Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

den sei. wurde auch ihr eifriges Bestreben, den armen Adel zu heben. Es
geschah seitdem viel, ihn vor dem Zurückfallen in die Masse des Volkes zu
bervahren: auch nach dem Jahre 1806. Und nicht wenige Familien, deren
Ahnen vor zwei hundert 'Jahren als Taugenichtse in Banden über die
Aecker trotteten, haben ihre Namen für immer mit den ruhmvollsten Erinner¬
ungen der Nation, mit den höchsten Leistungen in Kunst und Wissenschaft ver¬
bunden. Nach und nach haben unsre Junker besser gelernt, um ihre Wirth¬
schaft zu sorgen. ihre Pferde sind nach Engländern gezüchtet, der Scheffel
Getreide gilt das Doppelte, eine Kuh drei mal. die Wolle ihrer Schafe drei
bis vier mal so viel, als vor zwei hundert Jahren. Die hiesigen Bauern
sind trotz allen Protestationen und Drohungen des Adels freie Leute gewor¬
den, und dadurch ist wieder der Werth auch der adligen Güter um das Dop¬
pelte gestiegen. Endlich hat sich gar die Productionskraft der meisten Güter
verdreifacht, bei vielen verzehnfacht, seit der Bürger seine Wissenschaft, Mecha¬
nik, Arbeitskraft auch auf die Ackerscholle übertrug. Auch die Unordentlichen
unter ihnen sind durch die Pfandbriefsysteme der Landschaften, durch zahlreiche
Geschenke und Gnaden der Souveräne wenigstens mehrere Jahrzehnte langer
conservirt worden, als ihre eigene Kraft sie erhalten hätte. Aber in den
Schwächeren von ihnen ist noch heut etwas von den gemüthlichen Stimmungen
der alten Feldläufcr zurück geblieben. Das neue Junkerthum. die häßliche
Carricatur des adligen Wesens ist, wenn man genau zusieht, nichts weiter,
als eine anspruchsvolle Fortsetzung der alten Krippenreiterei. Hinter Uniform
und Ordenskreuz birgt sich nicht selten derselbe Haß gegen die Bildung ihrer
Zeit, dieselben Vorurtheile, der gleiche tölpelhafte Hochmuth, eine ähnliche
groteske Verehrung ihrer Privilegien und Familienrechte und hinter besserer
Form derselbe rohe Egoismus gegenüber dem Gemeinwesen. Brutal, wo sie
zu imponiren meinen, feige vor einer stärkern Gewalt, unterthänig, wo sie zu
gewinnen hoffen, noch da eigennützig, wo sie am Loyalsten empfinden, be¬
trachten nicht wenige unter ihnen noch immer den Staat ähnlich, wie ihre
Ahnen vor zwei hundert Jahren die gefüllte Vorathskammer eines Nachbars;
aber stärker als vor zwei hundert Jahren erhebt sich grade jetzt gegen Solche
G. F. der Haß und die Verachtung des Volkes.




den sei. wurde auch ihr eifriges Bestreben, den armen Adel zu heben. Es
geschah seitdem viel, ihn vor dem Zurückfallen in die Masse des Volkes zu
bervahren: auch nach dem Jahre 1806. Und nicht wenige Familien, deren
Ahnen vor zwei hundert 'Jahren als Taugenichtse in Banden über die
Aecker trotteten, haben ihre Namen für immer mit den ruhmvollsten Erinner¬
ungen der Nation, mit den höchsten Leistungen in Kunst und Wissenschaft ver¬
bunden. Nach und nach haben unsre Junker besser gelernt, um ihre Wirth¬
schaft zu sorgen. ihre Pferde sind nach Engländern gezüchtet, der Scheffel
Getreide gilt das Doppelte, eine Kuh drei mal. die Wolle ihrer Schafe drei
bis vier mal so viel, als vor zwei hundert Jahren. Die hiesigen Bauern
sind trotz allen Protestationen und Drohungen des Adels freie Leute gewor¬
den, und dadurch ist wieder der Werth auch der adligen Güter um das Dop¬
pelte gestiegen. Endlich hat sich gar die Productionskraft der meisten Güter
verdreifacht, bei vielen verzehnfacht, seit der Bürger seine Wissenschaft, Mecha¬
nik, Arbeitskraft auch auf die Ackerscholle übertrug. Auch die Unordentlichen
unter ihnen sind durch die Pfandbriefsysteme der Landschaften, durch zahlreiche
Geschenke und Gnaden der Souveräne wenigstens mehrere Jahrzehnte langer
conservirt worden, als ihre eigene Kraft sie erhalten hätte. Aber in den
Schwächeren von ihnen ist noch heut etwas von den gemüthlichen Stimmungen
der alten Feldläufcr zurück geblieben. Das neue Junkerthum. die häßliche
Carricatur des adligen Wesens ist, wenn man genau zusieht, nichts weiter,
als eine anspruchsvolle Fortsetzung der alten Krippenreiterei. Hinter Uniform
und Ordenskreuz birgt sich nicht selten derselbe Haß gegen die Bildung ihrer
Zeit, dieselben Vorurtheile, der gleiche tölpelhafte Hochmuth, eine ähnliche
groteske Verehrung ihrer Privilegien und Familienrechte und hinter besserer
Form derselbe rohe Egoismus gegenüber dem Gemeinwesen. Brutal, wo sie
zu imponiren meinen, feige vor einer stärkern Gewalt, unterthänig, wo sie zu
gewinnen hoffen, noch da eigennützig, wo sie am Loyalsten empfinden, be¬
trachten nicht wenige unter ihnen noch immer den Staat ähnlich, wie ihre
Ahnen vor zwei hundert Jahren die gefüllte Vorathskammer eines Nachbars;
aber stärker als vor zwei hundert Jahren erhebt sich grade jetzt gegen Solche
G. F. der Haß und die Verachtung des Volkes.




