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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

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Hältnissen des deutschen Landbesitzes vorzugsweise befähigt ein sicheres Urtheil
abzugeben. Dazu besaß er Eigenschaften, welche dem Schlesier nicht selten
sind, er wußte sich leicht in die Welt zu schicken, war ein guter Gesellschafter,
beobachtete unbefangen, und verstand lebendig zu erzählen. Daß er Mitglied
der fruchtbringenden Gesellschaft war, hat wahrscheinlich dazubeigetragen, sein
Interesse an der deutschen Literatur rege zu erhalten und ihn selbst zu an¬
spruchsloser Schriftstellern zu ermuthigen, aber der kluge und wohlbewanderte
Mann sah doch mit einiger Verachtung auf die puristische Pedanterei, womit
Genossen seines Ordens der deutschen Poesie aufzuhelfen versuchten. "Sie
sitzen hinter der Küche des Parnaß und sättigen sich am Geruch des Bratens."
AIs er seine Erzählung schrieb, etwa 50 Jahre alt, durch die Gicht an sein
Zimmer gefesselt, war seine Absicht in einem Bilde zu zeigen, wie ein rechter
Edelmann sein sollte. Denn es war sein Schicksal gewesen, sein ganzes Le¬
ben hindurch in geschäftlicher Verbindung und persönlichem Verkehr mit dem
Adel verschiedener Landschaften zu stehen, seine eigne Frau war aus dem Ge¬
schlecht des Dichters von Logan, wie er selbst ein Schwestersohn des Andreas
Gryphius. Zuverlässig war durch manche eigne Erfahrung sein Blick für
die Lächerlichkeiten der Privilegirten besonders geschärft, aber er selbst war
doch ein Sohn seiner Zeit und bewahrte im Herzen einen tiefen Respect vor
ächt adligen Wesen. Seine Erzählung ist deshalb durchaus keine Satyre,
wie sie wol genannt worden ist, und die Schilderungen, welche hier mitge¬
theilt werden, machen den Eindruck besonders genauer Porträts. Die Erzäh¬
lung Paul Wincklcrs ist mit den Romanen des Simplicissimus verglichen worden.
Production Kraft, Phantasie, Reichthum an Detail sind bei dem Schlesier un¬
vergleichlich geringer. Aber mit dem größeren Dichtertalent ist bei Grimmcls-
hausen zuweilen eine Neigung zum seltsamen und Phantastischen verbunden,
welche an die Methode der Romantiker erinnert und das Dargestellte nicht
durchweg als ein treues Bild der Zeit erscheinen läßt. Davon hat der
Schlesier allerdings nichts, er erzählt lebendig und mit innerer Freiheit, was
er etwa selbst geschaut hat. nicht vieles, nichts besonderes, glatt und gradezu.
Und ihm ist bei seiner Darstellung begegnet, was auch neue Erzähler mit
moralischer Tendenz hindert, er hat recht anschaulich geschildert, wie die Edel¬
leute nicht sein sollen, für seine guten Gestalten fehlten ihm scharfe Umrisse
und Farben, und weil er dieselben Bildung und Grundsätze in langen Unter¬
redungen an den Tag bringen läßt, werden sie langweilig. Der Verlauf der
Erzählung ist sehr einfach. Ein reicher, junger Holländer -- die Holländer
nahmen damals in deutscher Gesellschaft, ungefähr dieselbe Stellung ein,
welche noch vor kurzem auch an deutschen Höfen den Engländern gegönnt
wurde, die Bedeutung ihrer Nation galt fast soviel als ein Adelsbrief --
kommt nach Breslau (Belissa), wird Zeuge eines Duells zwischen einem Neu-


