Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

das glänzendste Zeugniß ablegt, ist in seiner ersten Anlage ein Pendant zu
Lavcitcr's Versuchen/die Religion durch Magie zu ersetzen. Faust beschwört
das Göttliche zuerst in der Gestalt des Makrokosmus oder der spiuozistischen
Substanz, findet darin aber keineswegs Befriedigung: "Welch Schauspiel!
aber ach, ein Schauspiel nur!" u. s. w. Näher steht seinem Herzen die zweite
Erscheinung des Göttlichen, der Erdgeist, der in der Menschheit sich offenba¬
rende Gott; aber auch diesen vermag er nicht ganz zu fassen, weil sich die
Fülle der Menschheit nur in dem breiten Strom der gesammten Geschichte
entfaltet, während er alle Kräfte der Menschheit in seinem eignen Selbst con-
centriren will. Daß der Erdgeist die Andeutung macht, ein solches Streben
arbeite dem Mephistopheles in die Hände, ist vielleicht mehr Inspiration als
bewußter Gedanke. In der späteren Unterredung mit Grethchen wird das
Göttliche im überquellenden Gefühl gesucht, wo denn freilich die Wendung
nahe lag, im Besitz eines solchen Gefühls sich einer höhern Quelle desselben
zu überheben. Der Prometheus, der ungefähr gleichzeitig mit der ersten An¬
lage des Faust fällt, ist freilich nicht als geschlossenes Glaubenssystem, sondern
nur als der Ausdruck einer momentanen, heftig erregten Stimmung zu neh¬
men, als die Reaktion des Unmuths gegen das vergebliche Suchen nach Gott,
aber in dieser Stimmung ist Prometheus der Dichter selbst.

Das eifrige Studium der Natur und ihrer Gesetze eröffnete ihm tiefe
Blicke in die Ordnung des Weltalls, durch die er das Gefühl des Göttlichen
in seinem Innern und die Offenbarung des Göttlichen durch die Kunst, gleich¬
sam ergänzen konnte. Die Bekanntschaft mit Herder kam dazu und so traf
Spinoza einen wohl vorbereiteten Schüler. Die Achtung vor dem Christen¬
thum, durch eine eifrige Lectüre der Bibel, durch die Abneigung gegen alle
Verallgemeinerungen, durch den geistigen Verkehr mit Hamann genährt, blieb
dabei bestehen, und so konnte er in jener Periode noch mit Recht sagen, er
verstehe Lavater vollkommen, um seine Ideen in sein umfassenderes System
aufzunehmen.

Noch im Juni 1731 schreibt er an ihn: er habe seinen Christus noch
niemals so gern angesehen, als in seinen Briefen. "Es giebt zu den schön-
sten Betrachtungen Anlaß, wenn man dich das herrliche üystallhelle Gefäß
mit der höchsten Inbrunst fassen, mit deinem eignen hochrothen Trank schäu¬
mend füllen, und den über den Rand hinaufsteigenden Gischt mit Wollust
wieder schlürfen sieht. Ich gönne dir gern dieses Glück, denn du müßtest
ohne dasselbe elend werden. Bei dem Wunsch und der Begierde, in einem
Individuum Alles zu genießen, und bei der Unmöglichkeit, daß dir ein In¬
dividuum genugthun kann, ist es herrlich, daß aus alten Zeiten uns ein Bild
übrig blieb. in das du dein Alles übertragen und in ihm dich bespiegeln,
dich selbst anbeten kannst. Nur das kann ich nicht anders als ungerecht und


Grenzboten I. 1LL0,

das glänzendste Zeugniß ablegt, ist in seiner ersten Anlage ein Pendant zu
Lavcitcr's Versuchen/die Religion durch Magie zu ersetzen. Faust beschwört
das Göttliche zuerst in der Gestalt des Makrokosmus oder der spiuozistischen
Substanz, findet darin aber keineswegs Befriedigung: „Welch Schauspiel!
aber ach, ein Schauspiel nur!" u. s. w. Näher steht seinem Herzen die zweite
Erscheinung des Göttlichen, der Erdgeist, der in der Menschheit sich offenba¬
rende Gott; aber auch diesen vermag er nicht ganz zu fassen, weil sich die
Fülle der Menschheit nur in dem breiten Strom der gesammten Geschichte
entfaltet, während er alle Kräfte der Menschheit in seinem eignen Selbst con-
centriren will. Daß der Erdgeist die Andeutung macht, ein solches Streben
arbeite dem Mephistopheles in die Hände, ist vielleicht mehr Inspiration als
bewußter Gedanke. In der späteren Unterredung mit Grethchen wird das
Göttliche im überquellenden Gefühl gesucht, wo denn freilich die Wendung
nahe lag, im Besitz eines solchen Gefühls sich einer höhern Quelle desselben
zu überheben. Der Prometheus, der ungefähr gleichzeitig mit der ersten An¬
lage des Faust fällt, ist freilich nicht als geschlossenes Glaubenssystem, sondern
nur als der Ausdruck einer momentanen, heftig erregten Stimmung zu neh¬
men, als die Reaktion des Unmuths gegen das vergebliche Suchen nach Gott,
aber in dieser Stimmung ist Prometheus der Dichter selbst.

