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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

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Geschichten in Dresden kein Arg findet und die göttliche Faustina immer sehr
honorirt -- warum nicht? wir leben ja im Zeitalter der Auguste! -- Aber
wozu das alles? Sollte das ganze blos eine historische Schilderung sein, dann
wäre eine größere historische Strenge zu wünschen gewesen; eine psycho¬
logische Studie, dann wäre ein gründlicheres Eingehen auf die Seelcn-
bewcgnngen nothwendig. Im übrigen ist der einzige Ton, der sich für
dergleichen Begebenheiten ziemt, der ausgelassene übermüthige Humor. Es
gehen in der Welt viel wunderliche Dinge vor. und sie geht deshalb doch
nicht unter, und sie ist deshalb doch keine schlechte Welt! Wenn der Leser in
diese Stimmung versetzt wird, läßt er sich viel gefallen. Freilich wird es
einer Frau schwer werden, diesen Ton anzuschlagen, aber warum läßt sie
sich dann in dergleichen ein? Solche Zustände mit Gefühl, Seclenerhcbung,
Empfindungsticfe u. tgi. ausgestattet, ist mehr als man erträgt. -- Der
Fehler des andern Nonnus liegt nach einer ganz andern Seite hin. Fanny
Lewald geht von den strengsten sittlichen Motiven aus, und wenn man an
ihrer Heldin etwas tadeln muß, so ist es nur, daß sie in den mannigfachen
Prüfungen nicht mehr Härte des Charakters und Energie erwirbt. Im An¬
fang scheint ihre Natur auch darauf angelegt zu sein, aber im zweiten Bande
schlägt sie um. Inder That, was soll auch aus dem Problem gemacht wer¬
den? Fanny Lewald sagt mit Recht, daß für ein Dienstmädchen eine zu große
Schönheit nicht heilsam ist. Wo sie hinkommt, werden ihr Anträge gemacht,
und die Zurückweisung derselben ruft Brutalitäten hervor. Zuletzt verliebt
sie sich in ihren Brodherrn und Beschützer, einen jungen sehr edlen Officier,
und anstatt sie nun schleunigst zu entfernen, was am nächsten liegen würde,
wendet man äußerst künstliche Mrttel an, die das Unheil, das man vermei¬
den wollte, nur noch schneller herbeiführen; zuletzt kommt alles um. --
Wir verkennen die edle Absicht nicht, welche der Dichterin bei solchen Ge¬
schichten die Feder führt. Es ist ein ähnlicher philanthropischer Sinn, wie
im Onkel Tom. Aber der moralische Zweck muß durch den künstlerischen Ein¬
druck getragen werden, und die Brutalitäten, die von einer solchen Lage un¬
zertrennlich sind, können nur durch eins gut gemacht werden, durch die Kraft,
mit der eine gesunde Natur sie überwindet; ist das nicht der Fall so geht
das ästhetische Mitgefühl in ein peinliches pathologisches über und der künst¬
lerische Zweck wird verfehlt.

Noch ein Buch müssen wir erwähnen, über das wir eine Zeit lang un¬
schlüssig waren, das aber doch die allgemeine Aufmerksamkeit zu sehr auf sich
ziehn wird, als daß wir es mit Stillschweigen übergehn könnten: die von
Ludmilla Ussing herausgegebenen Briefe Humboldts an Barnhagen
(Leipzig. Brockhaus). Gott bewahre uns vor Nichten, die unsere Papier¬
schnitzel drucken lassen! Die Herausgabe dieser Briefe ist in der That ein


Grenzboten I. 1L60. 53

Geschichten in Dresden kein Arg findet und die göttliche Faustina immer sehr
honorirt — warum nicht? wir leben ja im Zeitalter der Auguste! — Aber
wozu das alles? Sollte das ganze blos eine historische Schilderung sein, dann
wäre eine größere historische Strenge zu wünschen gewesen; eine psycho¬
logische Studie, dann wäre ein gründlicheres Eingehen auf die Seelcn-
bewcgnngen nothwendig. Im übrigen ist der einzige Ton, der sich für
dergleichen Begebenheiten ziemt, der ausgelassene übermüthige Humor. Es
gehen in der Welt viel wunderliche Dinge vor. und sie geht deshalb doch
nicht unter, und sie ist deshalb doch keine schlechte Welt! Wenn der Leser in
diese Stimmung versetzt wird, läßt er sich viel gefallen. Freilich wird es
einer Frau schwer werden, diesen Ton anzuschlagen, aber warum läßt sie
sich dann in dergleichen ein? Solche Zustände mit Gefühl, Seclenerhcbung,
Empfindungsticfe u. tgi. ausgestattet, ist mehr als man erträgt. — Der
Fehler des andern Nonnus liegt nach einer ganz andern Seite hin. Fanny
Lewald geht von den strengsten sittlichen Motiven aus, und wenn man an
ihrer Heldin etwas tadeln muß, so ist es nur, daß sie in den mannigfachen
Prüfungen nicht mehr Härte des Charakters und Energie erwirbt. Im An¬
fang scheint ihre Natur auch darauf angelegt zu sein, aber im zweiten Bande
schlägt sie um. Inder That, was soll auch aus dem Problem gemacht wer¬
den? Fanny Lewald sagt mit Recht, daß für ein Dienstmädchen eine zu große
Schönheit nicht heilsam ist. Wo sie hinkommt, werden ihr Anträge gemacht,
und die Zurückweisung derselben ruft Brutalitäten hervor. Zuletzt verliebt
sie sich in ihren Brodherrn und Beschützer, einen jungen sehr edlen Officier,
und anstatt sie nun schleunigst zu entfernen, was am nächsten liegen würde,
wendet man äußerst künstliche Mrttel an, die das Unheil, das man vermei¬
den wollte, nur noch schneller herbeiführen; zuletzt kommt alles um. —
Wir verkennen die edle Absicht nicht, welche der Dichterin bei solchen Ge¬
schichten die Feder führt. Es ist ein ähnlicher philanthropischer Sinn, wie
im Onkel Tom. Aber der moralische Zweck muß durch den künstlerischen Ein¬
druck getragen werden, und die Brutalitäten, die von einer solchen Lage un¬
zertrennlich sind, können nur durch eins gut gemacht werden, durch die Kraft,
mit der eine gesunde Natur sie überwindet; ist das nicht der Fall so geht
das ästhetische Mitgefühl in ein peinliches pathologisches über und der künst¬
lerische Zweck wird verfehlt.

