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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

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Jahre kommt Günthers ungemessner Hang zur Satire, der diesem Alter eigen
ist; so konnten auch Feind und Liscow diesem Hange nicht widerstehn, wo
auch die Klugheit abrieth." sWie hängt das zusammen? weder Liscow noch
Feind waren Studenten, als sie ihre Satiren schrieben!) "Hier lag die Quelle
zu großem Unglück für Günther. Er sah die ganze Welt für ein Philister¬
nest an, das er nicht schonen wollte; er ließ seinen Stachel Alles empfinden,
griff mit seiner Feder dem Reichsten in die Haare; Ignoranten, die ^in geist¬
liches Amt erwischt, Rabulisten, charlatanische Aerzte, Alle striegelte er mit dem
schärfsten Striegel und konnte den Vorwitz nicht zwingen." sDas alles pflegt
Gervinus sonst zu loben.j "Allerdings liegt dieser rebellischen Natur der ge¬
heime Drang zu Grunde, aus der Steifheit des deutschen Lebens und Wissens
herauszukommen, aber leider hatte er, wie die rcfvrmirende Jugend
unserer Tage, nicht die Geduld in sich, die Erkenntniß zu sammeln, die zu
einer gedeihlichen Opposition nöthig ist f-- machte etwa Liscow ge¬
deihliche Opposition, als er über drei Narren, die alle Welt als Narren
kannte, um des bloßen Humors willen die Pritsche schwang? und wie hoch
stellt ihn Gervinus!Z und noch weniger das Maß, das die Opposition zügeln
sollte." sDas sind doch wol nicht ästhetische, sondern moralisch-politische Ge¬
sichtspunkte!! "Was das geistige Leben angeht, so fühlte er. daß Thorheit,
Wahn, Aberglaube in allen Künsten und Wissenschaften herrschten, und rüt¬
telte mächtig an diesen Fesseln. -- Er ließ sich selbst in seinen Studien von der
Philosophie hinreißen, ehe er ernstlich an sein Brotstudium dachte. Er wollte
erst seinen Verstand läutern. ." s.Das alles wäre ja sehr löblich gewesen, und
grade das, was Gervinus verlangt!) -- "Er wollte gern aus der ängstlichen,
finstern Heiligkeit heraus; er mochte gern die Frauen unter weniger Zwang
sehen, er liebte ihr freies und ungezwungenes Wesen, das die Zeit noch ver¬
dammte. Wer hört nicht die Stimme des heutigen jungen Deutsch¬
land?" "Sein ganzes wildes Wesen kommt in Dresden zu Tage: er wolle
seine Schicksale lachend ausstehn, er wolle nicht mehr roth werden u. s. w.
Auch da hören wir die heutigen Genialitäten!" -- "Diesen seinen
Lebenslauf lernen wir in Günthers Werken innerlich kennen: in Bußgedanken
und Satiren, in allen seinen Gedichten jeder Art ist Er stets der Mittelpunkt;
Er mit dem ganzen Sturm seiner Empfindungen und Leidenschaften ist der
stete Gegenstand seiner Verse, und darin ist er ganz eigenthümlich, daß er
unverhohlen seine innersten Seelenzustände der weiten Welt eröffnet und zeigt.
Die Masse seiner Gedichte ist nichts als Gelegenheitspoesie, anziehend, weil
es ein merkwürdiges psychologisches Object ist. um das sie sich herum¬
dreht." lHier findet augenscheinlich eine Verwechselung zweier Begriffe statt,
die nichts mit einander zu thun haben. Allerdings enthält die Mehrzahl von
Günthers Gedichten Gclcgenheitspocsie der gewöhnlichsten Art, d. h. Gratu-


Jahre kommt Günthers ungemessner Hang zur Satire, der diesem Alter eigen
ist; so konnten auch Feind und Liscow diesem Hange nicht widerstehn, wo
auch die Klugheit abrieth." sWie hängt das zusammen? weder Liscow noch
Feind waren Studenten, als sie ihre Satiren schrieben!) „Hier lag die Quelle
zu großem Unglück für Günther. Er sah die ganze Welt für ein Philister¬
nest an, das er nicht schonen wollte; er ließ seinen Stachel Alles empfinden,
griff mit seiner Feder dem Reichsten in die Haare; Ignoranten, die ^in geist¬
liches Amt erwischt, Rabulisten, charlatanische Aerzte, Alle striegelte er mit dem
schärfsten Striegel und konnte den Vorwitz nicht zwingen." sDas alles pflegt
Gervinus sonst zu loben.j „Allerdings liegt dieser rebellischen Natur der ge¬
heime Drang zu Grunde, aus der Steifheit des deutschen Lebens und Wissens
herauszukommen, aber leider hatte er, wie die rcfvrmirende Jugend
unserer Tage, nicht die Geduld in sich, die Erkenntniß zu sammeln, die zu
einer gedeihlichen Opposition nöthig ist f— machte etwa Liscow ge¬
deihliche Opposition, als er über drei Narren, die alle Welt als Narren
kannte, um des bloßen Humors willen die Pritsche schwang? und wie hoch
stellt ihn Gervinus!Z und noch weniger das Maß, das die Opposition zügeln
sollte." sDas sind doch wol nicht ästhetische, sondern moralisch-politische Ge¬
sichtspunkte!! „Was das geistige Leben angeht, so fühlte er. daß Thorheit,
Wahn, Aberglaube in allen Künsten und Wissenschaften herrschten, und rüt¬
telte mächtig an diesen Fesseln. — Er ließ sich selbst in seinen Studien von der
Philosophie hinreißen, ehe er ernstlich an sein Brotstudium dachte. Er wollte
erst seinen Verstand läutern. ." s.Das alles wäre ja sehr löblich gewesen, und
grade das, was Gervinus verlangt!) — „Er wollte gern aus der ängstlichen,
finstern Heiligkeit heraus; er mochte gern die Frauen unter weniger Zwang
sehen, er liebte ihr freies und ungezwungenes Wesen, das die Zeit noch ver¬
dammte. Wer hört nicht die Stimme des heutigen jungen Deutsch¬
land?" „Sein ganzes wildes Wesen kommt in Dresden zu Tage: er wolle
seine Schicksale lachend ausstehn, er wolle nicht mehr roth werden u. s. w.
Auch da hören wir die heutigen Genialitäten!" — „Diesen seinen
Lebenslauf lernen wir in Günthers Werken innerlich kennen: in Bußgedanken
und Satiren, in allen seinen Gedichten jeder Art ist Er stets der Mittelpunkt;
Er mit dem ganzen Sturm seiner Empfindungen und Leidenschaften ist der
stete Gegenstand seiner Verse, und darin ist er ganz eigenthümlich, daß er
unverhohlen seine innersten Seelenzustände der weiten Welt eröffnet und zeigt.
Die Masse seiner Gedichte ist nichts als Gelegenheitspoesie, anziehend, weil
es ein merkwürdiges psychologisches Object ist. um das sie sich herum¬
dreht." lHier findet augenscheinlich eine Verwechselung zweier Begriffe statt,
die nichts mit einander zu thun haben. Allerdings enthält die Mehrzahl von
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/294>, abgerufen am 21.05.2024.