Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Nizza nehmen. Auf Befragen erklärt Walewski dem Lord Cooley, 4. Juli,
eine solche Idee sei allerdings erwogen, sagt aber nichts Näheres. In Folge
einer Warnung von Seiten Lord Russell s vom 5. Juli erklärt er, 8. Juli,
die Idee sei definitiv aufgegeben. So berichtet wenigstens Lord Cooley in
der officiellen Depesche; in einem vertraulichen Schreiben an Lord Russell fügt
er hinzu: diese Erklärung sei nur für den Fall gegeben, daß der Vertrag von
Villafranca wirklich ausgeführt werde: sollte dagegen Sardinien erheblich ver¬
größert werden, so müsse Frankreich sich an Savoyen und Nizza entschädigen.
-- Dieses Privatschreibcn wird vertuscht, bis der Inhalt desselben s. Febr.
1860 durch Walewski dem britischen Gesandten in Erinnerung kommt.

Den 12. Nov. machen die Schweizer wieder darauf aufmerksam, Savoyen
sei nicht aufgegeben; für den Fall der Abtretung behalten sie sich die neu-
tralisirten Districte vor. Eine Denkschrift an die Hofe verschickt: Oestreich
und Schweden lebhaft dafür; auch Lord Russell, 9. Jan. 1860. -- Den
26. Nov. 1859 hatte der Letztere, indem er die Einverleibung sämmtlicher
insurgirten Provinzen als den zweckmäßigsten Ausgang festhielt, doch den
Mittelweg vorgeschlagen: Parma mit Massa-Carrara an Sardinien, Toskana,
durch Modena vergrößert, für sich.

Mittlerweile erfolgt der Umschwung der kaiserlichen Politik. Depesche
Russells, 15. Jan. mit den bekannten vier Vorschlägen, von denen der letzte,
Einverleibung in Sardinien, falls eine nochmalige Abstimmung dafür aus¬
falle. 27. Jan. erwidert Thouvenel, der neue Minister, der Kaiser persön¬
lich erachte es für billig und praktisch, die Nationalversammlungen über die
zukünftigen Schicksale Mittelitaliens zu befragen, er halte sich aber in seiner
Ehre für verpflichtet, zuerst sich mit Oestreich auseinander zu setzen. -- Die
bekannte Depesche an Oestreich. 31. Jan.: es möge sich mit stillem Mur¬
ren begnügen; die vertriebenen Fürsten würden wol nicht zurückkehren können;
über das sonstige Arrangement nichts. Antwort R e es bergs, 17. Febr., voll
stiller Würde und Resignation, fast devot gegen Frankreich, grimmig gegen
Sardinien. Nach England wird von östreichischer Seite gemeldet, 30. Jan.,
Oestreich gedenke, sich nicht mit den Waffen in die mittelitalienischen Angelegen¬
heiten einzumischen.

Wie ist es mit Savoyen? Thouvenel weiß den 27. Jan. darüber nichts,
Cavour den 3. Febr. auch nichts. Endlich den 4. Febr. ist Thouvenel in
der Lage, Bescheid zu geben; er eröffnet zwei Eventualitäten: I) selbstständi¬
ges mittelitalienisches Königreich, Savoyen und Nizza wird nicht annectirt;
2) Einverleibung Mittelitaliens in Piemont (von einer Ausnahme Toscanas
ist nichts gesagt); Savoyen und Nizza an Frankreich; über die neutralisirten
Districte Verständigung mit der Schweiz.

Die verschiedenen WarnuMsbriefe Russells aufzuzählen, ist nicht der Mühe


Nizza nehmen. Auf Befragen erklärt Walewski dem Lord Cooley, 4. Juli,
eine solche Idee sei allerdings erwogen, sagt aber nichts Näheres. In Folge
einer Warnung von Seiten Lord Russell s vom 5. Juli erklärt er, 8. Juli,
die Idee sei definitiv aufgegeben. So berichtet wenigstens Lord Cooley in
der officiellen Depesche; in einem vertraulichen Schreiben an Lord Russell fügt
er hinzu: diese Erklärung sei nur für den Fall gegeben, daß der Vertrag von
Villafranca wirklich ausgeführt werde: sollte dagegen Sardinien erheblich ver¬
größert werden, so müsse Frankreich sich an Savoyen und Nizza entschädigen.
— Dieses Privatschreibcn wird vertuscht, bis der Inhalt desselben s. Febr.
1860 durch Walewski dem britischen Gesandten in Erinnerung kommt.

Den 12. Nov. machen die Schweizer wieder darauf aufmerksam, Savoyen
sei nicht aufgegeben; für den Fall der Abtretung behalten sie sich die neu-
tralisirten Districte vor. Eine Denkschrift an die Hofe verschickt: Oestreich
und Schweden lebhaft dafür; auch Lord Russell, 9. Jan. 1860. — Den
26. Nov. 1859 hatte der Letztere, indem er die Einverleibung sämmtlicher
insurgirten Provinzen als den zweckmäßigsten Ausgang festhielt, doch den
Mittelweg vorgeschlagen: Parma mit Massa-Carrara an Sardinien, Toskana,
durch Modena vergrößert, für sich.