Das eifrige Studium der Natur und ihrer Gesetze eröffnete ihm tiefe
Blicke in die Ordnung des Weltalls, durch die er das Gefühl des Göttlichen
in seinem Innern und die Offenbarung des Göttlichen durch die Kunst, gleich¬
sam ergänzen konnte. Die Bekanntschaft mit Herder kam dazu und so traf
Spinoza einen wohl vorbereiteten Schüler. Die Achtung vor dem Christen¬
thum, durch eine eifrige Lectüre der Bibel, durch die Abneigung gegen alle
Verallgemeinerungen, durch den geistigen Verkehr mit Hamann genährt, blieb
dabei bestehen, und so konnte er in jener Periode noch mit Recht sagen, er
verstehe Lavater vollkommen, um seine Ideen in sein umfassenderes System
aufzunehmen.

Noch im Juni 1731 schreibt er an ihn: er habe seinen Christus noch
niemals so gern angesehen, als in seinen Briefen. „Es giebt zu den schön-
sten Betrachtungen Anlaß, wenn man dich das herrliche üystallhelle Gefäß
mit der höchsten Inbrunst fassen, mit deinem eignen hochrothen Trank schäu¬
mend füllen, und den über den Rand hinaufsteigenden Gischt mit Wollust
wieder schlürfen sieht. Ich gönne dir gern dieses Glück, denn du müßtest
ohne dasselbe elend werden. Bei dem Wunsch und der Begierde, in einem
Individuum Alles zu genießen, und bei der Unmöglichkeit, daß dir ein In¬
dividuum genugthun kann, ist es herrlich, daß aus alten Zeiten uns ein Bild
übrig blieb. in das du dein Alles übertragen und in ihm dich bespiegeln,
dich selbst anbeten kannst. Nur das kann ich nicht anders als ungerecht und