Hältnissen des deutschen Landbesitzes vorzugsweise befähigt ein sicheres Urtheil
abzugeben. Dazu besaß er Eigenschaften, welche dem Schlesier nicht selten
sind, er wußte sich leicht in die Welt zu schicken, war ein guter Gesellschafter,
beobachtete unbefangen, und verstand lebendig zu erzählen. Daß er Mitglied
der fruchtbringenden Gesellschaft war, hat wahrscheinlich dazubeigetragen, sein
Interesse an der deutschen Literatur rege zu erhalten und ihn selbst zu an¬
spruchsloser Schriftstellern zu ermuthigen, aber der kluge und wohlbewanderte
Mann sah doch mit einiger Verachtung auf die puristische Pedanterei, womit
Genossen seines Ordens der deutschen Poesie aufzuhelfen versuchten. „Sie
sitzen hinter der Küche des Parnaß und sättigen sich am Geruch des Bratens."
AIs er seine Erzählung schrieb, etwa 50 Jahre alt, durch die Gicht an sein
Zimmer gefesselt, war seine Absicht in einem Bilde zu zeigen, wie ein rechter
Edelmann sein sollte. Denn es war sein Schicksal gewesen, sein ganzes Le¬
ben hindurch in geschäftlicher Verbindung und persönlichem Verkehr mit dem
Adel verschiedener Landschaften zu stehen, seine eigne Frau war aus dem Ge¬
schlecht des Dichters von Logan, wie er selbst ein Schwestersohn des Andreas
Gryphius. Zuverlässig war durch manche eigne Erfahrung sein Blick für
die Lächerlichkeiten der Privilegirten besonders geschärft, aber er selbst war
doch ein Sohn seiner Zeit und bewahrte im Herzen einen tiefen Respect vor
ächt adligen Wesen. Seine Erzählung ist deshalb durchaus keine Satyre,
wie sie wol genannt worden ist, und die Schilderungen, welche hier mitge¬
theilt werden, machen den Eindruck besonders genauer Porträts. Die Erzäh¬
lung Paul Wincklcrs ist mit den Romanen des Simplicissimus verglichen worden.
Production Kraft, Phantasie, Reichthum an Detail sind bei dem Schlesier un¬
vergleichlich geringer. Aber mit dem größeren Dichtertalent ist bei Grimmcls-
hausen zuweilen eine Neigung zum seltsamen und Phantastischen verbunden,
welche an die Methode der Romantiker erinnert und das Dargestellte nicht
durchweg als ein treues Bild der Zeit erscheinen läßt. Davon hat der
Schlesier allerdings nichts, er erzählt lebendig und mit innerer Freiheit, was
er etwa selbst geschaut hat. nicht vieles, nichts besonderes, glatt und gradezu.
Und ihm ist bei seiner Darstellung begegnet, was auch neue Erzähler mit
moralischer Tendenz hindert, er hat recht anschaulich geschildert, wie die Edel¬
leute nicht sein sollen, für seine guten Gestalten fehlten ihm scharfe Umrisse
und Farben, und weil er dieselben Bildung und Grundsätze in langen Unter¬
redungen an den Tag bringen läßt, werden sie langweilig. Der Verlauf der
Erzählung ist sehr einfach. Ein reicher, junger Holländer — die Holländer
nahmen damals in deutscher Gesellschaft, ungefähr dieselbe Stellung ein,
welche noch vor kurzem auch an deutschen Höfen den Engländern gegönnt
wurde, die Bedeutung ihrer Nation galt fast soviel als ein Adelsbrief —
kommt nach Breslau (Belissa), wird Zeuge eines Duells zwischen einem Neu-


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[0026] Hältnissen des deutschen Landbesitzes vorzugsweise befähigt ein sicheres Urtheil abzugeben. Dazu besaß er Eigenschaften, welche dem Schlesier nicht selten sind, er wußte sich leicht in die Welt zu schicken, war ein guter Gesellschafter, beobachtete unbefangen, und verstand lebendig zu erzählen. Daß er Mitglied der fruchtbringenden Gesellschaft war, hat wahrscheinlich dazubeigetragen, sein Interesse an der deutschen Literatur rege zu erhalten und ihn selbst zu an¬ spruchsloser Schriftstellern zu ermuthigen, aber der kluge und wohlbewanderte Mann sah doch mit einiger Verachtung auf die puristische Pedanterei, womit Genossen seines Ordens der deutschen Poesie aufzuhelfen versuchten. „Sie sitzen hinter der Küche des Parnaß und sättigen sich am Geruch des Bratens." AIs er seine Erzählung schrieb, etwa 50 Jahre alt, durch die Gicht an sein Zimmer gefesselt, war seine Absicht in einem Bilde zu zeigen, wie ein rechter Edelmann sein sollte. Denn es war sein Schicksal gewesen, sein ganzes Le¬ ben hindurch in geschäftlicher Verbindung und persönlichem Verkehr mit dem Adel verschiedener Landschaften zu stehen, seine eigne Frau war aus dem Ge¬ schlecht des Dichters von Logan, wie er selbst ein Schwestersohn des Andreas Gryphius. Zuverlässig war durch manche eigne Erfahrung sein Blick für die Lächerlichkeiten der Privilegirten besonders geschärft, aber er selbst war doch ein Sohn seiner Zeit und bewahrte im Herzen einen tiefen Respect vor ächt adligen Wesen. Seine Erzählung ist deshalb durchaus keine Satyre, wie sie wol genannt worden ist, und die Schilderungen, welche hier mitge¬ theilt werden, machen den Eindruck besonders genauer Porträts. Die Erzäh¬ lung Paul Wincklcrs ist mit den Romanen des Simplicissimus verglichen worden. Production Kraft, Phantasie, Reichthum an Detail sind bei dem Schlesier un¬ vergleichlich geringer. Aber mit dem größeren Dichtertalent ist bei Grimmcls- hausen zuweilen eine Neigung zum seltsamen und Phantastischen verbunden, welche an die Methode der Romantiker erinnert und das Dargestellte nicht durchweg als ein treues Bild der Zeit erscheinen läßt. Davon hat der Schlesier allerdings nichts, er erzählt lebendig und mit innerer Freiheit, was er etwa selbst geschaut hat. nicht vieles, nichts besonderes, glatt und gradezu. Und ihm ist bei seiner Darstellung begegnet, was auch neue Erzähler mit moralischer Tendenz hindert, er hat recht anschaulich geschildert, wie die Edel¬ leute nicht sein sollen, für seine guten Gestalten fehlten ihm scharfe Umrisse und Farben, und weil er dieselben Bildung und Grundsätze in langen Unter¬ redungen an den Tag bringen läßt, werden sie langweilig. Der Verlauf der Erzählung ist sehr einfach. Ein reicher, junger Holländer — die Holländer nahmen damals in deutscher Gesellschaft, ungefähr dieselbe Stellung ein, welche noch vor kurzem auch an deutschen Höfen den Engländern gegönnt wurde, die Bedeutung ihrer Nation galt fast soviel als ein Adelsbrief — kommt nach Breslau (Belissa), wird Zeuge eines Duells zwischen einem Neu-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/26>, abgerufen am 21.05.2024.