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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

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Biographie Huttens war schon aus wissenschaftlichen Gründen nothwendig,
und in jeder Biographie steht der Held in der Mitte. Aber es soll uns
rechtfertigen, wenn wir eine Ergänzung für wünschenswert!) halten.

Es fehlt uns nämlich an einer Geschichte der deutschen Renaissance, die
für unser Volk vielleicht ebenso nützlich und erfreulich sein würde, als eine
Geschichte der deutschen Reformation. Leider haben wir für Beides kein^
deutschen Ausdrücke. Renaissance heißt Wiedergeburt des Alterthums, Refor¬
mation Wiedergeburt des Christenthums. Die letztere Bewegung war be¬
kanntlich die jüngere, sie steht aber, wenigstens in Deutschland, der ersteren
nahe genug. Beide wirkten bald abstoßend, bald anziehend auf einander,
aber stets mit ungemeiner Kraft. Ein Bild nun von dieser Wiederbelebung
des Alterthums, Wie sie auf den deutschen Geist einwirkte und von ihm er¬
griffen wurde, würde einen local und zeitlich begrenzten Umfang haben, da
in Deutschland vollständiger als anderwärts der Humanismus von der Theo¬
logie niedergeschlagen wurde; es würde eine Reihe höchst interessanter Figuren
enthalten, die in einem wesentlichen Zusammenhang zu einander stehn, und es
würde bedeutungsvoll für unsere gegenwärtigen Conflicte sein, die immer auf
diesen alten zurückführen. Vielleicht würde für solch ein Werk Niemand befähigter
fette als Strauß, der in seinen beiden letzten Biographien gezeigt hat, wie
fest und bestimmt auch bei sehr schwierigen Ausgaben die Striche sind, mit
denen er seine Figuren umreißt, und der mit tiefem wissenschaftlichem Ernst,
seltener Gelehrsamkeit und Begeistrung für die Sache des Humanismus eine
Eigenschaft verbindet, die mit jenen andern nur selten zusammentrifft, näm¬
lich ein Mehr als äußeres Verständniß für die innern Kämpfe des Glaubens.
Stro'üß weiß aus eigner Erfahrung, was theologische Kämpfe bedeuten, er
versteht die Sprache und Empfindungsweise einer Zeit, die in der modernen
Theologie doch' immer noch sehr bedeutende Spuren zurückgelassen hat, und
wenn wir aus dem Ton der Vorrede schließen dürfen, jene Kampfe haben
mehr als man vermuthete, auch in seiner Seele stattgefunden!

Diese Vorrede wird für den Augenblick die meisten Leser mehr beschäfti¬
gen, als' das Brich selbst. Wir können nicht leugnen, daß es uns auch so
ergangen ist. Nachdem Strauß in der Sache, die ihn zuerst ins öffentliche
Leben einführte, lange Zeit geschwiegen, wirft er jetzt einen Blick in die ver¬
gangenen fünfundzwanzig Jahre und seine eigene Thätigkeit innerhalb der¬
selben, einen Blick voll gerechten Selbstgefühls, der doch etwas Schmerzliches
enthält, und unsere Theilnahme für den Mann nur noch steigert. Das sub-
jective lassen wir bei Seite und suchen uus nur darin zu orientiren, was das
"Leben Jesu" seiner Zeit gewesen ist und was es noch heute wirkt. Mit
Recht^ bemerkt Strauß, daß jeder, der sich an den geistigen Kämpfen der Zeit
stärker betheiligt hat, irgendwie von ihm influirt worden ist; bis zu einem


44* .

Biographie Huttens war schon aus wissenschaftlichen Gründen nothwendig,
und in jeder Biographie steht der Held in der Mitte. Aber es soll uns
rechtfertigen, wenn wir eine Ergänzung für wünschenswert!) halten.

Es fehlt uns nämlich an einer Geschichte der deutschen Renaissance, die
für unser Volk vielleicht ebenso nützlich und erfreulich sein würde, als eine
Geschichte der deutschen Reformation. Leider haben wir für Beides kein^
deutschen Ausdrücke. Renaissance heißt Wiedergeburt des Alterthums, Refor¬
mation Wiedergeburt des Christenthums. Die letztere Bewegung war be¬
kanntlich die jüngere, sie steht aber, wenigstens in Deutschland, der ersteren
nahe genug. Beide wirkten bald abstoßend, bald anziehend auf einander,
aber stets mit ungemeiner Kraft. Ein Bild nun von dieser Wiederbelebung
des Alterthums, Wie sie auf den deutschen Geist einwirkte und von ihm er¬
griffen wurde, würde einen local und zeitlich begrenzten Umfang haben, da
in Deutschland vollständiger als anderwärts der Humanismus von der Theo¬
logie niedergeschlagen wurde; es würde eine Reihe höchst interessanter Figuren
enthalten, die in einem wesentlichen Zusammenhang zu einander stehn, und es
würde bedeutungsvoll für unsere gegenwärtigen Conflicte sein, die immer auf
diesen alten zurückführen. Vielleicht würde für solch ein Werk Niemand befähigter
fette als Strauß, der in seinen beiden letzten Biographien gezeigt hat, wie
fest und bestimmt auch bei sehr schwierigen Ausgaben die Striche sind, mit
denen er seine Figuren umreißt, und der mit tiefem wissenschaftlichem Ernst,
seltener Gelehrsamkeit und Begeistrung für die Sache des Humanismus eine
Eigenschaft verbindet, die mit jenen andern nur selten zusammentrifft, näm¬
lich ein Mehr als äußeres Verständniß für die innern Kämpfe des Glaubens.
Stro'üß weiß aus eigner Erfahrung, was theologische Kämpfe bedeuten, er
versteht die Sprache und Empfindungsweise einer Zeit, die in der modernen
Theologie doch' immer noch sehr bedeutende Spuren zurückgelassen hat, und
wenn wir aus dem Ton der Vorrede schließen dürfen, jene Kampfe haben
mehr als man vermuthete, auch in seiner Seele stattgefunden!

