaupt Frankreichs. Die Klassen
der Bevölkerung, welche der Kaiser vorzüglich begünstigt, die Armee und die
Arbeiter, sind entschieden antipäpstlich. Die Altrepublikaner stehen, wie zu
erwarten, auf derselben Seite. Die gemäßigte Partei, die im Journal des
Debats ihr Organ hat, ist in einem nicht kleinen Theil ihrer Mitglieder für
das Recht des heiligen Stuhls aufgetreten; doch kann dies nach der Stufe
der Bildung, welche durch diese Partei vertreten wird, nur so gemeint sein,
daß überhaupt jede Gelegenheit ergriffen werden soll, gegen den Kaiser
Opposition zu machen, und überdieß hat diese Fraction zwar Stimmen, aber
keine Hunde.

Mit dem Bannstrahl wird der Papst, so lang/ es sich blos um die Ro-
magna handelt, vorsichtig sein müssen. Napoleon könnte ihn zunächst mit



') Worte des Hirtenbriefes, mit dem der Erzbischof von Lucca für den Papst in die
Schranken tritt.

währen ließ, ihr von Seiten der Regierungen entgegen kam. Ob ihr jetziges
gewaltthatiges Gebcchren Erfolge haben wird, ist nach dem was sie bis zur
Stunde damit erzielt hat, gewiß eher zu verneinen als zu bejahen. Es wer¬
den von frommen Gemüthern, die es den Hirtenbriefen ihrer Bischöfe glau¬
ben, daß das Papstthum „durch Sitte. Ursprung und Genius die volksthüm-
lichste aller Herrschaften ist, daß es seinen Grundsätzen nach nur christliche
Tugend und Civilisation zum Zwecke und keinen andern Gegner als Un¬
gerechtigkeit, Barbarei und Tyrannei hat"*) Thränen vergossen, Gebete zum
Himmel gesandt und Ergebenheits- und Beileidsadressen unterschrieben werden.
Man wird Batterien von Zeitungsartikeln auffahren, Flugschriften-Bomben
in das kirchenfeindliche Lager schleudern, vielleicht sogar das mittelalterliche
Zeughaus aufthun, in dem Bannbulle und Interdict liegen. Ein guter Theil
der großen Masse wird in Aufregung gerathen. Mehr aber wird schwerlich
geschehen. Die, welche in den Völkern den Ausschlag zu geben Pflegen, wenn
die Verhältnisse unerträglich geworden sind, die Gebildeten, werden selbst in den
katholischen Ländern meist gleichgültig bleiben: sie werden eben meinen, daß
es zu ertragen sei, wenn der Papst in einem Strich seiner bisherigen Besitz¬
ungen weltlicher Herrscher zu sein aufhört. Der beste Theil von ihnen wird darin
selbst eine Wohlthat erblicken. So in Deutschland, in England, in Oestreich.
So auch im Wesentlichen in Frankreich, von Italien ganz zu schweigen. Wir
glauben, daß es des Verbots der Alarmrufe des französischen Klerus in den Zeitun¬
gen, der Unterdrückung des Univers und ähnlicher Maßregeln nicht bedurft hätte.
Der Kaiser der Franzosen ist vor jeder Revolution sicher, am sichersten vor einer
solchen, welche zu Gunsten des Papstes ausbräche. Das Landvolk in den Provinzen
kommt so gut wie nicht in Betracht, da die Centralisation ihm allen Einfluß
genommen hat. Seine letzte politische That war auf lange Jahre hinaus
die Wahl Napoleons des Dritten zum Oberhaupt Frankreichs. Die Klassen
der Bevölkerung, welche der Kaiser vorzüglich begünstigt, die Armee und die
Arbeiter, sind entschieden antipäpstlich. Die Altrepublikaner stehen, wie zu
erwarten, auf derselben Seite. Die gemäßigte Partei, die im Journal des
Debats ihr Organ hat, ist in einem nicht kleinen Theil ihrer Mitglieder für
das Recht des heiligen Stuhls aufgetreten; doch kann dies nach der Stufe
der Bildung, welche durch diese Partei vertreten wird, nur so gemeint sein,
daß überhaupt jede Gelegenheit ergriffen werden soll, gegen den Kaiser
Opposition zu machen, und überdieß hat diese Fraction zwar Stimmen, aber
keine Hunde.