Mittlerweile erfolgt der Umschwung der kaiserlichen Politik. Depesche
Russells, 15. Jan. mit den bekannten vier Vorschlägen, von denen der letzte,
Einverleibung in Sardinien, falls eine nochmalige Abstimmung dafür aus¬
falle. 27. Jan. erwidert Thouvenel, der neue Minister, der Kaiser persön¬
lich erachte es für billig und praktisch, die Nationalversammlungen über die
zukünftigen Schicksale Mittelitaliens zu befragen, er halte sich aber in seiner
Ehre für verpflichtet, zuerst sich mit Oestreich auseinander zu setzen. — Die
bekannte Depesche an Oestreich. 31. Jan.: es möge sich mit stillem Mur¬
ren begnügen; die vertriebenen Fürsten würden wol nicht zurückkehren können;
über das sonstige Arrangement nichts. Antwort R e es bergs, 17. Febr., voll
stiller Würde und Resignation, fast devot gegen Frankreich, grimmig gegen
Sardinien. Nach England wird von östreichischer Seite gemeldet, 30. Jan.,
Oestreich gedenke, sich nicht mit den Waffen in die mittelitalienischen Angelegen¬
heiten einzumischen.

Wie ist es mit Savoyen? Thouvenel weiß den 27. Jan. darüber nichts,
Cavour den 3. Febr. auch nichts. Endlich den 4. Febr. ist Thouvenel in
der Lage, Bescheid zu geben; er eröffnet zwei Eventualitäten: I) selbstständi¬
ges mittelitalienisches Königreich, Savoyen und Nizza wird nicht annectirt;
2) Einverleibung Mittelitaliens in Piemont (von einer Ausnahme Toscanas
ist nichts gesagt); Savoyen und Nizza an Frankreich; über die neutralisirten
Districte Verständigung mit der Schweiz.

