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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

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Krater und Schluchten bedeckt, stumm, taub, weil ohne Luft, öder und un¬
wirthlicher als die wüsteste Erdenwüste.

, Es ist wahr, diese Schilderung beschreibt nur die eine Seite des Erd¬
trabanten. Die andere, uns ewig abgekehrt und darum unserm Auge ewig
verborgen, könnte 'das Sprichwort rechtfertigen, daß hinterm Berge Leute woh¬
nen, und damit eben das enthalten, was uns den Mond als Doppelnatur,
als Sphinx bezeichnen läßt. Allein auch diese Vermuthung wird von der
Wissenschaft widerlegt. Sie weiß, daß auch dort keine Atmosphäre, die der
unsrer Erde einigermaßen gliche, und somit auch dort kein Wasser sein kann,
und da aus dem Wasser alles entspringt, was wir Leben nennen, so wird
unsre Charakteristik des Mondes in der Hauptsache auch von jener geheinuiiß-
vollcren Hälfte zu gelten haben. Wer durchaus das Bedürfniß empfindet, die
Mondschlacke mit denkenden und fühlenden Kreaturen zu bevölkern, mag sich
deren innerhalb der im Obigen liegenden Bedingungen zu construiren versuchen.
Es wird ziemlich viel Phantasie dazu erforderlich sein, und Wesen, mit Fleisch
von unserm Fleisch, Bein von unserm Bein, Seelen gleich unsern Seelen wird
man nicht dahin schicken dürfen. Vielleicht thuns Elfen, wie Fechner einmal
im Scherz vermuthete, vielleicht ein Wagnerscher Homunculus.

Der Mann von Bildung weiß alles das. Wer aber dächte an diese Prosa
des Fernrohrs, wenn ihm an einem stillen Abend im einsamen Zimmer das
Gesicht des Mondes durch die Fenster herein sieht? Wer erinnerte sich der Schlacke,
wenn die silberne Sichel ihm im Schatten des Waldes zwischen den Tannen¬
ästen sichtbar wird, oder wenn ihm die volle bleiche Scherbe aus der Mitte
eines abgelegnen Weihers, umgeben von den schwarzen Spiegelbildern des
Ufcrschilfs melancholisch entgegcnzittcrt? In der That, wenige werden sein,
denen er unter solchen Umständen nicht mehr oder minder die Stimmung
umwandelt, denen er nicht die Welt in einem andern Licht erscheinen läßt, auf
die er nicht als ein Füllhorn schwermüthiger Phantasien wirkt, wenige, aus
die sein Bild nicht mehr oder minder den Eindruck eines begleitenden Gesichts,
auf die e§ nur den einer kalten fernen Lichtkugcl macht. Daß es nicht die
Nacht allein, daß es diese nicht einmal vorzugsweise ist, wodurch wir in diese
Stimmung verseht werden, ergibt sich schon, wenn wir uns die Nacht ohne
Mond deMken. Die Nacht ohne den Mond gleicht im Menschenleben dem tiefen
traumlosen Schlafe, die mondbeglänzte Nacht dem Schlafe des Träumender.
Die Natur nimmt im Licht des Mondes andere Formen an, die Umrisse, die
Schatten werden andere. Das Flüstern der Büsche, das Rauschen der Ge¬
wässer scheint unter seinem Einfluß aus einem weicheren Ton zu gehen. Ueber
die Landschaft ist ein Licht ohne Wärme, eine gewisse kühle Jungfräulichkeit
ausgegossen, das Wesen, das in dem plastischen Geiste des Griechenthums sich
zur Gestalt der Artemis verkörperte. Der Verstand tritt vor der Empfindung


Krater und Schluchten bedeckt, stumm, taub, weil ohne Luft, öder und un¬
wirthlicher als die wüsteste Erdenwüste.

, Es ist wahr, diese Schilderung beschreibt nur die eine Seite des Erd¬
trabanten. Die andere, uns ewig abgekehrt und darum unserm Auge ewig
verborgen, könnte 'das Sprichwort rechtfertigen, daß hinterm Berge Leute woh¬
nen, und damit eben das enthalten, was uns den Mond als Doppelnatur,
als Sphinx bezeichnen läßt. Allein auch diese Vermuthung wird von der
Wissenschaft widerlegt. Sie weiß, daß auch dort keine Atmosphäre, die der
unsrer Erde einigermaßen gliche, und somit auch dort kein Wasser sein kann,
und da aus dem Wasser alles entspringt, was wir Leben nennen, so wird
unsre Charakteristik des Mondes in der Hauptsache auch von jener geheinuiiß-
vollcren Hälfte zu gelten haben. Wer durchaus das Bedürfniß empfindet, die
Mondschlacke mit denkenden und fühlenden Kreaturen zu bevölkern, mag sich
deren innerhalb der im Obigen liegenden Bedingungen zu construiren versuchen.
Es wird ziemlich viel Phantasie dazu erforderlich sein, und Wesen, mit Fleisch
von unserm Fleisch, Bein von unserm Bein, Seelen gleich unsern Seelen wird
man nicht dahin schicken dürfen. Vielleicht thuns Elfen, wie Fechner einmal
im Scherz vermuthete, vielleicht ein Wagnerscher Homunculus.

