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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

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1831 zu Stande, von welcher es in dem Landtagsabschiede vom 9. März
1831 beißt: sie sei ein Grundgesetz, dessen Verbindlichkeit für den Regenten
wie für die Regierten in allen Zeiten feststehen und niemals durch irgend
ein die Thronfolge oder den Staat betreffendes Ereigniß erschüttert werden
sollte.

Die Verfassung war aber nicht ein Geschenk des Regenten, sie wurde
vereinbart zwischen Regierung und Volk, und der solchergestalt geschlossene
Vertrag von allen Vetheiliglen beschworen.

Schon im September 1831 zog Kurfürst Wilhelm der Zweite sich von
der Regierung zurück und überließ dieselbe dem zum Mitregenten angenom¬
menen Kurprinzen Friedrich Wilhelm, welcher nun auch seinerseits den Eid
auf die Verfassung leistete und im November 1847 als Kurfürst Friedrich
Wilhelm der Erste seinem Vater succedirte.

Bereits im Jahre 1832 bekam Hassenpflng die Ministerien des Innern
und der Justiz, und alsbald begannen die Bestrebungen der Regierung, die
unbequemen Bestimmungen und Beschränkungen der Verfassung zu umgehen oder
durch kühne Interpretationen zu beseitigen. Das Volk und seine Vertreter
hielten fest an der errungenen Verfassung, sie waren die Conservativen gegen¬
über der auf Untergrabung ausgehenden Regierung.

Das Jahr 1848 kam; alle Leidenschaften wurden zu entfesseln gesucht,
alle Beschwerden, zu denen die Regierung so reichen Stoff geliefert hat, wur¬
den laut, von einer kleinen Partei wurde sogar der Umsturz aller bestehenden
Staatsnormen angestrebt, die Regierung war rath- und thatlos; der Minister
Scheffer floh vor Furcht aus dem Lande. Da schaarte sich das hessische Volk
um seine Verfassung, wehrte mit ihrer Hülfe die von unten beabsichtigte Re¬
volution ab, und stützte mit ihr den Thron seines Regenten. Ein liberales,
vom ganzen Volke getragenes Ministerium trat an die Spitze der Regierung,
und gewährte freudig Abhülfe derjenigen Beschwerden, zu denen die frühere
Verwaltung Veranlassung geboten hatte. Insbesondere wurden im Wege der
Gesetzgebung die Beschränkungen beseitigt, welche nach der Verfassungsur¬
kunde bei der Wahl der Intelligenzen, namentlich der Staatsdiener, in die
Ständeversammlung bestanden; es wurde der Vorschlag zur Besetzung des
Oberappellationsgcrichts der Ständeversammlung resp, dem Ausschusse einge¬
räumt, die Unverletzbarkeit der Oberappellationsräthe stipulirt und die Wahl
des Präsidenten dem Collegium selbst übertragen: Bestimmungen, welche sich
durch traurige Vorgänge geradhin nothwendig erwiesen hatten; es wurde der
große Uebelstand, daß ohne Zuthun, ja oft ohne Wissen des Kriegsministers
durch einfache militärische Ordres die erheblichsten Maaßregeln eingeführt
wurden, solchergestalt aber der verantwortliche Minister zum bloßen Vollstrecker
unverantwortlicher Verfügungen herabsank, durch Entfernung des betreffenden


1831 zu Stande, von welcher es in dem Landtagsabschiede vom 9. März
1831 beißt: sie sei ein Grundgesetz, dessen Verbindlichkeit für den Regenten
wie für die Regierten in allen Zeiten feststehen und niemals durch irgend
ein die Thronfolge oder den Staat betreffendes Ereigniß erschüttert werden
sollte.

Die Verfassung war aber nicht ein Geschenk des Regenten, sie wurde
vereinbart zwischen Regierung und Volk, und der solchergestalt geschlossene
Vertrag von allen Vetheiliglen beschworen.

Schon im September 1831 zog Kurfürst Wilhelm der Zweite sich von
der Regierung zurück und überließ dieselbe dem zum Mitregenten angenom¬
menen Kurprinzen Friedrich Wilhelm, welcher nun auch seinerseits den Eid
auf die Verfassung leistete und im November 1847 als Kurfürst Friedrich
Wilhelm der Erste seinem Vater succedirte.

Bereits im Jahre 1832 bekam Hassenpflng die Ministerien des Innern
und der Justiz, und alsbald begannen die Bestrebungen der Regierung, die
unbequemen Bestimmungen und Beschränkungen der Verfassung zu umgehen oder
durch kühne Interpretationen zu beseitigen. Das Volk und seine Vertreter
hielten fest an der errungenen Verfassung, sie waren die Conservativen gegen¬
über der auf Untergrabung ausgehenden Regierung.

Das Jahr 1848 kam; alle Leidenschaften wurden zu entfesseln gesucht,
alle Beschwerden, zu denen die Regierung so reichen Stoff geliefert hat, wur¬
den laut, von einer kleinen Partei wurde sogar der Umsturz aller bestehenden
Staatsnormen angestrebt, die Regierung war rath- und thatlos; der Minister
Scheffer floh vor Furcht aus dem Lande. Da schaarte sich das hessische Volk
um seine Verfassung, wehrte mit ihrer Hülfe die von unten beabsichtigte Re¬
volution ab, und stützte mit ihr den Thron seines Regenten. Ein liberales,
vom ganzen Volke getragenes Ministerium trat an die Spitze der Regierung,
und gewährte freudig Abhülfe derjenigen Beschwerden, zu denen die frühere
Verwaltung Veranlassung geboten hatte. Insbesondere wurden im Wege der
Gesetzgebung die Beschränkungen beseitigt, welche nach der Verfassungsur¬
kunde bei der Wahl der Intelligenzen, namentlich der Staatsdiener, in die
Ständeversammlung bestanden; es wurde der Vorschlag zur Besetzung des
Oberappellationsgcrichts der Ständeversammlung resp, dem Ausschusse einge¬
räumt, die Unverletzbarkeit der Oberappellationsräthe stipulirt und die Wahl
des Präsidenten dem Collegium selbst übertragen: Bestimmungen, welche sich
durch traurige Vorgänge geradhin nothwendig erwiesen hatten; es wurde der
große Uebelstand, daß ohne Zuthun, ja oft ohne Wissen des Kriegsministers
durch einfache militärische Ordres die erheblichsten Maaßregeln eingeführt
wurden, solchergestalt aber der verantwortliche Minister zum bloßen Vollstrecker
unverantwortlicher Verfügungen herabsank, durch Entfernung des betreffenden


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/360>, abgerufen am 15.05.2024.