Die verschiedenen WarnuMsbriefe Russells aufzuzählen, ist nicht der Mühe


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0478" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/109200"/>
          <p xml:id="ID_1362" prev="#ID_1361"> Nizza nehmen. Auf Befragen erklärt Walewski dem Lord Cooley, 4. Juli,<lb/>
eine solche Idee sei allerdings erwogen, sagt aber nichts Näheres. In Folge<lb/>
einer Warnung von Seiten Lord Russell s vom 5. Juli erklärt er, 8. Juli,<lb/>
die Idee sei definitiv aufgegeben. So berichtet wenigstens Lord Cooley in<lb/>
der officiellen Depesche; in einem vertraulichen Schreiben an Lord Russell fügt<lb/>
er hinzu: diese Erklärung sei nur für den Fall gegeben, daß der Vertrag von<lb/>
Villafranca wirklich ausgeführt werde: sollte dagegen Sardinien erheblich ver¬<lb/>
größert werden, so müsse Frankreich sich an Savoyen und Nizza entschädigen.<lb/>
&#x2014; Dieses Privatschreibcn wird vertuscht, bis der Inhalt desselben s. Febr.<lb/>
1860 durch Walewski dem britischen Gesandten in Erinnerung kommt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1363"> Den 12. Nov. machen die Schweizer wieder darauf aufmerksam, Savoyen<lb/>
sei nicht aufgegeben; für den Fall der Abtretung behalten sie sich die neu-<lb/>
tralisirten Districte vor. Eine Denkschrift an die Hofe verschickt: Oestreich<lb/>
und Schweden lebhaft dafür; auch Lord Russell, 9. Jan. 1860. &#x2014; Den<lb/>
26. Nov. 1859 hatte der Letztere, indem er die Einverleibung sämmtlicher<lb/>
insurgirten Provinzen als den zweckmäßigsten Ausgang festhielt, doch den<lb/>
Mittelweg vorgeschlagen: Parma mit Massa-Carrara an Sardinien, Toskana,<lb/>
durch Modena vergrößert, für sich.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1364"> Mittlerweile erfolgt der Umschwung der kaiserlichen Politik. Depesche<lb/>
Russells, 15. Jan. mit den bekannten vier Vorschlägen, von denen der letzte,<lb/>
Einverleibung in Sardinien, falls eine nochmalige Abstimmung dafür aus¬<lb/>
falle. 27. Jan. erwidert Thouvenel, der neue Minister, der Kaiser persön¬<lb/>
lich erachte es für billig und praktisch, die Nationalversammlungen über die<lb/>
zukünftigen Schicksale Mittelitaliens zu befragen, er halte sich aber in seiner<lb/>
Ehre für verpflichtet, zuerst sich mit Oestreich auseinander zu setzen. &#x2014; Die<lb/>
bekannte Depesche an Oestreich. 31. Jan.: es möge sich mit stillem Mur¬<lb/>
ren begnügen; die vertriebenen Fürsten würden wol nicht zurückkehren können;<lb/>
über das sonstige Arrangement nichts. Antwort R e es bergs, 17. Febr., voll<lb/>
stiller Würde und Resignation, fast devot gegen Frankreich, grimmig gegen<lb/>
Sardinien. Nach England wird von östreichischer Seite gemeldet, 30. Jan.,<lb/>
Oestreich gedenke, sich nicht mit den Waffen in die mittelitalienischen Angelegen¬<lb/>
heiten einzumischen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1365"> Wie ist es mit Savoyen? Thouvenel weiß den 27. Jan. darüber nichts,<lb/>
Cavour den 3. Febr. auch nichts. Endlich den 4. Febr. ist Thouvenel in<lb/>
der Lage, Bescheid zu geben; er eröffnet zwei Eventualitäten: I) selbstständi¬<lb/>
ges mittelitalienisches Königreich, Savoyen und Nizza wird nicht annectirt;<lb/>
2) Einverleibung Mittelitaliens in Piemont (von einer Ausnahme Toscanas<lb/>
ist nichts gesagt); Savoyen und Nizza an Frankreich; über die neutralisirten<lb/>
Districte Verständigung mit der Schweiz.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1366" next="#ID_1367"> Die verschiedenen WarnuMsbriefe Russells aufzuzählen, ist nicht der Mühe</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0478] Nizza nehmen. Auf Befragen erklärt Walewski dem Lord Cooley, 4. Juli, eine solche Idee sei allerdings erwogen, sagt aber nichts Näheres. In Folge einer Warnung von Seiten Lord Russell s vom 5. Juli erklärt er, 8. Juli, die Idee sei definitiv aufgegeben. So berichtet wenigstens Lord Cooley in der officiellen Depesche; in einem vertraulichen Schreiben an Lord Russell fügt er hinzu: diese Erklärung sei nur für den Fall gegeben, daß der Vertrag von Villafranca wirklich ausgeführt werde: sollte dagegen Sardinien erheblich ver¬ größert werden, so müsse Frankreich sich an Savoyen und Nizza entschädigen. — Dieses Privatschreibcn wird vertuscht, bis der Inhalt desselben s. Febr. 1860 durch Walewski dem britischen Gesandten in Erinnerung kommt. Den 12. Nov. machen die Schweizer wieder darauf aufmerksam, Savoyen sei nicht aufgegeben; für den Fall der Abtretung behalten sie sich die neu- tralisirten Districte vor. Eine Denkschrift an die Hofe verschickt: Oestreich und Schweden lebhaft dafür; auch Lord Russell, 9. Jan. 1860. — Den 26. Nov. 1859 hatte der Letztere, indem er die Einverleibung sämmtlicher insurgirten Provinzen als den zweckmäßigsten Ausgang festhielt, doch den Mittelweg vorgeschlagen: Parma mit Massa-Carrara an Sardinien, Toskana, durch Modena vergrößert, für sich. Mittlerweile erfolgt der Umschwung der kaiserlichen Politik. Depesche Russells, 15. Jan. mit den bekannten vier Vorschlägen, von denen der letzte, Einverleibung in Sardinien, falls eine nochmalige Abstimmung dafür aus¬ falle. 27. Jan. erwidert Thouvenel, der neue Minister, der Kaiser persön¬ lich erachte es für billig und praktisch, die Nationalversammlungen über die zukünftigen Schicksale Mittelitaliens zu befragen, er halte sich aber in seiner Ehre für verpflichtet, zuerst sich mit Oestreich auseinander zu setzen. — Die bekannte Depesche an Oestreich. 31. Jan.: es möge sich mit stillem Mur¬ ren begnügen; die vertriebenen Fürsten würden wol nicht zurückkehren können; über das sonstige Arrangement nichts. Antwort R e es bergs, 17. Febr., voll stiller Würde und Resignation, fast devot gegen Frankreich, grimmig gegen Sardinien. Nach England wird von östreichischer Seite gemeldet, 30. Jan., Oestreich gedenke, sich nicht mit den Waffen in die mittelitalienischen Angelegen¬ heiten einzumischen. Wie ist es mit Savoyen? Thouvenel weiß den 27. Jan. darüber nichts, Cavour den 3. Febr. auch nichts. Endlich den 4. Febr. ist Thouvenel in der Lage, Bescheid zu geben; er eröffnet zwei Eventualitäten: I) selbstständi¬ ges mittelitalienisches Königreich, Savoyen und Nizza wird nicht annectirt; 2) Einverleibung Mittelitaliens in Piemont (von einer Ausnahme Toscanas ist nichts gesagt); Savoyen und Nizza an Frankreich; über die neutralisirten Districte Verständigung mit der Schweiz. Die verschiedenen WarnuMsbriefe Russells aufzuzählen, ist nicht der Mühe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/478
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/478>, abgerufen am 08.06.2024.