Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Regierungen würden, anstatt die Ruhe, den Frieden, die Wohlfahrt der Länder
zu befördern, die Revolution und Anarchie herbeiführen.

WM das der Bundestag nicht, so ist nur der eine einzige Weg gegeben,
der sicher und rasch zum erfreulichen Ziele führt. Preußen hat ihn betreten.
Auch Preußen hatte 1852 seine Stimme zu dem Beschlusse vom 27. Mürz
gegeben und durch seinen Commissär wesentlich zur Unterdrückung des Rechts
in Hessen beigetragen. Nichtsdestoweniger gesteht es jetzt offen, der Beschluß
vom 27. März 1852 beruhe auf falschen Voraussetzungen; eine nochmalige
ruhige Prüfung habe ihm eine gegentheilige Ueberzeugung verschafft. So
handelt der Ehrenmann, er bekennt offen, wenn er aus Irrthum gefehlt und
Unrecht gethan hat, er sucht den gestifteten Schaden so viel irgend möglich
wieder auszugleichen, er macht das Unrecht wieder gut; aber er behauptet
nicht. Recht gethan zu haben, er beharrt nicht im Unrechte und wirft dem
durch ihn Verletzten ein armseliges Almosen hin.

Für Kurhessen gibt es keine andere Ausgleichung, der Bundestag kann
das durch seine eigne Revolution gestiftete Unrecht nicht anders gut machen,
als durch rückhaltlose Wiederherstellung der Verfassung von 1831 und Besei¬
tigung aller auf der revolutionären Basis von 1850 bis jetzt bestehenden Ein¬
richtungen, Gesetze und Verordnungen.

Aber, wird man einwenden, der Bundestag hat ja erklärt, die Verfassung
von 1831 und die darauf bezüglichen Gesetze von 1848 und 1849 seien den
Bundesgruudgesetzcn widerstreitend. Es ist wahr, daß der Bund diese Erklä¬
rung gegeben. Aber ebenso wahr ist, daß der Bundestag damals gar nicht
geprüft hatte, welche Bestiuimungen denn bundeswidrig seien; daß er damals
blindlings den Insinuationen der beiden Kommissare vertraute, und daß diese
letzten sowol durch das hessische Ministerium absichtlich getäuscht waren, als
auch ihrerseits selbst die Bundesversammlung absichtlich getäuscht hatten. Jetzt
ist von allem diesem der Schleier längst gefallen; jetzt ist aber der Bund in
der Lage, die definitive Entscheidung zu geben. Er kann alle diese Enthüllungen
nicht ignoriren; er kann sich jetzt der Prüfung der angeblich bundeswidrigen
Normen nicht entziehen.

Und wie leicht und einfach ist diese Prüfung zu bewerkstelligen! Das
deutsche Staatsrecht in seiner heutigen praktischen Anwendung bietet die sicher¬
sten Mittel dazu. Die Bundesgrundgesetze in Verbindung mit den in aner¬
kannter Wirksamkeit stehenden Verfassungen der Einzelstaaten, namentlich wenn
diese die Garantie des Bundes erlangt haben, sind der untrügliche Maßstab
für die Zulässigkeit oder Verwerflichkeit einer Verfassungsnorm. Wird dieser
Maßstab an die hessische Verfassung und die dazu gehörigen Gesetze angelegt,
so ist an einem baldigen Resultate nicht zu zweifeln, um so mehr, als nur
äußerst wenige Bestimmungen sich werden überhaupt beanstanden lassen, und


Regierungen würden, anstatt die Ruhe, den Frieden, die Wohlfahrt der Länder
zu befördern, die Revolution und Anarchie herbeiführen.

WM das der Bundestag nicht, so ist nur der eine einzige Weg gegeben,
der sicher und rasch zum erfreulichen Ziele führt. Preußen hat ihn betreten.
Auch Preußen hatte 1852 seine Stimme zu dem Beschlusse vom 27. Mürz
gegeben und durch seinen Commissär wesentlich zur Unterdrückung des Rechts
in Hessen beigetragen. Nichtsdestoweniger gesteht es jetzt offen, der Beschluß
vom 27. März 1852 beruhe auf falschen Voraussetzungen; eine nochmalige
ruhige Prüfung habe ihm eine gegentheilige Ueberzeugung verschafft. So
handelt der Ehrenmann, er bekennt offen, wenn er aus Irrthum gefehlt und
Unrecht gethan hat, er sucht den gestifteten Schaden so viel irgend möglich
wieder auszugleichen, er macht das Unrecht wieder gut; aber er behauptet
nicht. Recht gethan zu haben, er beharrt nicht im Unrechte und wirft dem
durch ihn Verletzten ein armseliges Almosen hin.