Diese Vorrede wird für den Augenblick die meisten Leser mehr beschäfti¬
gen, als' das Brich selbst. Wir können nicht leugnen, daß es uns auch so
ergangen ist. Nachdem Strauß in der Sache, die ihn zuerst ins öffentliche
Leben einführte, lange Zeit geschwiegen, wirft er jetzt einen Blick in die ver¬
gangenen fünfundzwanzig Jahre und seine eigene Thätigkeit innerhalb der¬
selben, einen Blick voll gerechten Selbstgefühls, der doch etwas Schmerzliches
enthält, und unsere Theilnahme für den Mann nur noch steigert. Das sub-
jective lassen wir bei Seite und suchen uus nur darin zu orientiren, was das
„Leben Jesu" seiner Zeit gewesen ist und was es noch heute wirkt. Mit
Recht^ bemerkt Strauß, daß jeder, der sich an den geistigen Kämpfen der Zeit
stärker betheiligt hat, irgendwie von ihm influirt worden ist; bis zu einem


44* .
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[0359] Biographie Huttens war schon aus wissenschaftlichen Gründen nothwendig, und in jeder Biographie steht der Held in der Mitte. Aber es soll uns rechtfertigen, wenn wir eine Ergänzung für wünschenswert!) halten. Es fehlt uns nämlich an einer Geschichte der deutschen Renaissance, die für unser Volk vielleicht ebenso nützlich und erfreulich sein würde, als eine Geschichte der deutschen Reformation. Leider haben wir für Beides kein^ deutschen Ausdrücke. Renaissance heißt Wiedergeburt des Alterthums, Refor¬ mation Wiedergeburt des Christenthums. Die letztere Bewegung war be¬ kanntlich die jüngere, sie steht aber, wenigstens in Deutschland, der ersteren nahe genug. Beide wirkten bald abstoßend, bald anziehend auf einander, aber stets mit ungemeiner Kraft. Ein Bild nun von dieser Wiederbelebung des Alterthums, Wie sie auf den deutschen Geist einwirkte und von ihm er¬ griffen wurde, würde einen local und zeitlich begrenzten Umfang haben, da in Deutschland vollständiger als anderwärts der Humanismus von der Theo¬ logie niedergeschlagen wurde; es würde eine Reihe höchst interessanter Figuren enthalten, die in einem wesentlichen Zusammenhang zu einander stehn, und es würde bedeutungsvoll für unsere gegenwärtigen Conflicte sein, die immer auf diesen alten zurückführen. Vielleicht würde für solch ein Werk Niemand befähigter fette als Strauß, der in seinen beiden letzten Biographien gezeigt hat, wie fest und bestimmt auch bei sehr schwierigen Ausgaben die Striche sind, mit denen er seine Figuren umreißt, und der mit tiefem wissenschaftlichem Ernst, seltener Gelehrsamkeit und Begeistrung für die Sache des Humanismus eine Eigenschaft verbindet, die mit jenen andern nur selten zusammentrifft, näm¬ lich ein Mehr als äußeres Verständniß für die innern Kämpfe des Glaubens. Stro'üß weiß aus eigner Erfahrung, was theologische Kämpfe bedeuten, er versteht die Sprache und Empfindungsweise einer Zeit, die in der modernen Theologie doch' immer noch sehr bedeutende Spuren zurückgelassen hat, und wenn wir aus dem Ton der Vorrede schließen dürfen, jene Kampfe haben mehr als man vermuthete, auch in seiner Seele stattgefunden! Diese Vorrede wird für den Augenblick die meisten Leser mehr beschäfti¬ gen, als' das Brich selbst. Wir können nicht leugnen, daß es uns auch so ergangen ist. Nachdem Strauß in der Sache, die ihn zuerst ins öffentliche Leben einführte, lange Zeit geschwiegen, wirft er jetzt einen Blick in die ver¬ gangenen fünfundzwanzig Jahre und seine eigene Thätigkeit innerhalb der¬ selben, einen Blick voll gerechten Selbstgefühls, der doch etwas Schmerzliches enthält, und unsere Theilnahme für den Mann nur noch steigert. Das sub- jective lassen wir bei Seite und suchen uus nur darin zu orientiren, was das „Leben Jesu" seiner Zeit gewesen ist und was es noch heute wirkt. Mit Recht^ bemerkt Strauß, daß jeder, der sich an den geistigen Kämpfen der Zeit stärker betheiligt hat, irgendwie von ihm influirt worden ist; bis zu einem 44* .

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/359>, abgerufen am 03.06.2024.