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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

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Satzes aus der Verfassungsurkunde gehoben, endlich wurde die ganze Zusam¬
mensetzung der Landstünde und der Wnhlmodus geändert.

Neben diesen ans Veränderung der Verfassung abzielenden Gesetzen wur¬
den weitere Gesetze mit den Ständen vereinbart über die Gerichtsorganisation,
Einführung des mündlichen und öffentlichen Verfahrens in Strafsachen sowie
der Schwurgerichte, über Bildung von Bezirksrätben u> s. w. Mit Einem
Worte: wie Kurhessen im Jahre 1S31 in seinem Verfassungswcrke und seinen
staatlichen Institutionen jedem anderen Staate als Muster dienen konnte, so
war dies am Schlüsse des Jahres 1849 von Neuem der Fall. Regierung,
Landstände, Volk befanden sich wohl in der herrschenden Eintracht, der Thron
des Regenten stand fester und geschützter da als vor 1848.

Die Verfassung vom 5. Jan. 1831 bestand nicht nur seit 19 Jahren in
anerkannter Wirksamkeit, sie hatte dem Lande wie dem Regenten auch goldne
Früchte getragen und war in den Lebenssaft des Volks übergegangen.

Da erschien der unheilvolle, für jeden Hessen ewig unvergessene 23. Fe¬
bruar 1850" und mit ihm plötzlich, wie der Dieb über Nacht, Hans Daniel
Ludwig Hassenpflug an der Spitze des Ministeriums; und die Männer, in
deren Händen die Regierung zur Freude und zur vollen Zufriedenheit des
Landes geruht, von Baumbach, Eberhard, Wippermann, v. Rossuls und von
Wintzingerode, sowie Schotten traten vom Ministerium ab. Ein Schrei des
Entsetzens ging durch das Land. Jeder fühlte, daß hier nicht ein Wechsel
nur der Personen, -- zu dem nicht der mindeste Grund vorlag, -- sondern
ein Wechsel des Systems in Frage stehe, und Niemand ließ sich durch die
gleißnerischen Verheißungen täuschen, das neue Ministerium trete die Erbschaft
des früheren an. Hassenpflugs schon im Jahre 1832 begonnene Verkümmer¬
ung des Verfassungslebens stand noch in zu frischer Erinnerung und sein Pro¬
zeß in Greifswalde wegen Fälschung, dem er sich gerade damals heimlich ent¬
zogen, war wahrlich nicht geeignet, ihm Vertrauen zu erwecken.

Und er wurde mit dem entschiedensten Mißtrauen aufgenommen, um so
mehr, als er das neue Ministerium aus Männern zusammensetzte, welche so¬
zusagen nichts mitbrachten, als ihre Namen, so daß er, und er allein in allen
Departements als der leitende Wille sich charakterisirte. Daß dieses Mi߬
trauen ein nur zu wohl begründetes gewesen, hat die Geschichte gelehrt. Es
ist jetzt kein Zweifel mehr: er trat das Ministerium an und leistete den Ver¬
fassungseid in der Absicht, ihn und die Verfassung zu brechen. Daß, und
wie ihm dies gelang, ist bekannt. Er conspirirte, berichtete seinen Verbünde¬
ten Unwahrheit und brachte wirklich die Bundesversammlung dahin, daß
diese am 24. März 1852 die in langjähriger Wirksamkeit bestehende Ver¬
fassung Hessens außer Wirksamkeit setzte und ein anderes Elaborat als Ver¬
fassungsgesetz zu publiciren beschloß. --


Satzes aus der Verfassungsurkunde gehoben, endlich wurde die ganze Zusam¬
mensetzung der Landstünde und der Wnhlmodus geändert.

Neben diesen ans Veränderung der Verfassung abzielenden Gesetzen wur¬
den weitere Gesetze mit den Ständen vereinbart über die Gerichtsorganisation,
Einführung des mündlichen und öffentlichen Verfahrens in Strafsachen sowie
der Schwurgerichte, über Bildung von Bezirksrätben u> s. w. Mit Einem
Worte: wie Kurhessen im Jahre 1S31 in seinem Verfassungswcrke und seinen
staatlichen Institutionen jedem anderen Staate als Muster dienen konnte, so
war dies am Schlüsse des Jahres 1849 von Neuem der Fall. Regierung,
Landstände, Volk befanden sich wohl in der herrschenden Eintracht, der Thron
des Regenten stand fester und geschützter da als vor 1848.

Die Verfassung vom 5. Jan. 1831 bestand nicht nur seit 19 Jahren in
anerkannter Wirksamkeit, sie hatte dem Lande wie dem Regenten auch goldne
Früchte getragen und war in den Lebenssaft des Volks übergegangen.

Da erschien der unheilvolle, für jeden Hessen ewig unvergessene 23. Fe¬
bruar 1850" und mit ihm plötzlich, wie der Dieb über Nacht, Hans Daniel
Ludwig Hassenpflug an der Spitze des Ministeriums; und die Männer, in
deren Händen die Regierung zur Freude und zur vollen Zufriedenheit des
Landes geruht, von Baumbach, Eberhard, Wippermann, v. Rossuls und von
Wintzingerode, sowie Schotten traten vom Ministerium ab. Ein Schrei des
Entsetzens ging durch das Land. Jeder fühlte, daß hier nicht ein Wechsel
nur der Personen, — zu dem nicht der mindeste Grund vorlag, — sondern
ein Wechsel des Systems in Frage stehe, und Niemand ließ sich durch die
gleißnerischen Verheißungen täuschen, das neue Ministerium trete die Erbschaft
des früheren an. Hassenpflugs schon im Jahre 1832 begonnene Verkümmer¬
ung des Verfassungslebens stand noch in zu frischer Erinnerung und sein Pro¬
zeß in Greifswalde wegen Fälschung, dem er sich gerade damals heimlich ent¬
zogen, war wahrlich nicht geeignet, ihm Vertrauen zu erwecken.

Und er wurde mit dem entschiedensten Mißtrauen aufgenommen, um so
mehr, als er das neue Ministerium aus Männern zusammensetzte, welche so¬
zusagen nichts mitbrachten, als ihre Namen, so daß er, und er allein in allen
Departements als der leitende Wille sich charakterisirte. Daß dieses Mi߬
trauen ein nur zu wohl begründetes gewesen, hat die Geschichte gelehrt. Es
ist jetzt kein Zweifel mehr: er trat das Ministerium an und leistete den Ver¬
fassungseid in der Absicht, ihn und die Verfassung zu brechen. Daß, und
wie ihm dies gelang, ist bekannt. Er conspirirte, berichtete seinen Verbünde¬
ten Unwahrheit und brachte wirklich die Bundesversammlung dahin, daß
diese am 24. März 1852 die in langjähriger Wirksamkeit bestehende Ver¬
fassung Hessens außer Wirksamkeit setzte und ein anderes Elaborat als Ver¬
fassungsgesetz zu publiciren beschloß. —


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/361>, abgerufen am 10.06.2024.