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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

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Maximum erreicht, immer aber bleibt reichlich so viel übrig, um den Mond als
Mitursache der Erdbeben zu bezeichnen.

Daß der Mond in daH Spiel der magnetischen Kräfte der Erde eingreift,
ist durch Kreils Beobachtungen entschieden. Dieser Einfluß ist klein, aber
doch ein Einfluß, und er gehört nach der Sorgfalt, mit der er beobachtet
worden ist, zu den bestconstatirten, die wir kennen. Die Magnetnadel im
Kompaß bewegt sich unter ihm; warum, kann man fragen, nicht auch die
Magnetnadel im Herzen? Er wirkt auf die drei Meere des Makrokosmus,
auf das Luftmeer, das Wassermeer und das unterirdische Feuermeer, warum
nicht auch auf das Ebben und Fluten im Mikrokosmus, auf die Bewegung
der Kräfte im organischen Leben?

Die Antwort lautet zunächst: gewiß würde der Mond eine Ebbe und
Flut im menschlichen Körper bewirken, wenn der Mensch so groß wie die Erde
wäre. Ferner: der Mond scheint nur bei heiterm Himmel, und leicht kann
man als Einfluß des Mondes ansehen, was nur Folge des bei'tern Himmels
ist. Letzterer hat in seiner, Begleitung Kühle und starken Thau, und diese
mögen das Gift sein, welches in der warmen Jahreszeit, wie oben angeführt,
den Augen schadet oder, wie Andere sagen, Kopfschmerzen -hervorruft, wenn
man sich dem Monde unbedeckt aussetzt. Sodann mag die Helle des Mon¬
des selbst Wirkungen hervorbringen, die, ohne aus den Grenzen gewöhnlicher
Lichtwirkungen herauszutreten, doch beim Monde leicht als eigenthümliche
Wirkungen gedeutet werden können. Es ist, um dies auf etwas Bestimm¬
tes anzuwenden, denkbar, daß es. wenn reizbare Personen, namentlich Kinder
und Frauen, bei Vollmond unruhig schlafen und nachtwandeln und solche
Nachtwandler ihre Richtung nach dem Monde hinnehmen, nur das helle Licht
ist, das sie halbwach werden läßt und sie anzieht. Ferner ist der Mensch ge¬
neigt, zwischen zeitlich zusammentreffenden ähnlichen Vorgängen einen Causal-
bezug zu vermuthen. Die Periodicität des Mondes auf der einen und die
des organischen Lebens auf der andern Seite bieten solche Analogien in Menge,
und bei dem Vielen, was im organischen Gebiet wechselnd ab- und zunimmt,
kann es nicht fehlen, daß diese Ab- und Zunahme mit der Ab- und Zu¬
nahme zusammenfällt, die wir am Monde beobachten. Da man nun bei
vorgefaßten Meinungen meist nur auf die zutreffenden Fälle zu achten, nur
diese sich zu merken pflegt, so entsteht hierdurch leicht ein falscher Schein con-
statirter Wirksamkeit des Mondes. Dieser Schein, zum Glauben geworden,
thut dann seine Wunder; nervenschwache Personen empfinden, was sie
erwarten, ihre Phantasie schafft ihnen, was sie als bloßes Bild in sich hegt,
zur Wirklichkeit um. Der an die Wand gemalte Teufel kommt mit Fleisch und
Bein. Der größte Theil des Mondaberglaubens möchte auf diesem Grunde ruhen.

Man hat behauptet, daß der Mond in einem gewissen Verhältniß zudem


Grenzbote" I. 1860, 64

Maximum erreicht, immer aber bleibt reichlich so viel übrig, um den Mond als
Mitursache der Erdbeben zu bezeichnen.

Daß der Mond in daH Spiel der magnetischen Kräfte der Erde eingreift,
ist durch Kreils Beobachtungen entschieden. Dieser Einfluß ist klein, aber
doch ein Einfluß, und er gehört nach der Sorgfalt, mit der er beobachtet
worden ist, zu den bestconstatirten, die wir kennen. Die Magnetnadel im
Kompaß bewegt sich unter ihm; warum, kann man fragen, nicht auch die
Magnetnadel im Herzen? Er wirkt auf die drei Meere des Makrokosmus,
auf das Luftmeer, das Wassermeer und das unterirdische Feuermeer, warum
nicht auch auf das Ebben und Fluten im Mikrokosmus, auf die Bewegung
der Kräfte im organischen Leben?