Grenzboten I. 1LL0,
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0037" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/108759"/>
          <p xml:id="ID_67" prev="#ID_66"> das glänzendste Zeugniß ablegt, ist in seiner ersten Anlage ein Pendant zu<lb/>
Lavcitcr's Versuchen/die Religion durch Magie zu ersetzen. Faust beschwört<lb/>
das Göttliche zuerst in der Gestalt des Makrokosmus oder der spiuozistischen<lb/>
Substanz, findet darin aber keineswegs Befriedigung: &#x201E;Welch Schauspiel!<lb/>
aber ach, ein Schauspiel nur!" u. s. w. Näher steht seinem Herzen die zweite<lb/>
Erscheinung des Göttlichen, der Erdgeist, der in der Menschheit sich offenba¬<lb/>
rende Gott; aber auch diesen vermag er nicht ganz zu fassen, weil sich die<lb/>
Fülle der Menschheit nur in dem breiten Strom der gesammten Geschichte<lb/>
entfaltet, während er alle Kräfte der Menschheit in seinem eignen Selbst con-<lb/>
centriren will. Daß der Erdgeist die Andeutung macht, ein solches Streben<lb/>
arbeite dem Mephistopheles in die Hände, ist vielleicht mehr Inspiration als<lb/>
bewußter Gedanke. In der späteren Unterredung mit Grethchen wird das<lb/>
Göttliche im überquellenden Gefühl gesucht, wo denn freilich die Wendung<lb/>
nahe lag, im Besitz eines solchen Gefühls sich einer höhern Quelle desselben<lb/>
zu überheben. Der Prometheus, der ungefähr gleichzeitig mit der ersten An¬<lb/>
lage des Faust fällt, ist freilich nicht als geschlossenes Glaubenssystem, sondern<lb/>
nur als der Ausdruck einer momentanen, heftig erregten Stimmung zu neh¬<lb/>
men, als die Reaktion des Unmuths gegen das vergebliche Suchen nach Gott,<lb/>
aber in dieser Stimmung ist Prometheus der Dichter selbst.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_68"> Das eifrige Studium der Natur und ihrer Gesetze eröffnete ihm tiefe<lb/>
Blicke in die Ordnung des Weltalls, durch die er das Gefühl des Göttlichen<lb/>
in seinem Innern und die Offenbarung des Göttlichen durch die Kunst, gleich¬<lb/>
sam ergänzen konnte. Die Bekanntschaft mit Herder kam dazu und so traf<lb/>
Spinoza einen wohl vorbereiteten Schüler. Die Achtung vor dem Christen¬<lb/>
thum, durch eine eifrige Lectüre der Bibel, durch die Abneigung gegen alle<lb/>
Verallgemeinerungen, durch den geistigen Verkehr mit Hamann genährt, blieb<lb/>
dabei bestehen, und so konnte er in jener Periode noch mit Recht sagen, er<lb/>
verstehe Lavater vollkommen, um seine Ideen in sein umfassenderes System<lb/>
aufzunehmen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_69" next="#ID_70"> Noch im Juni 1731 schreibt er an ihn: er habe seinen Christus noch<lb/>
niemals so gern angesehen, als in seinen Briefen. &#x201E;Es giebt zu den schön-<lb/>
sten Betrachtungen Anlaß, wenn man dich das herrliche üystallhelle Gefäß<lb/>
mit der höchsten Inbrunst fassen, mit deinem eignen hochrothen Trank schäu¬<lb/>
mend füllen, und den über den Rand hinaufsteigenden Gischt mit Wollust<lb/>
wieder schlürfen sieht. Ich gönne dir gern dieses Glück, denn du müßtest<lb/>
ohne dasselbe elend werden. Bei dem Wunsch und der Begierde, in einem<lb/>
Individuum Alles zu genießen, und bei der Unmöglichkeit, daß dir ein In¬<lb/>
dividuum genugthun kann, ist es herrlich, daß aus alten Zeiten uns ein Bild<lb/>
übrig blieb. in das du dein Alles übertragen und in ihm dich bespiegeln,<lb/>
dich selbst anbeten kannst.  Nur das kann ich nicht anders als ungerecht und</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten I. 1LL0,</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0037] das glänzendste Zeugniß ablegt, ist in seiner ersten Anlage ein Pendant zu Lavcitcr's Versuchen/die Religion durch Magie zu ersetzen. Faust beschwört das Göttliche zuerst in der Gestalt des Makrokosmus oder der spiuozistischen Substanz, findet darin aber keineswegs Befriedigung: „Welch Schauspiel! aber ach, ein Schauspiel nur!" u. s. w. Näher steht seinem Herzen die zweite Erscheinung des Göttlichen, der Erdgeist, der in der Menschheit sich offenba¬ rende Gott; aber auch diesen vermag er nicht ganz zu fassen, weil sich die Fülle der Menschheit nur in dem breiten Strom der gesammten Geschichte entfaltet, während er alle Kräfte der Menschheit in seinem eignen Selbst con- centriren will. Daß der Erdgeist die Andeutung macht, ein solches Streben arbeite dem Mephistopheles in die Hände, ist vielleicht mehr Inspiration als bewußter Gedanke. In der späteren Unterredung mit Grethchen wird das Göttliche im überquellenden Gefühl gesucht, wo denn freilich die Wendung nahe lag, im Besitz eines solchen Gefühls sich einer höhern Quelle desselben zu überheben. Der Prometheus, der ungefähr gleichzeitig mit der ersten An¬ lage des Faust fällt, ist freilich nicht als geschlossenes Glaubenssystem, sondern nur als der Ausdruck einer momentanen, heftig erregten Stimmung zu neh¬ men, als die Reaktion des Unmuths gegen das vergebliche Suchen nach Gott, aber in dieser Stimmung ist Prometheus der Dichter selbst. Das eifrige Studium der Natur und ihrer Gesetze eröffnete ihm tiefe Blicke in die Ordnung des Weltalls, durch die er das Gefühl des Göttlichen in seinem Innern und die Offenbarung des Göttlichen durch die Kunst, gleich¬ sam ergänzen konnte. Die Bekanntschaft mit Herder kam dazu und so traf Spinoza einen wohl vorbereiteten Schüler. Die Achtung vor dem Christen¬ thum, durch eine eifrige Lectüre der Bibel, durch die Abneigung gegen alle Verallgemeinerungen, durch den geistigen Verkehr mit Hamann genährt, blieb dabei bestehen, und so konnte er in jener Periode noch mit Recht sagen, er verstehe Lavater vollkommen, um seine Ideen in sein umfassenderes System aufzunehmen. Noch im Juni 1731 schreibt er an ihn: er habe seinen Christus noch niemals so gern angesehen, als in seinen Briefen. „Es giebt zu den schön- sten Betrachtungen Anlaß, wenn man dich das herrliche üystallhelle Gefäß mit der höchsten Inbrunst fassen, mit deinem eignen hochrothen Trank schäu¬ mend füllen, und den über den Rand hinaufsteigenden Gischt mit Wollust wieder schlürfen sieht. Ich gönne dir gern dieses Glück, denn du müßtest ohne dasselbe elend werden. Bei dem Wunsch und der Begierde, in einem Individuum Alles zu genießen, und bei der Unmöglichkeit, daß dir ein In¬ dividuum genugthun kann, ist es herrlich, daß aus alten Zeiten uns ein Bild übrig blieb. in das du dein Alles übertragen und in ihm dich bespiegeln, dich selbst anbeten kannst. Nur das kann ich nicht anders als ungerecht und Grenzboten I. 1LL0,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/37
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/37>, abgerufen am 16.05.2024.