Mit dem Bannstrahl wird der Papst, so lang/ es sich blos um die Ro-
magna handelt, vorsichtig sein müssen. Napoleon könnte ihn zunächst mit



') Worte des Hirtenbriefes, mit dem der Erzbischof von Lucca für den Papst in die
Schranken tritt.
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[0358] währen ließ, ihr von Seiten der Regierungen entgegen kam. Ob ihr jetziges gewaltthatiges Gebcchren Erfolge haben wird, ist nach dem was sie bis zur Stunde damit erzielt hat, gewiß eher zu verneinen als zu bejahen. Es wer¬ den von frommen Gemüthern, die es den Hirtenbriefen ihrer Bischöfe glau¬ ben, daß das Papstthum „durch Sitte. Ursprung und Genius die volksthüm- lichste aller Herrschaften ist, daß es seinen Grundsätzen nach nur christliche Tugend und Civilisation zum Zwecke und keinen andern Gegner als Un¬ gerechtigkeit, Barbarei und Tyrannei hat"*) Thränen vergossen, Gebete zum Himmel gesandt und Ergebenheits- und Beileidsadressen unterschrieben werden. Man wird Batterien von Zeitungsartikeln auffahren, Flugschriften-Bomben in das kirchenfeindliche Lager schleudern, vielleicht sogar das mittelalterliche Zeughaus aufthun, in dem Bannbulle und Interdict liegen. Ein guter Theil der großen Masse wird in Aufregung gerathen. Mehr aber wird schwerlich geschehen. Die, welche in den Völkern den Ausschlag zu geben Pflegen, wenn die Verhältnisse unerträglich geworden sind, die Gebildeten, werden selbst in den katholischen Ländern meist gleichgültig bleiben: sie werden eben meinen, daß es zu ertragen sei, wenn der Papst in einem Strich seiner bisherigen Besitz¬ ungen weltlicher Herrscher zu sein aufhört. Der beste Theil von ihnen wird darin selbst eine Wohlthat erblicken. So in Deutschland, in England, in Oestreich. So auch im Wesentlichen in Frankreich, von Italien ganz zu schweigen. Wir glauben, daß es des Verbots der Alarmrufe des französischen Klerus in den Zeitun¬ gen, der Unterdrückung des Univers und ähnlicher Maßregeln nicht bedurft hätte. Der Kaiser der Franzosen ist vor jeder Revolution sicher, am sichersten vor einer solchen, welche zu Gunsten des Papstes ausbräche. Das Landvolk in den Provinzen kommt so gut wie nicht in Betracht, da die Centralisation ihm allen Einfluß genommen hat. Seine letzte politische That war auf lange Jahre hinaus die Wahl Napoleons des Dritten zum Oberhaupt Frankreichs. Die Klassen der Bevölkerung, welche der Kaiser vorzüglich begünstigt, die Armee und die Arbeiter, sind entschieden antipäpstlich. Die Altrepublikaner stehen, wie zu erwarten, auf derselben Seite. Die gemäßigte Partei, die im Journal des Debats ihr Organ hat, ist in einem nicht kleinen Theil ihrer Mitglieder für das Recht des heiligen Stuhls aufgetreten; doch kann dies nach der Stufe der Bildung, welche durch diese Partei vertreten wird, nur so gemeint sein, daß überhaupt jede Gelegenheit ergriffen werden soll, gegen den Kaiser Opposition zu machen, und überdieß hat diese Fraction zwar Stimmen, aber keine Hunde. Mit dem Bannstrahl wird der Papst, so lang/ es sich blos um die Ro- magna handelt, vorsichtig sein müssen. Napoleon könnte ihn zunächst mit ') Worte des Hirtenbriefes, mit dem der Erzbischof von Lucca für den Papst in die Schranken tritt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/358>, abgerufen am 15.05.2024.