Der Mann von Bildung weiß alles das. Wer aber dächte an diese Prosa
des Fernrohrs, wenn ihm an einem stillen Abend im einsamen Zimmer das
Gesicht des Mondes durch die Fenster herein sieht? Wer erinnerte sich der Schlacke,
wenn die silberne Sichel ihm im Schatten des Waldes zwischen den Tannen¬
ästen sichtbar wird, oder wenn ihm die volle bleiche Scherbe aus der Mitte
eines abgelegnen Weihers, umgeben von den schwarzen Spiegelbildern des
Ufcrschilfs melancholisch entgegcnzittcrt? In der That, wenige werden sein,
denen er unter solchen Umständen nicht mehr oder minder die Stimmung
umwandelt, denen er nicht die Welt in einem andern Licht erscheinen läßt, auf
die er nicht als ein Füllhorn schwermüthiger Phantasien wirkt, wenige, aus
die sein Bild nicht mehr oder minder den Eindruck eines begleitenden Gesichts,
auf die e§ nur den einer kalten fernen Lichtkugcl macht. Daß es nicht die
Nacht allein, daß es diese nicht einmal vorzugsweise ist, wodurch wir in diese
Stimmung verseht werden, ergibt sich schon, wenn wir uns die Nacht ohne
Mond deMken. Die Nacht ohne den Mond gleicht im Menschenleben dem tiefen
traumlosen Schlafe, die mondbeglänzte Nacht dem Schlafe des Träumender.
Die Natur nimmt im Licht des Mondes andere Formen an, die Umrisse, die
Schatten werden andere. Das Flüstern der Büsche, das Rauschen der Ge¬
wässer scheint unter seinem Einfluß aus einem weicheren Ton zu gehen. Ueber
die Landschaft ist ein Licht ohne Wärme, eine gewisse kühle Jungfräulichkeit
ausgegossen, das Wesen, das in dem plastischen Geiste des Griechenthums sich
zur Gestalt der Artemis verkörperte. Der Verstand tritt vor der Empfindung


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[0502] Krater und Schluchten bedeckt, stumm, taub, weil ohne Luft, öder und un¬ wirthlicher als die wüsteste Erdenwüste. , Es ist wahr, diese Schilderung beschreibt nur die eine Seite des Erd¬ trabanten. Die andere, uns ewig abgekehrt und darum unserm Auge ewig verborgen, könnte 'das Sprichwort rechtfertigen, daß hinterm Berge Leute woh¬ nen, und damit eben das enthalten, was uns den Mond als Doppelnatur, als Sphinx bezeichnen läßt. Allein auch diese Vermuthung wird von der Wissenschaft widerlegt. Sie weiß, daß auch dort keine Atmosphäre, die der unsrer Erde einigermaßen gliche, und somit auch dort kein Wasser sein kann, und da aus dem Wasser alles entspringt, was wir Leben nennen, so wird unsre Charakteristik des Mondes in der Hauptsache auch von jener geheinuiiß- vollcren Hälfte zu gelten haben. Wer durchaus das Bedürfniß empfindet, die Mondschlacke mit denkenden und fühlenden Kreaturen zu bevölkern, mag sich deren innerhalb der im Obigen liegenden Bedingungen zu construiren versuchen. Es wird ziemlich viel Phantasie dazu erforderlich sein, und Wesen, mit Fleisch von unserm Fleisch, Bein von unserm Bein, Seelen gleich unsern Seelen wird man nicht dahin schicken dürfen. Vielleicht thuns Elfen, wie Fechner einmal im Scherz vermuthete, vielleicht ein Wagnerscher Homunculus. Der Mann von Bildung weiß alles das. Wer aber dächte an diese Prosa des Fernrohrs, wenn ihm an einem stillen Abend im einsamen Zimmer das Gesicht des Mondes durch die Fenster herein sieht? Wer erinnerte sich der Schlacke, wenn die silberne Sichel ihm im Schatten des Waldes zwischen den Tannen¬ ästen sichtbar wird, oder wenn ihm die volle bleiche Scherbe aus der Mitte eines abgelegnen Weihers, umgeben von den schwarzen Spiegelbildern des Ufcrschilfs melancholisch entgegcnzittcrt? In der That, wenige werden sein, denen er unter solchen Umständen nicht mehr oder minder die Stimmung umwandelt, denen er nicht die Welt in einem andern Licht erscheinen läßt, auf die er nicht als ein Füllhorn schwermüthiger Phantasien wirkt, wenige, aus die sein Bild nicht mehr oder minder den Eindruck eines begleitenden Gesichts, auf die e§ nur den einer kalten fernen Lichtkugcl macht. Daß es nicht die Nacht allein, daß es diese nicht einmal vorzugsweise ist, wodurch wir in diese Stimmung verseht werden, ergibt sich schon, wenn wir uns die Nacht ohne Mond deMken. Die Nacht ohne den Mond gleicht im Menschenleben dem tiefen traumlosen Schlafe, die mondbeglänzte Nacht dem Schlafe des Träumender. Die Natur nimmt im Licht des Mondes andere Formen an, die Umrisse, die Schatten werden andere. Das Flüstern der Büsche, das Rauschen der Ge¬ wässer scheint unter seinem Einfluß aus einem weicheren Ton zu gehen. Ueber die Landschaft ist ein Licht ohne Wärme, eine gewisse kühle Jungfräulichkeit ausgegossen, das Wesen, das in dem plastischen Geiste des Griechenthums sich zur Gestalt der Artemis verkörperte. Der Verstand tritt vor der Empfindung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/502>, abgerufen am 14.05.2024.