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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

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Unterdeß machten sich die Güste mit Tabak, Trinken und allerhand Ge¬
sprächen ziemlich lustig, wobei der Holländer bemerkte, daß von den beiden
nicht übel gebildeten Töchtern des Wirthes allemal nur eine un Reigen zu
sehen war, und jede vom Haupt bis zu den Füßen wie die andere gekleidet,
daraus konnte er leicht schlichen, daß sich auch diese guten Mädchen mit ein
und derselben Kleidung behelfen mußten, und daß. während die eine im
Zimmer tanzte, die andere, welche abgelegt hatte, unterdeß draußen so lange
in Geduld warten mußte, bis die Reihe wieder an sie kam. "Sind das nicht
liebe Kinder," sagte ihre Mutter, die sich mit andern Frauen zu der Frau von
der B. gesetzt hatte, "sie wissen sich in Alles so adlig zu schicken, ich sehe
meines Herzens Lust, wie ihnen Alles so wohl ansteht. Und hätten die
Pfeffersäcke in den Städten noch soviel Schmuck um sich Hunger, der Bürger
bietet doch allemal heraus." "Es ist nicht ohne" sagte die andere, "das Herz
möchte mir im Leibe zerspringen. wenn ich diese Leute in der Stadt in so
prächtigem Kleide und Schmuck aus goldenen Karreten herprahlen sehe. Prahlet,
denke ich dann, wie ihr wollt, und wenn ihr gleich alle Tage statt eures be¬
sten Weines gar Perlen hoffet, so seid ihr doch Bürger, bleibet Bürger, und
werdet es nimmermehr dahin bringen, uns gleich zu sein."

Unter solchem Weibergeschwütz. Lachen. Jauchzen, Tanzen und Springen
war die Nacht hereingebrochen, und weil der von K. leicht erachten konnte,
daß auch dieses Gelage mit den gewöhnlichen Stänkercien und Händeln
würde beschlossen werden, so gab er unserm Holländer einen Wink und machte
sich mit ihm auf die Seite zu einem bekannten Bauern, wo sie das Nacht¬
lager auf einer Streu zubrachten. Am nächsten Morgen weckte sie der Reit¬
knecht des Herrn v. K., wenn sie eine dreifache Schlägerei anzusehn verlang¬
ten, wobei der Vvgelbach der vornehmste sein würde, so möchten sie bald
aufstehn und sich auf die polnische Grenze nahe am Dorfe begeben. Dazu
hatte aber keiner von ihnen Lust, der v. K., welcher sich solcher Lumperei
seiner Landsleute schämte, gab seinem Reitknecht einen Wink zu schweigen,
sie saßen auf und ritten unter anmuthigen Gesprächen ihres Weges.

Soweit die Erzählung Paul Wiucklers. Um das Jahr 1700 waren die Sit¬
ten des Landadels bereits milder, das Leben ein wenig reichlicher, die Kop¬
peln der Krippenreiter seltner geworden, aber bis tief in das 18. Jahrhundert
dauerte das Schmarotzen, die Arbeitscheu und der Bettelstolz unter den alten
Familien des Landes. Erst unter der straffen Zucht der Hohenzollern wurden
diese Drohnen der modernen Gesellschaft zum Nutzen des Staates verwendet.
Zumeist aus ihnen schufen Friedrich Wilhelm der Erste und Friedrich der
Große ihren Officieradel. Und nachdem die Fürsten mit kluger Berechnung
erkannt hatten, daß hier ein brauchbarer Stoff für ihren neuen Staat zu fin-


15>c"zbo>e" III, Is60, 4

Unterdeß machten sich die Güste mit Tabak, Trinken und allerhand Ge¬
sprächen ziemlich lustig, wobei der Holländer bemerkte, daß von den beiden
nicht übel gebildeten Töchtern des Wirthes allemal nur eine un Reigen zu
sehen war, und jede vom Haupt bis zu den Füßen wie die andere gekleidet,
daraus konnte er leicht schlichen, daß sich auch diese guten Mädchen mit ein
und derselben Kleidung behelfen mußten, und daß. während die eine im
Zimmer tanzte, die andere, welche abgelegt hatte, unterdeß draußen so lange
in Geduld warten mußte, bis die Reihe wieder an sie kam. „Sind das nicht
liebe Kinder," sagte ihre Mutter, die sich mit andern Frauen zu der Frau von
der B. gesetzt hatte, „sie wissen sich in Alles so adlig zu schicken, ich sehe
meines Herzens Lust, wie ihnen Alles so wohl ansteht. Und hätten die
Pfeffersäcke in den Städten noch soviel Schmuck um sich Hunger, der Bürger
bietet doch allemal heraus." „Es ist nicht ohne" sagte die andere, „das Herz
möchte mir im Leibe zerspringen. wenn ich diese Leute in der Stadt in so
prächtigem Kleide und Schmuck aus goldenen Karreten herprahlen sehe. Prahlet,
denke ich dann, wie ihr wollt, und wenn ihr gleich alle Tage statt eures be¬
sten Weines gar Perlen hoffet, so seid ihr doch Bürger, bleibet Bürger, und
werdet es nimmermehr dahin bringen, uns gleich zu sein."

Unter solchem Weibergeschwütz. Lachen. Jauchzen, Tanzen und Springen
war die Nacht hereingebrochen, und weil der von K. leicht erachten konnte,
daß auch dieses Gelage mit den gewöhnlichen Stänkercien und Händeln
würde beschlossen werden, so gab er unserm Holländer einen Wink und machte
sich mit ihm auf die Seite zu einem bekannten Bauern, wo sie das Nacht¬
lager auf einer Streu zubrachten. Am nächsten Morgen weckte sie der Reit¬
knecht des Herrn v. K., wenn sie eine dreifache Schlägerei anzusehn verlang¬
ten, wobei der Vvgelbach der vornehmste sein würde, so möchten sie bald
aufstehn und sich auf die polnische Grenze nahe am Dorfe begeben. Dazu
hatte aber keiner von ihnen Lust, der v. K., welcher sich solcher Lumperei
seiner Landsleute schämte, gab seinem Reitknecht einen Wink zu schweigen,
sie saßen auf und ritten unter anmuthigen Gesprächen ihres Weges.

Soweit die Erzählung Paul Wiucklers. Um das Jahr 1700 waren die Sit¬
ten des Landadels bereits milder, das Leben ein wenig reichlicher, die Kop¬
peln der Krippenreiter seltner geworden, aber bis tief in das 18. Jahrhundert
dauerte das Schmarotzen, die Arbeitscheu und der Bettelstolz unter den alten
Familien des Landes. Erst unter der straffen Zucht der Hohenzollern wurden
diese Drohnen der modernen Gesellschaft zum Nutzen des Staates verwendet.
Zumeist aus ihnen schufen Friedrich Wilhelm der Erste und Friedrich der
Große ihren Officieradel. Und nachdem die Fürsten mit kluger Berechnung
erkannt hatten, daß hier ein brauchbarer Stoff für ihren neuen Staat zu fin-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/37>, abgerufen am 21.05.2024.