Die Antwort lautet zunächst: gewiß würde der Mond eine Ebbe und
Flut im menschlichen Körper bewirken, wenn der Mensch so groß wie die Erde
wäre. Ferner: der Mond scheint nur bei heiterm Himmel, und leicht kann
man als Einfluß des Mondes ansehen, was nur Folge des bei'tern Himmels
ist. Letzterer hat in seiner, Begleitung Kühle und starken Thau, und diese
mögen das Gift sein, welches in der warmen Jahreszeit, wie oben angeführt,
den Augen schadet oder, wie Andere sagen, Kopfschmerzen -hervorruft, wenn
man sich dem Monde unbedeckt aussetzt. Sodann mag die Helle des Mon¬
des selbst Wirkungen hervorbringen, die, ohne aus den Grenzen gewöhnlicher
Lichtwirkungen herauszutreten, doch beim Monde leicht als eigenthümliche
Wirkungen gedeutet werden können. Es ist, um dies auf etwas Bestimm¬
tes anzuwenden, denkbar, daß es. wenn reizbare Personen, namentlich Kinder
und Frauen, bei Vollmond unruhig schlafen und nachtwandeln und solche
Nachtwandler ihre Richtung nach dem Monde hinnehmen, nur das helle Licht
ist, das sie halbwach werden läßt und sie anzieht. Ferner ist der Mensch ge¬
neigt, zwischen zeitlich zusammentreffenden ähnlichen Vorgängen einen Causal-
bezug zu vermuthen. Die Periodicität des Mondes auf der einen und die
des organischen Lebens auf der andern Seite bieten solche Analogien in Menge,
und bei dem Vielen, was im organischen Gebiet wechselnd ab- und zunimmt,
kann es nicht fehlen, daß diese Ab- und Zunahme mit der Ab- und Zu¬
nahme zusammenfällt, die wir am Monde beobachten. Da man nun bei
vorgefaßten Meinungen meist nur auf die zutreffenden Fälle zu achten, nur
diese sich zu merken pflegt, so entsteht hierdurch leicht ein falscher Schein con-
statirter Wirksamkeit des Mondes. Dieser Schein, zum Glauben geworden,
thut dann seine Wunder; nervenschwache Personen empfinden, was sie
erwarten, ihre Phantasie schafft ihnen, was sie als bloßes Bild in sich hegt,
zur Wirklichkeit um. Der an die Wand gemalte Teufel kommt mit Fleisch und
Bein. Der größte Theil des Mondaberglaubens möchte auf diesem Grunde ruhen.

Man hat behauptet, daß der Mond in einem gewissen Verhältniß zudem


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[0517] Maximum erreicht, immer aber bleibt reichlich so viel übrig, um den Mond als Mitursache der Erdbeben zu bezeichnen. Daß der Mond in daH Spiel der magnetischen Kräfte der Erde eingreift, ist durch Kreils Beobachtungen entschieden. Dieser Einfluß ist klein, aber doch ein Einfluß, und er gehört nach der Sorgfalt, mit der er beobachtet worden ist, zu den bestconstatirten, die wir kennen. Die Magnetnadel im Kompaß bewegt sich unter ihm; warum, kann man fragen, nicht auch die Magnetnadel im Herzen? Er wirkt auf die drei Meere des Makrokosmus, auf das Luftmeer, das Wassermeer und das unterirdische Feuermeer, warum nicht auch auf das Ebben und Fluten im Mikrokosmus, auf die Bewegung der Kräfte im organischen Leben? Die Antwort lautet zunächst: gewiß würde der Mond eine Ebbe und Flut im menschlichen Körper bewirken, wenn der Mensch so groß wie die Erde wäre. Ferner: der Mond scheint nur bei heiterm Himmel, und leicht kann man als Einfluß des Mondes ansehen, was nur Folge des bei'tern Himmels ist. Letzterer hat in seiner, Begleitung Kühle und starken Thau, und diese mögen das Gift sein, welches in der warmen Jahreszeit, wie oben angeführt, den Augen schadet oder, wie Andere sagen, Kopfschmerzen -hervorruft, wenn man sich dem Monde unbedeckt aussetzt. Sodann mag die Helle des Mon¬ des selbst Wirkungen hervorbringen, die, ohne aus den Grenzen gewöhnlicher Lichtwirkungen herauszutreten, doch beim Monde leicht als eigenthümliche Wirkungen gedeutet werden können. Es ist, um dies auf etwas Bestimm¬ tes anzuwenden, denkbar, daß es. wenn reizbare Personen, namentlich Kinder und Frauen, bei Vollmond unruhig schlafen und nachtwandeln und solche Nachtwandler ihre Richtung nach dem Monde hinnehmen, nur das helle Licht ist, das sie halbwach werden läßt und sie anzieht. Ferner ist der Mensch ge¬ neigt, zwischen zeitlich zusammentreffenden ähnlichen Vorgängen einen Causal- bezug zu vermuthen. Die Periodicität des Mondes auf der einen und die des organischen Lebens auf der andern Seite bieten solche Analogien in Menge, und bei dem Vielen, was im organischen Gebiet wechselnd ab- und zunimmt, kann es nicht fehlen, daß diese Ab- und Zunahme mit der Ab- und Zu¬ nahme zusammenfällt, die wir am Monde beobachten. Da man nun bei vorgefaßten Meinungen meist nur auf die zutreffenden Fälle zu achten, nur diese sich zu merken pflegt, so entsteht hierdurch leicht ein falscher Schein con- statirter Wirksamkeit des Mondes. Dieser Schein, zum Glauben geworden, thut dann seine Wunder; nervenschwache Personen empfinden, was sie erwarten, ihre Phantasie schafft ihnen, was sie als bloßes Bild in sich hegt, zur Wirklichkeit um. Der an die Wand gemalte Teufel kommt mit Fleisch und Bein. Der größte Theil des Mondaberglaubens möchte auf diesem Grunde ruhen. Man hat behauptet, daß der Mond in einem gewissen Verhältniß zudem Grenzbote» I. 1860, 64

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/517>, abgerufen am 29.05.2024.