Für Kurhessen gibt es keine andere Ausgleichung, der Bundestag kann
das durch seine eigne Revolution gestiftete Unrecht nicht anders gut machen,
als durch rückhaltlose Wiederherstellung der Verfassung von 1831 und Besei¬
tigung aller auf der revolutionären Basis von 1850 bis jetzt bestehenden Ein¬
richtungen, Gesetze und Verordnungen.

Aber, wird man einwenden, der Bundestag hat ja erklärt, die Verfassung
von 1831 und die darauf bezüglichen Gesetze von 1848 und 1849 seien den
Bundesgruudgesetzcn widerstreitend. Es ist wahr, daß der Bund diese Erklä¬
rung gegeben. Aber ebenso wahr ist, daß der Bundestag damals gar nicht
geprüft hatte, welche Bestiuimungen denn bundeswidrig seien; daß er damals
blindlings den Insinuationen der beiden Kommissare vertraute, und daß diese
letzten sowol durch das hessische Ministerium absichtlich getäuscht waren, als
auch ihrerseits selbst die Bundesversammlung absichtlich getäuscht hatten. Jetzt
ist von allem diesem der Schleier längst gefallen; jetzt ist aber der Bund in
der Lage, die definitive Entscheidung zu geben. Er kann alle diese Enthüllungen
nicht ignoriren; er kann sich jetzt der Prüfung der angeblich bundeswidrigen
Normen nicht entziehen.

Und wie leicht und einfach ist diese Prüfung zu bewerkstelligen! Das
deutsche Staatsrecht in seiner heutigen praktischen Anwendung bietet die sicher¬
sten Mittel dazu. Die Bundesgrundgesetze in Verbindung mit den in aner¬
kannter Wirksamkeit stehenden Verfassungen der Einzelstaaten, namentlich wenn
diese die Garantie des Bundes erlangt haben, sind der untrügliche Maßstab
für die Zulässigkeit oder Verwerflichkeit einer Verfassungsnorm. Wird dieser
Maßstab an die hessische Verfassung und die dazu gehörigen Gesetze angelegt,
so ist an einem baldigen Resultate nicht zu zweifeln, um so mehr, als nur
äußerst wenige Bestimmungen sich werden überhaupt beanstanden lassen, und


