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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

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gnug Veronas zu reden, weil ich wußte, daß diese eine Lieblingsschöpfung
Radetzkis war. Er ging sofort darauf ein. wurde lebhaft, wieder ganz
munter, befahl auch nach Verona zu schreiben, daß mir bei meinem Eintreffen
dort Alles gezeigt werde. Schon in Kissingen hatte ich mit Oberstlieutenant
von Puvrette viel über Verona und seinen strategischen Werth gesprochen,
aber auch über die unausbleiblichen Mängel, wenn man aus Oeconomie eine
passagere Befestigung einer permanenten zum Grunde legt, und wenn eine
Eisenbahn ohne die entfernteste Rücksicht auf das Fortisikatorische angelegt
wird. Wiederholt hatte der Marschall in Wien auf die Bedeutung von Ve¬
rona hingewiesen, man meinte dort: es sei nur ein xlg.ce an moment.

Nach Tisch trat man aus den großen Altan hinaus. Der Marschall unter¬
hielt sich nur mit mir und theilte das Jnteressanteste mit über den colossalen
Reichthum der Lombardei und deren anderweitige Verhältnisse. "Alle Jahre
verfüge ich über 50 Millionen." -- ..Zwanziger?" -- fiel ich ein. -- "El,
beileibe; Gulden." (Was mir sauve 1e xlus xrotonä resxecr,, denn doch etwas
viel vorkommen will.) "Sie gönnen mir's halt in Wien schon lange nicht
mehr!" Auch von anderer Seite her hörte ich, daß man in jeder Weise
manövrire, um die völlig unabhängige Stellung Nadetzkis einzuschränken. ^

Plötzlich fuhr der liebenswürdige Greis auf: "Aber, Baron H.....,
sie rauchen am Ende Tabak?" Trotz allen Dcprecirens mußte ich die rasch
herbeigeholte Cigarre annehmen, obgleich der Marschall selbst nicht rauchte,
ihm auch der Rauch an den Augen empfindlich war. Er litt nämlich an nach
Innen gewachsenen Wimpern und dadurch an steter Entzündung. Dieses
wurde endlich so schlimm, daß hochgelehrte Aerzte von Krebs sprachen und
die nothwendige Operation für lebensgefährlich erklärten. Ein Regimentsarzt
aber erkannte das Uebel richtig und heilte ihn.

Nachdem der Marschall freundlichen Abschied genommen und sich zurück¬
gezogen hatte, unterhielt ich mich noch lange mit den anwesenden Herrn.

Es wurde viel erzählt von der grenzenlosen Thätigkeit des Marschnlls,
wie ihm nichts rasch genug gehe, von seiner Rüstigkeit, dem stupenden Ge¬
dächtnisse, der in allen Richtungen ins Detail gehenden Kenntniß. Einmal
kam man Morgens Ein Uhr von Verona an, und das sind 20 Meilen Chaus¬
see. Die Adjutanten warfen sich todtmüde in die Betten. Der Marschall
arbeitet drei Stunden und reitet dann noch ein Paar im Park spazieren.
Ein anderes mal soll eine Reift angetreten werden; Alles ist bereit, der Wa¬
gen vorgefahren, nur der Marschall fehlt, den man vergeblich überall sucht
im Schloß, im Park. Zufällig schaut Jemand in die Chaise, und da war
der alte Herr in seiner Hast noch eher eingestiegen, als man angespannt
hatte und eingeschlafen. Leider ist mir so mancher kleine, aber ernst charak¬
teristische Zug entfallen, der vor Allem dieses unbegrenzte Wohlwollen kund


gnug Veronas zu reden, weil ich wußte, daß diese eine Lieblingsschöpfung
Radetzkis war. Er ging sofort darauf ein. wurde lebhaft, wieder ganz
munter, befahl auch nach Verona zu schreiben, daß mir bei meinem Eintreffen
dort Alles gezeigt werde. Schon in Kissingen hatte ich mit Oberstlieutenant
von Puvrette viel über Verona und seinen strategischen Werth gesprochen,
aber auch über die unausbleiblichen Mängel, wenn man aus Oeconomie eine
passagere Befestigung einer permanenten zum Grunde legt, und wenn eine
Eisenbahn ohne die entfernteste Rücksicht auf das Fortisikatorische angelegt
wird. Wiederholt hatte der Marschall in Wien auf die Bedeutung von Ve¬
rona hingewiesen, man meinte dort: es sei nur ein xlg.ce an moment.

Nach Tisch trat man aus den großen Altan hinaus. Der Marschall unter¬
hielt sich nur mit mir und theilte das Jnteressanteste mit über den colossalen
Reichthum der Lombardei und deren anderweitige Verhältnisse. „Alle Jahre
verfüge ich über 50 Millionen." — ..Zwanziger?" — fiel ich ein. — „El,
beileibe; Gulden." (Was mir sauve 1e xlus xrotonä resxecr,, denn doch etwas
viel vorkommen will.) „Sie gönnen mir's halt in Wien schon lange nicht
mehr!" Auch von anderer Seite her hörte ich, daß man in jeder Weise
manövrire, um die völlig unabhängige Stellung Nadetzkis einzuschränken. ^

Plötzlich fuhr der liebenswürdige Greis auf: „Aber, Baron H.....,
sie rauchen am Ende Tabak?" Trotz allen Dcprecirens mußte ich die rasch
herbeigeholte Cigarre annehmen, obgleich der Marschall selbst nicht rauchte,
ihm auch der Rauch an den Augen empfindlich war. Er litt nämlich an nach
Innen gewachsenen Wimpern und dadurch an steter Entzündung. Dieses
wurde endlich so schlimm, daß hochgelehrte Aerzte von Krebs sprachen und
die nothwendige Operation für lebensgefährlich erklärten. Ein Regimentsarzt
aber erkannte das Uebel richtig und heilte ihn.

Nachdem der Marschall freundlichen Abschied genommen und sich zurück¬
gezogen hatte, unterhielt ich mich noch lange mit den anwesenden Herrn.

Es wurde viel erzählt von der grenzenlosen Thätigkeit des Marschnlls,
wie ihm nichts rasch genug gehe, von seiner Rüstigkeit, dem stupenden Ge¬
dächtnisse, der in allen Richtungen ins Detail gehenden Kenntniß. Einmal
kam man Morgens Ein Uhr von Verona an, und das sind 20 Meilen Chaus¬
see. Die Adjutanten warfen sich todtmüde in die Betten. Der Marschall
arbeitet drei Stunden und reitet dann noch ein Paar im Park spazieren.
Ein anderes mal soll eine Reift angetreten werden; Alles ist bereit, der Wa¬
gen vorgefahren, nur der Marschall fehlt, den man vergeblich überall sucht
im Schloß, im Park. Zufällig schaut Jemand in die Chaise, und da war
der alte Herr in seiner Hast noch eher eingestiegen, als man angespannt
hatte und eingeschlafen. Leider ist mir so mancher kleine, aber ernst charak¬
teristische Zug entfallen, der vor Allem dieses unbegrenzte Wohlwollen kund


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/67>, abgerufen am 28.05.2024.