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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

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Solch Brüderschaft schützte allerdings nicht vor einer großen Schlägerei in der
nächsten Stunde. Aber wie gemein sie sich bei solcher Gelegenheit machten,
nie vergaßen sie, daß sie uralte, wilde Edelleute waren. Der Bürger oder
wer vom Kaiser einen Adelsvries hatte, konnte zwar ihr Bruder werden,
solche Vertraulichkeit brachte der Lauf der Welt mit sich, aber die Prädicate
der Familiengenossenschaft, "Oheim" und "Vetter" erhielt er nicht, auch
wenn er durch Heirath mit ihnen verschwägert war, in ihre "Freundschaft"
wurde nur ausgenommen, wer von altem Geschlechte war. Ihre Kinder
gingen in Lumpen, ihre Frauen sammelten zuweilen Lebensmittel bei den
Verwandten ein. sie selbst trabten auf zottigen Pferden in alten Regenröcken
über die Stoppel, zuweilen statt der zweiten Pistole ein geschnitzeltes Holz in
den alten Holftern, Ihre Niederlage hatten sie in Dorfschcnken, wenn sie ein¬
mal nach der Stadt kamen, lagen sie in den schlechtesten Schenkhäusern, ihre
Sprache war roh. voll Stallausdrücke und Flüche, von den Gebräuchen der
Gauner war ihnen Bedenkliches in Rede und Gewohnheiten übergegangen,
sie rochen mehr nach ihrem "Finckeljochem", als für andere angenehm war,
sie selbst waren Lumpen, bei aller Naufsucht ohne festen Muth, sie wurden
allgemein für eine Landplage gehalten, und von solchen, welche etwas zu' ver¬
lieren hatten, mit Schmeißfliegen verglichen; aber sie waren bei alledem sehr
hochmüthige, durchaus aristokratisch gesinnte Gesellen. Ihr Stammbaum,
ihr Wappen, ihr Familienzusammenhang war ihnen das Höchste auf Erden.
Unendlich war Haß und Verachtung, womit sie auf den reichen Städter sahen,
sie waren immer bereit, und einem neugeadelten Händel anzufangen, wenn
er ihnen nicht vollen Titel gab, oder sich gar anmaßte, ein Wappen zu füh¬
ren, welches dem ihrigen ähnlich war.

Mit diesen Gesellen und ihrem Verkehr soll die folgende Mittheilung
näher bekannt machen. Sie führt in eine Ecke des deutschen Landes, wo
die Krippcnreiterei besonders arg war, an das rechte Oderufer Schlesiens.
Dort riß nach einem alten Volksscherz dem Teufel der Sack, als er in der
Luft eine Anzahl Krippenreiter fortschaffen wollte, und er hat den ganzen
Plunder auf diese Landccke ausgeschüttet.

Die folgende Schilderung ist aus der Erzählung: Der Edelmann ge¬
nommen, welche der Schlesier Paul Winckler, politischer Agent und Rath des
großen Kurfürsten zu Breslau, wenige Jahre vor seinem Tode (er starb 1686)
verfaßte. Die Erzählung wurde erst nach seinem Tode in zwei Auflagen (zu¬
letzt Nürnberg, 1697. 8.> gedruckt. Kunst und Erfindung darin sind nicht
bedeutend, aber grade deshalb wird sie hier brauchbar. Winckler war ein
gebildeter welterfahrener Mann,*) ein angesehener Jurist, durch seine zahl¬
reichen Reisen, Verbindungen, und durch genaue Bekanntschaft mit den Ver-



*) Auszüge aus seiner Selbstbiographie in Ur. 22 d> Bl.

Solch Brüderschaft schützte allerdings nicht vor einer großen Schlägerei in der
nächsten Stunde. Aber wie gemein sie sich bei solcher Gelegenheit machten,
nie vergaßen sie, daß sie uralte, wilde Edelleute waren. Der Bürger oder
wer vom Kaiser einen Adelsvries hatte, konnte zwar ihr Bruder werden,
solche Vertraulichkeit brachte der Lauf der Welt mit sich, aber die Prädicate
der Familiengenossenschaft, „Oheim" und „Vetter" erhielt er nicht, auch
wenn er durch Heirath mit ihnen verschwägert war, in ihre „Freundschaft"
wurde nur ausgenommen, wer von altem Geschlechte war. Ihre Kinder
gingen in Lumpen, ihre Frauen sammelten zuweilen Lebensmittel bei den
Verwandten ein. sie selbst trabten auf zottigen Pferden in alten Regenröcken
über die Stoppel, zuweilen statt der zweiten Pistole ein geschnitzeltes Holz in
den alten Holftern, Ihre Niederlage hatten sie in Dorfschcnken, wenn sie ein¬
mal nach der Stadt kamen, lagen sie in den schlechtesten Schenkhäusern, ihre
Sprache war roh. voll Stallausdrücke und Flüche, von den Gebräuchen der
Gauner war ihnen Bedenkliches in Rede und Gewohnheiten übergegangen,
sie rochen mehr nach ihrem „Finckeljochem", als für andere angenehm war,
sie selbst waren Lumpen, bei aller Naufsucht ohne festen Muth, sie wurden
allgemein für eine Landplage gehalten, und von solchen, welche etwas zu' ver¬
lieren hatten, mit Schmeißfliegen verglichen; aber sie waren bei alledem sehr
hochmüthige, durchaus aristokratisch gesinnte Gesellen. Ihr Stammbaum,
ihr Wappen, ihr Familienzusammenhang war ihnen das Höchste auf Erden.
Unendlich war Haß und Verachtung, womit sie auf den reichen Städter sahen,
sie waren immer bereit, und einem neugeadelten Händel anzufangen, wenn
er ihnen nicht vollen Titel gab, oder sich gar anmaßte, ein Wappen zu füh¬
ren, welches dem ihrigen ähnlich war.

Mit diesen Gesellen und ihrem Verkehr soll die folgende Mittheilung
näher bekannt machen. Sie führt in eine Ecke des deutschen Landes, wo
die Krippcnreiterei besonders arg war, an das rechte Oderufer Schlesiens.
Dort riß nach einem alten Volksscherz dem Teufel der Sack, als er in der
Luft eine Anzahl Krippenreiter fortschaffen wollte, und er hat den ganzen
Plunder auf diese Landccke ausgeschüttet.

Die folgende Schilderung ist aus der Erzählung: Der Edelmann ge¬
nommen, welche der Schlesier Paul Winckler, politischer Agent und Rath des
großen Kurfürsten zu Breslau, wenige Jahre vor seinem Tode (er starb 1686)
verfaßte. Die Erzählung wurde erst nach seinem Tode in zwei Auflagen (zu¬
letzt Nürnberg, 1697. 8.> gedruckt. Kunst und Erfindung darin sind nicht
bedeutend, aber grade deshalb wird sie hier brauchbar. Winckler war ein
gebildeter welterfahrener Mann,*) ein angesehener Jurist, durch seine zahl¬
reichen Reisen, Verbindungen, und durch genaue Bekanntschaft mit den Ver-



*) Auszüge aus seiner Selbstbiographie in Ur. 22 d> Bl.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/25>, abgerufen am 22.05.2024.