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0364" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/109086"/>
          <p xml:id="ID_1045" prev="#ID_1044"> Regierungen würden, anstatt die Ruhe, den Frieden, die Wohlfahrt der Länder<lb/>
zu befördern, die Revolution und Anarchie herbeiführen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1046"> WM das der Bundestag nicht, so ist nur der eine einzige Weg gegeben,<lb/>
der sicher und rasch zum erfreulichen Ziele führt. Preußen hat ihn betreten.<lb/>
Auch Preußen hatte 1852 seine Stimme zu dem Beschlusse vom 27. Mürz<lb/>
gegeben und durch seinen Commissär wesentlich zur Unterdrückung des Rechts<lb/>
in Hessen beigetragen. Nichtsdestoweniger gesteht es jetzt offen, der Beschluß<lb/>
vom 27. März 1852 beruhe auf falschen Voraussetzungen; eine nochmalige<lb/>
ruhige Prüfung habe ihm eine gegentheilige Ueberzeugung verschafft. So<lb/>
handelt der Ehrenmann, er bekennt offen, wenn er aus Irrthum gefehlt und<lb/>
Unrecht gethan hat, er sucht den gestifteten Schaden so viel irgend möglich<lb/>
wieder auszugleichen, er macht das Unrecht wieder gut; aber er behauptet<lb/>
nicht. Recht gethan zu haben, er beharrt nicht im Unrechte und wirft dem<lb/>
durch ihn Verletzten ein armseliges Almosen hin.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1047"> Für Kurhessen gibt es keine andere Ausgleichung, der Bundestag kann<lb/>
das durch seine eigne Revolution gestiftete Unrecht nicht anders gut machen,<lb/>
als durch rückhaltlose Wiederherstellung der Verfassung von 1831 und Besei¬<lb/>
tigung aller auf der revolutionären Basis von 1850 bis jetzt bestehenden Ein¬<lb/>
richtungen, Gesetze und Verordnungen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1048"> Aber, wird man einwenden, der Bundestag hat ja erklärt, die Verfassung<lb/>
von 1831 und die darauf bezüglichen Gesetze von 1848 und 1849 seien den<lb/>
Bundesgruudgesetzcn widerstreitend. Es ist wahr, daß der Bund diese Erklä¬<lb/>
rung gegeben. Aber ebenso wahr ist, daß der Bundestag damals gar nicht<lb/>
geprüft hatte, welche Bestiuimungen denn bundeswidrig seien; daß er damals<lb/>
blindlings den Insinuationen der beiden Kommissare vertraute, und daß diese<lb/>
letzten sowol durch das hessische Ministerium absichtlich getäuscht waren, als<lb/>
auch ihrerseits selbst die Bundesversammlung absichtlich getäuscht hatten. Jetzt<lb/>
ist von allem diesem der Schleier längst gefallen; jetzt ist aber der Bund in<lb/>
der Lage, die definitive Entscheidung zu geben. Er kann alle diese Enthüllungen<lb/>
nicht ignoriren; er kann sich jetzt der Prüfung der angeblich bundeswidrigen<lb/>
Normen nicht entziehen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1049" next="#ID_1050"> Und wie leicht und einfach ist diese Prüfung zu bewerkstelligen! Das<lb/>
deutsche Staatsrecht in seiner heutigen praktischen Anwendung bietet die sicher¬<lb/>
sten Mittel dazu. Die Bundesgrundgesetze in Verbindung mit den in aner¬<lb/>
kannter Wirksamkeit stehenden Verfassungen der Einzelstaaten, namentlich wenn<lb/>
diese die Garantie des Bundes erlangt haben, sind der untrügliche Maßstab<lb/>
für die Zulässigkeit oder Verwerflichkeit einer Verfassungsnorm. Wird dieser<lb/>
Maßstab an die hessische Verfassung und die dazu gehörigen Gesetze angelegt,<lb/>
so ist an einem baldigen Resultate nicht zu zweifeln, um so mehr, als nur<lb/>
äußerst wenige Bestimmungen sich werden überhaupt beanstanden lassen, und</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0364] Regierungen würden, anstatt die Ruhe, den Frieden, die Wohlfahrt der Länder zu befördern, die Revolution und Anarchie herbeiführen. WM das der Bundestag nicht, so ist nur der eine einzige Weg gegeben, der sicher und rasch zum erfreulichen Ziele führt. Preußen hat ihn betreten. Auch Preußen hatte 1852 seine Stimme zu dem Beschlusse vom 27. Mürz gegeben und durch seinen Commissär wesentlich zur Unterdrückung des Rechts in Hessen beigetragen. Nichtsdestoweniger gesteht es jetzt offen, der Beschluß vom 27. März 1852 beruhe auf falschen Voraussetzungen; eine nochmalige ruhige Prüfung habe ihm eine gegentheilige Ueberzeugung verschafft. So handelt der Ehrenmann, er bekennt offen, wenn er aus Irrthum gefehlt und Unrecht gethan hat, er sucht den gestifteten Schaden so viel irgend möglich wieder auszugleichen, er macht das Unrecht wieder gut; aber er behauptet nicht. Recht gethan zu haben, er beharrt nicht im Unrechte und wirft dem durch ihn Verletzten ein armseliges Almosen hin. Für Kurhessen gibt es keine andere Ausgleichung, der Bundestag kann das durch seine eigne Revolution gestiftete Unrecht nicht anders gut machen, als durch rückhaltlose Wiederherstellung der Verfassung von 1831 und Besei¬ tigung aller auf der revolutionären Basis von 1850 bis jetzt bestehenden Ein¬ richtungen, Gesetze und Verordnungen. Aber, wird man einwenden, der Bundestag hat ja erklärt, die Verfassung von 1831 und die darauf bezüglichen Gesetze von 1848 und 1849 seien den Bundesgruudgesetzcn widerstreitend. Es ist wahr, daß der Bund diese Erklä¬ rung gegeben. Aber ebenso wahr ist, daß der Bundestag damals gar nicht geprüft hatte, welche Bestiuimungen denn bundeswidrig seien; daß er damals blindlings den Insinuationen der beiden Kommissare vertraute, und daß diese letzten sowol durch das hessische Ministerium absichtlich getäuscht waren, als auch ihrerseits selbst die Bundesversammlung absichtlich getäuscht hatten. Jetzt ist von allem diesem der Schleier längst gefallen; jetzt ist aber der Bund in der Lage, die definitive Entscheidung zu geben. Er kann alle diese Enthüllungen nicht ignoriren; er kann sich jetzt der Prüfung der angeblich bundeswidrigen Normen nicht entziehen. Und wie leicht und einfach ist diese Prüfung zu bewerkstelligen! Das deutsche Staatsrecht in seiner heutigen praktischen Anwendung bietet die sicher¬ sten Mittel dazu. Die Bundesgrundgesetze in Verbindung mit den in aner¬ kannter Wirksamkeit stehenden Verfassungen der Einzelstaaten, namentlich wenn diese die Garantie des Bundes erlangt haben, sind der untrügliche Maßstab für die Zulässigkeit oder Verwerflichkeit einer Verfassungsnorm. Wird dieser Maßstab an die hessische Verfassung und die dazu gehörigen Gesetze angelegt, so ist an einem baldigen Resultate nicht zu zweifeln, um so mehr, als nur äußerst wenige Bestimmungen sich werden überhaupt beanstanden lassen, und

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/364
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/364>, abgerufen am 15.05.2024.