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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

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das Rohr zu versprechen, das Wild durch Charaktere zusammenzubringen und
hat größere Bekanntschaft mit dem höllischen Nachtjäger, als dem Ortspfarrer
nützlich erscheint. Er gilt als altes Hausmöbel für treu, und würde sich sicher
bei rittermäßiger Veranlassung für seinen Herrn Better ohne Bedenken todt¬
schlagen lassen, aber er macht sich wol auch kein Gewissen daraus, den Bauern,
mit welchen er in der Schenke zecht, mehr Holz zuzuschanzen, als Recht ist und
der Gutsherr muß durch die Finger sehen, wenn der alte Junker einmal seinen
Hirschfänger mit Suber beschlägt, dessen Ursprung zweifelhaft ist,*)

So vergeht das Leben eines wohlhabenden Adligen um das Jahr 1660.
Es ist vielleicht nicht ganz so nützlich und tüchtig, als es sein sollte, aber es
ist auch nicht vorzugsweise schädlich für die Umgebung und vermag wol Familien¬
sinn und Gutherzigkeit der nächsten Generation zu überliefern. Doch wohl¬
gemerkt, es war eine kleine Minderzahl des deutschen Adels, welche im 17. Jahr¬
hundert in so bevorzugter Stellung saß.

Wer fern von seiner Familie in fremdem Land Fortune machen wollte,
dem drohten andre Gefahren, denen sich nur die kräftigsten entzogen. Die
Kriege in Ungarn und Polen, die schmählichen Kämpfe gegen Frankreich,
vollends ein längerer Aufenthalt in Paris, waren nicht angethan, gute Sitte
zu erhalten. Die Laster des Orients und des verdorbenen Hofes von Frank¬
reich wurden durch sie in Deutschland umhergetragen. Die alte Rauflust wurde
nicht besser durch das neue Cavalicrcartell, der liederliche Verkehr mit Bauer¬
dirnen "ut leichtfertigen Edelfrauen wurde nur schlimmer durch die nächtlichen
Orgien der alamodischen Cavaliere, bei denen sie die mythologischen Figuren
festlicher Aufzüge darstellten und sich als Waldgötter, ihre Damen als Venus
und Nymphen dravnten.^) Auch das alte Landsknecht- und Würfelspiel war
nur grade so schlimm gewesen, als das neue Hazard, das jetzt in den Bädern
und an den Höfen überHand nahm und außer den einheimischen Abenteurern
auch noch fremde im Lande umhertrieb.

Seltsamer aber und grotesker erscheinen uns zwei Classen von Adligen
jener Zeit, beide zahlreich, beide in starkem Gegensatz zueinander. Sie wurden
damals kurzweg als Stadtadel und Landadel bezeichnet und drückten rhre gegen¬
seitige Antipathie in den sehr gebräuchlichen Schmähwortcn Pfeffersäcke und
Krippenreiter aus.

Wer in den Städten eitel war und unruhig nach der Höhe rang, der erwarb
sich des Kaisers Brief. In den alten Reichsstädten suchten die Patricierfamilien




") P, Winckler, der Edelmann. S. 510.
") Es widersteht, die erotischen Bücher zu citiren, welche seit dieser Zeit auch deutsche Leser
verderben; hier sei nur eine kleine seltene Novelle genannt, worin einige dergleichen Orgien, --
nach holländischem Original -- beschrieben werden: Der verkehrte, doch wieder bekehrte Soldat,
Adrian Wurmfeld von Orsoy, durch Crispinus Bonifacius von Düsseldorp. 1675. 4. S. 4.

das Rohr zu versprechen, das Wild durch Charaktere zusammenzubringen und
hat größere Bekanntschaft mit dem höllischen Nachtjäger, als dem Ortspfarrer
nützlich erscheint. Er gilt als altes Hausmöbel für treu, und würde sich sicher
bei rittermäßiger Veranlassung für seinen Herrn Better ohne Bedenken todt¬
schlagen lassen, aber er macht sich wol auch kein Gewissen daraus, den Bauern,
mit welchen er in der Schenke zecht, mehr Holz zuzuschanzen, als Recht ist und
der Gutsherr muß durch die Finger sehen, wenn der alte Junker einmal seinen
Hirschfänger mit Suber beschlägt, dessen Ursprung zweifelhaft ist,*)

So vergeht das Leben eines wohlhabenden Adligen um das Jahr 1660.
Es ist vielleicht nicht ganz so nützlich und tüchtig, als es sein sollte, aber es
ist auch nicht vorzugsweise schädlich für die Umgebung und vermag wol Familien¬
sinn und Gutherzigkeit der nächsten Generation zu überliefern. Doch wohl¬
gemerkt, es war eine kleine Minderzahl des deutschen Adels, welche im 17. Jahr¬
hundert in so bevorzugter Stellung saß.

Wer fern von seiner Familie in fremdem Land Fortune machen wollte,
dem drohten andre Gefahren, denen sich nur die kräftigsten entzogen. Die
Kriege in Ungarn und Polen, die schmählichen Kämpfe gegen Frankreich,
vollends ein längerer Aufenthalt in Paris, waren nicht angethan, gute Sitte
zu erhalten. Die Laster des Orients und des verdorbenen Hofes von Frank¬
reich wurden durch sie in Deutschland umhergetragen. Die alte Rauflust wurde
nicht besser durch das neue Cavalicrcartell, der liederliche Verkehr mit Bauer¬
dirnen »ut leichtfertigen Edelfrauen wurde nur schlimmer durch die nächtlichen
Orgien der alamodischen Cavaliere, bei denen sie die mythologischen Figuren
festlicher Aufzüge darstellten und sich als Waldgötter, ihre Damen als Venus
und Nymphen dravnten.^) Auch das alte Landsknecht- und Würfelspiel war
nur grade so schlimm gewesen, als das neue Hazard, das jetzt in den Bädern
und an den Höfen überHand nahm und außer den einheimischen Abenteurern
auch noch fremde im Lande umhertrieb.

Seltsamer aber und grotesker erscheinen uns zwei Classen von Adligen
jener Zeit, beide zahlreich, beide in starkem Gegensatz zueinander. Sie wurden
damals kurzweg als Stadtadel und Landadel bezeichnet und drückten rhre gegen¬
seitige Antipathie in den sehr gebräuchlichen Schmähwortcn Pfeffersäcke und
Krippenreiter aus.

Wer in den Städten eitel war und unruhig nach der Höhe rang, der erwarb
sich des Kaisers Brief. In den alten Reichsstädten suchten die Patricierfamilien




») P, Winckler, der Edelmann. S. 510.
") Es widersteht, die erotischen Bücher zu citiren, welche seit dieser Zeit auch deutsche Leser
verderben; hier sei nur eine kleine seltene Novelle genannt, worin einige dergleichen Orgien, —
nach holländischem Original — beschrieben werden: Der verkehrte, doch wieder bekehrte Soldat,
Adrian Wurmfeld von Orsoy, durch Crispinus Bonifacius von Düsseldorp. 1675. 4. S. 4.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/18>, abgerufen am 21.05.2024.