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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

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ihre Adelsansprüche hervor und ließen sie von dem Kaiser bestätigen, aber auch
in den größeren Städten des Kaisers, z. B. Prag, Breslau waren die Bürger¬
meister, Beisitzer des Rathes sehr häusig geadelt. Außer ihnen vorzugsweise
reiche Handelsleute. Noch immer war in Deutschland der Großhändler bei den
Privilegirten und beim Volke nicht eben beliebt und durchaus nicht so angesehen,
wie die großen Interessen verdienten, die er nicht selten vertrat. Mißtrauen und
Abneigung waren uralt, sie stammen vielleicht noch aus der Zeit, wo schlaue Rö¬
mer unter den barbarischen Kindern Tuiskos die fremden Silbermünzen mit ge¬
sägtem Rand und mit der Biga gegen die ersten Producte des Landes verhandel¬
ten. Das ganze feudale System des Mittelalters beförderte diese Zurücksetzung,
nicht weniger der Glaube des Gekreuzigten, welcher die Güter dieser Welt zu ver¬
achten befahl und den Reichen so geringe Aussicht auf das Himmelreich ge¬
währte. Seit der Hohenstaufenzeit, seit der Adel als privilegirter Stand co"-
stituirt war, bildete sich der Gegensatz zwischen den reichen Erwerbenden der
Städte und den begehrenden Kriegern der Landschaft immer stärker aus. Frei¬
lich in den Hansestädten des Nordens erzwang sich der kriegerische Kaufmann
durch seine bewaffneten Schiffe Furcht und Herrschaft bis in entlegene Län¬
der. Aber selbst die reichen und hochgebildeten Herren zu Nürnberg und Augs¬
burg waren dein Volke kaum weniger unbehaglich, als den Fürsten und Edlen,
welche raublustig an den Grenzen ihres Gebietes saßen; es waren nicht die
Fugger allein, denen von, den Reformatoren Wucher und undeutsche Gesinnung
Schuld gegeben wird. Nach dem dreißigjährigen Kriege schoß diese Feindschaft in
neue Blüthe, und es ist leicht zu begreifen, daß der große Kaufmann nicht
wenig Veranlassung gab, solche Antipathieen rege zu erhalten. Keine menschliche
Thätigkeit bedarf so sehr die freie Concurrenz und ungehinderten Verkehr, als
der Handel. Die ganze Richtung der alten Zeit aber war, nach außen abzu¬
schließen und den Einzelnen durch Privilegien zu schützen. Solche Richtung
der Zeit mußte den Egoismus des Kaufmanns vorzugsweise hart und rück¬
sichtslos machen, sein Bestreben, Monopole zu erwerben, unsinnige Gesetze
gegen Geldzins zu umgehen, gaben dem Volte häufig mit Recht die Empfindung,
daß der Gewinn des Kaufmanns durch den Druck hervorgebracht sei, den er
auf die Verzehrenden ausübte. Diese Empfindung wurde nach dem dreißig¬
jährigen Kriege besonders lebendig. Während in Holland und England das
moderne Bürgerthum vorzugsweise durch großartigen Handelsverkehr erstarkte,
war in dem deutschen Binnenhandel -- die größern Seestädte immer aus¬
genommen -- durch die zahllosen Territorien, die Willkür der Zölle, die Un¬
sicherheit der Valuten und nicht zuletzt durch die Armseligkeit des Volkes eine
gesunde Entwicklung verhindert, dagegen Versuchung zu jeder Art von Wucher¬
geschäften nahe gelegt. Die Verschiedenheit der deutschen Münzen und die
Gewissenlosigkeit der prägenden Landesherrn begünstigten eine endlose Kipperei:


ihre Adelsansprüche hervor und ließen sie von dem Kaiser bestätigen, aber auch
in den größeren Städten des Kaisers, z. B. Prag, Breslau waren die Bürger¬
meister, Beisitzer des Rathes sehr häusig geadelt. Außer ihnen vorzugsweise
reiche Handelsleute. Noch immer war in Deutschland der Großhändler bei den
Privilegirten und beim Volke nicht eben beliebt und durchaus nicht so angesehen,
wie die großen Interessen verdienten, die er nicht selten vertrat. Mißtrauen und
Abneigung waren uralt, sie stammen vielleicht noch aus der Zeit, wo schlaue Rö¬
mer unter den barbarischen Kindern Tuiskos die fremden Silbermünzen mit ge¬
sägtem Rand und mit der Biga gegen die ersten Producte des Landes verhandel¬
ten. Das ganze feudale System des Mittelalters beförderte diese Zurücksetzung,
nicht weniger der Glaube des Gekreuzigten, welcher die Güter dieser Welt zu ver¬
achten befahl und den Reichen so geringe Aussicht auf das Himmelreich ge¬
währte. Seit der Hohenstaufenzeit, seit der Adel als privilegirter Stand co»-
stituirt war, bildete sich der Gegensatz zwischen den reichen Erwerbenden der
Städte und den begehrenden Kriegern der Landschaft immer stärker aus. Frei¬
lich in den Hansestädten des Nordens erzwang sich der kriegerische Kaufmann
durch seine bewaffneten Schiffe Furcht und Herrschaft bis in entlegene Län¬
der. Aber selbst die reichen und hochgebildeten Herren zu Nürnberg und Augs¬
burg waren dein Volke kaum weniger unbehaglich, als den Fürsten und Edlen,
welche raublustig an den Grenzen ihres Gebietes saßen; es waren nicht die
Fugger allein, denen von, den Reformatoren Wucher und undeutsche Gesinnung
Schuld gegeben wird. Nach dem dreißigjährigen Kriege schoß diese Feindschaft in
neue Blüthe, und es ist leicht zu begreifen, daß der große Kaufmann nicht
wenig Veranlassung gab, solche Antipathieen rege zu erhalten. Keine menschliche
Thätigkeit bedarf so sehr die freie Concurrenz und ungehinderten Verkehr, als
der Handel. Die ganze Richtung der alten Zeit aber war, nach außen abzu¬
schließen und den Einzelnen durch Privilegien zu schützen. Solche Richtung
der Zeit mußte den Egoismus des Kaufmanns vorzugsweise hart und rück¬
sichtslos machen, sein Bestreben, Monopole zu erwerben, unsinnige Gesetze
gegen Geldzins zu umgehen, gaben dem Volte häufig mit Recht die Empfindung,
daß der Gewinn des Kaufmanns durch den Druck hervorgebracht sei, den er
auf die Verzehrenden ausübte. Diese Empfindung wurde nach dem dreißig¬
jährigen Kriege besonders lebendig. Während in Holland und England das
moderne Bürgerthum vorzugsweise durch großartigen Handelsverkehr erstarkte,
war in dem deutschen Binnenhandel — die größern Seestädte immer aus¬
genommen — durch die zahllosen Territorien, die Willkür der Zölle, die Un¬
sicherheit der Valuten und nicht zuletzt durch die Armseligkeit des Volkes eine
gesunde Entwicklung verhindert, dagegen Versuchung zu jeder Art von Wucher¬
geschäften nahe gelegt. Die Verschiedenheit der deutschen Münzen und die
Gewissenlosigkeit der prägenden Landesherrn begünstigten eine endlose Kipperei:


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/19>, abgerufen am 21.05.2024.