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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

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einen Raub nennen, daß du alle köstlichen Federn der tausendfachen Geflügel
unter dem Himmel ihnen, als wären sie usurpirt, ausraufst, um deinen Pa¬
radiesvogel ausschließlich damit zu schmücken; dieses ist was uns nothwendig
verdrießen und unleidlich scheinen muß, die wir uns einer jeden durch Men¬
schen und dem Menschen offenbarten Weisheit zu Schülern hingeben und
als Söhne Gottes ihn in uns selbst und allen seinen Kindern anbeten. Ich
weiß wol, daß du dich darin nicht verändern kannst, doch finde ich nöthig,
da du deinen Glauben wiederholend predigest, dir auch den unsern als einen
ehernen Fels der Menschheit wiederholt zu zeigen, den du und eine ganze
Christenheit mit den Wogen eures Meeres vielleicht einmal übersprudeln, aber
weder überströmen, noch in seinen Tiefen erschüttern könne."

Von diesem damaligen Glaubensbekenntnis) Goethe's würden wir eine
genauere Vorstellung haben, wenn er sein Gedicht: die Geheimnisse vollendet
hätte. Er wollte die Offenbarung Gottes als eine vielfache, durch die ver¬
schiedenen Religionen der Menschheit vermittelte, darstellen, ungefähr nach Art
der Freimaurer; doch versteht sich von selbst, daß er dabei wiederum die Ex¬
kremente durch eine seine Währung abgesondert, d. h. die Religion in Poesie
verwandelt, dachte. So schreibt er für die von Gott eingesetzte Aristokratie
gegen Lavater, der für das Einreich Christi schreibt; er läßt das Poetische
seiner Anschauungen gelten, empört sich aber, sobald sie das Gesetz des wirk¬
lichen Lebens verleugnen wollen. "Du hältst das Evangelium wie es steht,
für die göttlichste Wahrheit; mich würde eine vernehmliche Stimme vom Him¬
mel nicht überzeugen, daß das Wasser brennt und das Feuer löscht, daß ein
Weib ohne Mann gebiert und daß ein Todter aufersteht; vielmehr halte ich
dieses für Lästerungen gegen den großen Gott und seine Offenbarung in der
Natur." Bei diesem Gegensatz mußte die Entfremdung zwischen den beiden
Männern bei fortschreitendem Alter sich immer vergrößern; "denn aus Ver¬
bindungen, die nicht bis in's Innerste der Existenz gehen, kann nichts Kluges
werden."

Was hier gewissermaßen nur als Gegensatz der Empfindung zwischen
zwei verwandten und doch wieder so ganz anders organisirten Naturen sich
herausstellte, der Gegensatz zwischen Pantheismus und Monotheismus, bildete
zugleich den Mittelpunkt aller Streitigkeiten, in welchen die Glaubensphiloso¬
phie wirkte und lebte. Von dieser Seite werden wir sie in einer folgenden
I. S. Abhandlung betrachten.




einen Raub nennen, daß du alle köstlichen Federn der tausendfachen Geflügel
unter dem Himmel ihnen, als wären sie usurpirt, ausraufst, um deinen Pa¬
radiesvogel ausschließlich damit zu schmücken; dieses ist was uns nothwendig
verdrießen und unleidlich scheinen muß, die wir uns einer jeden durch Men¬
schen und dem Menschen offenbarten Weisheit zu Schülern hingeben und
als Söhne Gottes ihn in uns selbst und allen seinen Kindern anbeten. Ich
weiß wol, daß du dich darin nicht verändern kannst, doch finde ich nöthig,
da du deinen Glauben wiederholend predigest, dir auch den unsern als einen
ehernen Fels der Menschheit wiederholt zu zeigen, den du und eine ganze
Christenheit mit den Wogen eures Meeres vielleicht einmal übersprudeln, aber
weder überströmen, noch in seinen Tiefen erschüttern könne."

Von diesem damaligen Glaubensbekenntnis) Goethe's würden wir eine
genauere Vorstellung haben, wenn er sein Gedicht: die Geheimnisse vollendet
hätte. Er wollte die Offenbarung Gottes als eine vielfache, durch die ver¬
schiedenen Religionen der Menschheit vermittelte, darstellen, ungefähr nach Art
der Freimaurer; doch versteht sich von selbst, daß er dabei wiederum die Ex¬
kremente durch eine seine Währung abgesondert, d. h. die Religion in Poesie
verwandelt, dachte. So schreibt er für die von Gott eingesetzte Aristokratie
gegen Lavater, der für das Einreich Christi schreibt; er läßt das Poetische
seiner Anschauungen gelten, empört sich aber, sobald sie das Gesetz des wirk¬
lichen Lebens verleugnen wollen. „Du hältst das Evangelium wie es steht,
für die göttlichste Wahrheit; mich würde eine vernehmliche Stimme vom Him¬
mel nicht überzeugen, daß das Wasser brennt und das Feuer löscht, daß ein
Weib ohne Mann gebiert und daß ein Todter aufersteht; vielmehr halte ich
dieses für Lästerungen gegen den großen Gott und seine Offenbarung in der
Natur." Bei diesem Gegensatz mußte die Entfremdung zwischen den beiden
Männern bei fortschreitendem Alter sich immer vergrößern; „denn aus Ver¬
bindungen, die nicht bis in's Innerste der Existenz gehen, kann nichts Kluges
werden."

Was hier gewissermaßen nur als Gegensatz der Empfindung zwischen
zwei verwandten und doch wieder so ganz anders organisirten Naturen sich
herausstellte, der Gegensatz zwischen Pantheismus und Monotheismus, bildete
zugleich den Mittelpunkt aller Streitigkeiten, in welchen die Glaubensphiloso¬
phie wirkte und lebte. Von dieser Seite werden wir sie in einer folgenden
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/38>, abgerufen am 15.05.2024.