Noch ein Buch müssen wir erwähnen, über das wir eine Zeit lang un¬
schlüssig waren, das aber doch die allgemeine Aufmerksamkeit zu sehr auf sich
ziehn wird, als daß wir es mit Stillschweigen übergehn könnten: die von
Ludmilla Ussing herausgegebenen Briefe Humboldts an Barnhagen
(Leipzig. Brockhaus). Gott bewahre uns vor Nichten, die unsere Papier¬
schnitzel drucken lassen! Die Herausgabe dieser Briefe ist in der That ein


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[0429] Geschichten in Dresden kein Arg findet und die göttliche Faustina immer sehr honorirt — warum nicht? wir leben ja im Zeitalter der Auguste! — Aber wozu das alles? Sollte das ganze blos eine historische Schilderung sein, dann wäre eine größere historische Strenge zu wünschen gewesen; eine psycho¬ logische Studie, dann wäre ein gründlicheres Eingehen auf die Seelcn- bewcgnngen nothwendig. Im übrigen ist der einzige Ton, der sich für dergleichen Begebenheiten ziemt, der ausgelassene übermüthige Humor. Es gehen in der Welt viel wunderliche Dinge vor. und sie geht deshalb doch nicht unter, und sie ist deshalb doch keine schlechte Welt! Wenn der Leser in diese Stimmung versetzt wird, läßt er sich viel gefallen. Freilich wird es einer Frau schwer werden, diesen Ton anzuschlagen, aber warum läßt sie sich dann in dergleichen ein? Solche Zustände mit Gefühl, Seclenerhcbung, Empfindungsticfe u. tgi. ausgestattet, ist mehr als man erträgt. — Der Fehler des andern Nonnus liegt nach einer ganz andern Seite hin. Fanny Lewald geht von den strengsten sittlichen Motiven aus, und wenn man an ihrer Heldin etwas tadeln muß, so ist es nur, daß sie in den mannigfachen Prüfungen nicht mehr Härte des Charakters und Energie erwirbt. Im An¬ fang scheint ihre Natur auch darauf angelegt zu sein, aber im zweiten Bande schlägt sie um. Inder That, was soll auch aus dem Problem gemacht wer¬ den? Fanny Lewald sagt mit Recht, daß für ein Dienstmädchen eine zu große Schönheit nicht heilsam ist. Wo sie hinkommt, werden ihr Anträge gemacht, und die Zurückweisung derselben ruft Brutalitäten hervor. Zuletzt verliebt sie sich in ihren Brodherrn und Beschützer, einen jungen sehr edlen Officier, und anstatt sie nun schleunigst zu entfernen, was am nächsten liegen würde, wendet man äußerst künstliche Mrttel an, die das Unheil, das man vermei¬ den wollte, nur noch schneller herbeiführen; zuletzt kommt alles um. — Wir verkennen die edle Absicht nicht, welche der Dichterin bei solchen Ge¬ schichten die Feder führt. Es ist ein ähnlicher philanthropischer Sinn, wie im Onkel Tom. Aber der moralische Zweck muß durch den künstlerischen Ein¬ druck getragen werden, und die Brutalitäten, die von einer solchen Lage un¬ zertrennlich sind, können nur durch eins gut gemacht werden, durch die Kraft, mit der eine gesunde Natur sie überwindet; ist das nicht der Fall so geht das ästhetische Mitgefühl in ein peinliches pathologisches über und der künst¬ lerische Zweck wird verfehlt. Noch ein Buch müssen wir erwähnen, über das wir eine Zeit lang un¬ schlüssig waren, das aber doch die allgemeine Aufmerksamkeit zu sehr auf sich ziehn wird, als daß wir es mit Stillschweigen übergehn könnten: die von Ludmilla Ussing herausgegebenen Briefe Humboldts an Barnhagen (Leipzig. Brockhaus). Gott bewahre uns vor Nichten, die unsere Papier¬ schnitzel drucken lassen! Die Herausgabe dieser Briefe ist in der That ein Grenzboten I. 1L60. 53

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/429>, abgerufen am 29.05.2024.