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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

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lassen, es habe wieder erhalten, was es früher besessen? Das conservative
Volk verlangt nicht nach dem gleißenden Schimmer; es will sein Recht als
Recht, es begehrt seine beschworne Verfassung als solche, es verwirft die ihm
durch die Revolution aufgedrungene Staatsnorm.

Es gibt jetzt nur zwei Wege für den Bundestag, entweder er schreitet
auf dem Wege der Revolution fort und beschwört dadurch die vom Volke
begehrte Reaction herauf, oder er kehrt offen und ehrlich um und geht
mit dem Volke den Weg, den er ohne dasselbe so oft schon gegangen, den
der Reaction, der Rückkehr zum Alten.

Es mag mancher deutschen Regierung jetzt schwer werden, diesen letzten
Weg einzuschlagen und einzugestehen, der Bund habe 1852 sich überstürzt,
er sei damals hintergangen worden; namentlich gilt dies von denjenigen,
welche damals mit Freuden die Hand boten, um die angeblich zu freisinnige
Verfassung von 1831 zu beseitigen, um alle Errungenschaften des Jahres 1843
zu vernichten und Deutschland in die glückliche Zeit der zwanziger und drei¬
ßiger Jahre zurückzuversetzen. Wo aber der Bruch des Rechts so offen vor¬
liegt, wo die Wiederherstellung desselben so allgemein verlangt wird, ja als
Pflicht der Selbsterhaltung sich darstellt, wo die Rückkehr zum Rechte, zur
Pflicht durch die preußischen Vorschläge angebahnt ist: da sollten alle derar¬
tigen Bedenklichkeiten schweigen, da sollte jede verbündete Regierung in ihrem
eignen Interesse umkehren und den Weg der Revolution verlassen.

Jede Regierung soll sich nur die Consequenzen vergegenwärtigen, welche
sich aus dem Beharren auf der eingeschlagenen Bahn ergeben müssen. Bleibt
es bei der Beseitigung der hessischen Verfassung, oder vielmehr wird dieselbe
jetzt erst definitiv beseitigt, nachdem sie nur einstweilen außer Wirksamkeit ge¬
setzt war, so erkennt sich dadurch der Bundestag das Recht zu. eine jede deut¬
sche Verfassung aufzuheben, in der einzelne Bestimmungen den Bundesgrund-
gesctzen nicht entsprechen sollen. Kann eine solche Aufhebung auf Antrag der
betreffenden Regierung geschehen, so steht nichts im Wege, dieselbe auch aus
Antrag der Stände, oder gar von Bundeswegen, ohne allen Antrag, zu be¬
wirken. Würde aber auch der Bund selbst nicht solchergestalt eingreifen, so
würde doch der Art. 56. der W. sah. A. niemals geltend gemacht werden kön¬
nen, wenn die Verfassung eines deutschen Landes auf nicht verfassungsmäßige
Weise eine Umgestaltung erführe; denn der Bund selbst hat ja gegen den
gedachten Artikel seiner Grundgesetze in der hessischen Frage gehandelt.

Solchergestalt würde keine Regierung, kein Land sich seiner Verfassung
freuen können, alle Rechtssicherheit, alle feste Grundlage eines gedeihlichen
Staatslebens würde verschwinden, das deutsche Volk müßte, von seinem con-
servativen, constitutionellen Standpunkte aus, alles Vertrauen zum Bundestage
und zu seinen speciellen Regierungen verlieren, und der Bund selbst und die


lassen, es habe wieder erhalten, was es früher besessen? Das conservative
Volk verlangt nicht nach dem gleißenden Schimmer; es will sein Recht als
Recht, es begehrt seine beschworne Verfassung als solche, es verwirft die ihm
durch die Revolution aufgedrungene Staatsnorm.

Es gibt jetzt nur zwei Wege für den Bundestag, entweder er schreitet
auf dem Wege der Revolution fort und beschwört dadurch die vom Volke
begehrte Reaction herauf, oder er kehrt offen und ehrlich um und geht
mit dem Volke den Weg, den er ohne dasselbe so oft schon gegangen, den
der Reaction, der Rückkehr zum Alten.

Es mag mancher deutschen Regierung jetzt schwer werden, diesen letzten
Weg einzuschlagen und einzugestehen, der Bund habe 1852 sich überstürzt,
er sei damals hintergangen worden; namentlich gilt dies von denjenigen,
welche damals mit Freuden die Hand boten, um die angeblich zu freisinnige
Verfassung von 1831 zu beseitigen, um alle Errungenschaften des Jahres 1843
zu vernichten und Deutschland in die glückliche Zeit der zwanziger und drei¬
ßiger Jahre zurückzuversetzen. Wo aber der Bruch des Rechts so offen vor¬
liegt, wo die Wiederherstellung desselben so allgemein verlangt wird, ja als
Pflicht der Selbsterhaltung sich darstellt, wo die Rückkehr zum Rechte, zur
Pflicht durch die preußischen Vorschläge angebahnt ist: da sollten alle derar¬
tigen Bedenklichkeiten schweigen, da sollte jede verbündete Regierung in ihrem
eignen Interesse umkehren und den Weg der Revolution verlassen.

Jede Regierung soll sich nur die Consequenzen vergegenwärtigen, welche
sich aus dem Beharren auf der eingeschlagenen Bahn ergeben müssen. Bleibt
es bei der Beseitigung der hessischen Verfassung, oder vielmehr wird dieselbe
jetzt erst definitiv beseitigt, nachdem sie nur einstweilen außer Wirksamkeit ge¬
setzt war, so erkennt sich dadurch der Bundestag das Recht zu. eine jede deut¬
sche Verfassung aufzuheben, in der einzelne Bestimmungen den Bundesgrund-
gesctzen nicht entsprechen sollen. Kann eine solche Aufhebung auf Antrag der
betreffenden Regierung geschehen, so steht nichts im Wege, dieselbe auch aus
Antrag der Stände, oder gar von Bundeswegen, ohne allen Antrag, zu be¬
wirken. Würde aber auch der Bund selbst nicht solchergestalt eingreifen, so
würde doch der Art. 56. der W. sah. A. niemals geltend gemacht werden kön¬
nen, wenn die Verfassung eines deutschen Landes auf nicht verfassungsmäßige
Weise eine Umgestaltung erführe; denn der Bund selbst hat ja gegen den
gedachten Artikel seiner Grundgesetze in der hessischen Frage gehandelt.

Solchergestalt würde keine Regierung, kein Land sich seiner Verfassung
freuen können, alle Rechtssicherheit, alle feste Grundlage eines gedeihlichen
Staatslebens würde verschwinden, das deutsche Volk müßte, von seinem con-
servativen, constitutionellen Standpunkte aus, alles Vertrauen zum Bundestage
und zu seinen speciellen Regierungen verlieren, und der Bund selbst und die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/363>, abgerufen am 29.05.2024.