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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

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gesorgt, a,her Strauß wünscht mit Recht seinem Helden ein größeres Publi¬
kum. Diese Dialoge sind also die nothwendige Ergänzung der Leidens¬
geschichte, und das eine muß das andre tragen.

Wir wünschten dem Buch ,noch eine ander.e Ergänzung, und glauben
damit einen ziemlich allgemeinen Wunsch auszusprechen. Um dies zu moti-
viren, sei uns über das "Leben Huttens", das seiner Zeit in den Grenzboten
selbst den competentesten und gründlichsten Beurtheiler gesunden, Böckjng,
eine kurze Bemerkung verstattet.

Man erinnert sich der wahrhaft erhebenden Schlußstelle, in welcher Hut¬
tens Gestalt dem deutschen Volk als warnend und strafend vorgeführt wird.
Die Stelle leidet an dem einen Uebelstand, daß sie den Leser überrascht,
während der Schluß eines historischen Buchs, wenn er die richtige Wirkung
hervorbringen soll, nichts anderes enthalten darf, als den richtigen Ausdruck
sür das, was jeder Leser mehr oder minder klar bei der Lectüre wirklich em¬
pfunden hat. Das Leben Huttens macht auf den unbefangenen Leser nicht
ganz den Eindruck, den der Verfasser bei jener Stelle vorauszusetzen scheint,
und. der Uebergang, durch den das Bild motivirt ist, die Beziehung auf den
abgefallenen Crotus, sieht componirt aus. Es soll nicht etwa die Wahrheit
bestritten werden: im Gegentheil, was jener Biographie vielleicht den größten
Reiz gibt, ist die starke, unerschütterliche, ins Große wie ins Kleine sich er¬
streckende Wahrheitsliebe des Verfassers. So wahr er darstellt, so wahr em¬
pfindet er auch, und auf ihn selbst hat das Leben, das er erzählt, wirklich
den Eindruck gemacht, den er an jener Stelle wiedergibt. Daß er ihn dem
Leser nicht aufprägt, ist nicht seine Schuld.

Lenau sagt einmal in seiner Einleitung zu den Albingensern, obgleich er
sich damit tröstet, daß Freiheit und Vernunft doch endlich siegen müssen:
"Herd ist's, das lang ersehnte Licht nicht schauen, zu Grabe gehn in seinem
Morgengrauen." Es ist eine nicht seltene Erscheinung bei den Vorkämpfern
der guten Sache, daß sie bei aller Kraft und Tiefe ihrer Seele, doch nicht
Kraft und Tiefe genug entwickeln, um der Nachwelt das freudige Bild eines
Helden oder Märtyrers zu hinterlassen. Ihr Ideal wird von. der wirklichen
Kraft nicht ganz gedeckt. Solche Männer haben etwas Unstätes und Fried¬
loses, das sich dadurch von den gewaltigen innern Kämpfen wahrhaft großer
Männer unterscheidet, daß der Kampf zu keinem rechten Resultat führt. In
sich selbst unbefriedigt, hinterlassen sie auch ein unbefriedigendes, unfertiges
Bild: nicht blos wegen der Mißgunst ihres äußern Geschicks, denn "die Na¬
tur steht mit dem Genius in ewigem Bunde." Hütten ist eine wichtige und
bedeutende Figur in dem Kreise der Humanisten, er gehört aber nicht in den
Mittelpunkt derselben.

Das ist. wie man sieht, kein Tadel, sondern nur eine Erklärung. Eine


gesorgt, a,her Strauß wünscht mit Recht seinem Helden ein größeres Publi¬
kum. Diese Dialoge sind also die nothwendige Ergänzung der Leidens¬
geschichte, und das eine muß das andre tragen.

Wir wünschten dem Buch ,noch eine ander.e Ergänzung, und glauben
damit einen ziemlich allgemeinen Wunsch auszusprechen. Um dies zu moti-
viren, sei uns über das „Leben Huttens", das seiner Zeit in den Grenzboten
selbst den competentesten und gründlichsten Beurtheiler gesunden, Böckjng,
eine kurze Bemerkung verstattet.

Man erinnert sich der wahrhaft erhebenden Schlußstelle, in welcher Hut¬
tens Gestalt dem deutschen Volk als warnend und strafend vorgeführt wird.
Die Stelle leidet an dem einen Uebelstand, daß sie den Leser überrascht,
während der Schluß eines historischen Buchs, wenn er die richtige Wirkung
hervorbringen soll, nichts anderes enthalten darf, als den richtigen Ausdruck
sür das, was jeder Leser mehr oder minder klar bei der Lectüre wirklich em¬
pfunden hat. Das Leben Huttens macht auf den unbefangenen Leser nicht
ganz den Eindruck, den der Verfasser bei jener Stelle vorauszusetzen scheint,
und. der Uebergang, durch den das Bild motivirt ist, die Beziehung auf den
abgefallenen Crotus, sieht componirt aus. Es soll nicht etwa die Wahrheit
bestritten werden: im Gegentheil, was jener Biographie vielleicht den größten
Reiz gibt, ist die starke, unerschütterliche, ins Große wie ins Kleine sich er¬
streckende Wahrheitsliebe des Verfassers. So wahr er darstellt, so wahr em¬
pfindet er auch, und auf ihn selbst hat das Leben, das er erzählt, wirklich
den Eindruck gemacht, den er an jener Stelle wiedergibt. Daß er ihn dem
Leser nicht aufprägt, ist nicht seine Schuld.

Lenau sagt einmal in seiner Einleitung zu den Albingensern, obgleich er
sich damit tröstet, daß Freiheit und Vernunft doch endlich siegen müssen:
„Herd ist's, das lang ersehnte Licht nicht schauen, zu Grabe gehn in seinem
Morgengrauen." Es ist eine nicht seltene Erscheinung bei den Vorkämpfern
der guten Sache, daß sie bei aller Kraft und Tiefe ihrer Seele, doch nicht
Kraft und Tiefe genug entwickeln, um der Nachwelt das freudige Bild eines
Helden oder Märtyrers zu hinterlassen. Ihr Ideal wird von. der wirklichen
Kraft nicht ganz gedeckt. Solche Männer haben etwas Unstätes und Fried¬
loses, das sich dadurch von den gewaltigen innern Kämpfen wahrhaft großer
Männer unterscheidet, daß der Kampf zu keinem rechten Resultat führt. In
sich selbst unbefriedigt, hinterlassen sie auch ein unbefriedigendes, unfertiges
Bild: nicht blos wegen der Mißgunst ihres äußern Geschicks, denn „die Na¬
tur steht mit dem Genius in ewigem Bunde." Hütten ist eine wichtige und
bedeutende Figur in dem Kreise der Humanisten, er gehört aber nicht in den
Mittelpunkt derselben.

Das ist. wie man sieht, kein Tadel, sondern nur eine Erklärung. Eine


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/358>, abgerufen am 21.05.2024.