<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0038" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/109844"/>
          <p xml:id="ID_60" prev="#ID_59"> den sei. wurde auch ihr eifriges Bestreben, den armen Adel zu heben. Es<lb/>
geschah seitdem viel, ihn vor dem Zurückfallen in die Masse des Volkes zu<lb/>
bervahren: auch nach dem Jahre 1806. Und nicht wenige Familien, deren<lb/>
Ahnen vor zwei hundert 'Jahren als Taugenichtse in Banden über die<lb/>
Aecker trotteten, haben ihre Namen für immer mit den ruhmvollsten Erinner¬<lb/>
ungen der Nation, mit den höchsten Leistungen in Kunst und Wissenschaft ver¬<lb/>
bunden. Nach und nach haben unsre Junker besser gelernt, um ihre Wirth¬<lb/>
schaft zu sorgen. ihre Pferde sind nach Engländern gezüchtet, der Scheffel<lb/>
Getreide gilt das Doppelte, eine Kuh drei mal. die Wolle ihrer Schafe drei<lb/>
bis vier mal so viel, als vor zwei hundert Jahren. Die hiesigen Bauern<lb/>
sind trotz allen Protestationen und Drohungen des Adels freie Leute gewor¬<lb/>
den, und dadurch ist wieder der Werth auch der adligen Güter um das Dop¬<lb/>
pelte gestiegen. Endlich hat sich gar die Productionskraft der meisten Güter<lb/>
verdreifacht, bei vielen verzehnfacht, seit der Bürger seine Wissenschaft, Mecha¬<lb/>
nik, Arbeitskraft auch auf die Ackerscholle übertrug. Auch die Unordentlichen<lb/>
unter ihnen sind durch die Pfandbriefsysteme der Landschaften, durch zahlreiche<lb/>
Geschenke und Gnaden der Souveräne wenigstens mehrere Jahrzehnte langer<lb/>
conservirt worden, als ihre eigene Kraft sie erhalten hätte. Aber in den<lb/>
Schwächeren von ihnen ist noch heut etwas von den gemüthlichen Stimmungen<lb/>
der alten Feldläufcr zurück geblieben. Das neue Junkerthum. die häßliche<lb/>
Carricatur des adligen Wesens ist, wenn man genau zusieht, nichts weiter,<lb/>
als eine anspruchsvolle Fortsetzung der alten Krippenreiterei. Hinter Uniform<lb/>
und Ordenskreuz birgt sich nicht selten derselbe Haß gegen die Bildung ihrer<lb/>
Zeit, dieselben Vorurtheile, der gleiche tölpelhafte Hochmuth, eine ähnliche<lb/>
groteske Verehrung ihrer Privilegien und Familienrechte und hinter besserer<lb/>
Form derselbe rohe Egoismus gegenüber dem Gemeinwesen. Brutal, wo sie<lb/>
zu imponiren meinen, feige vor einer stärkern Gewalt, unterthänig, wo sie zu<lb/>
gewinnen hoffen, noch da eigennützig, wo sie am Loyalsten empfinden, be¬<lb/>
trachten nicht wenige unter ihnen noch immer den Staat ähnlich, wie ihre<lb/>
Ahnen vor zwei hundert Jahren die gefüllte Vorathskammer eines Nachbars;<lb/>
aber stärker als vor zwei hundert Jahren erhebt sich grade jetzt gegen Solche<lb/><note type="byline"> G. F.</note> der Haß und die Verachtung des Volkes. </p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0038] den sei. wurde auch ihr eifriges Bestreben, den armen Adel zu heben. Es geschah seitdem viel, ihn vor dem Zurückfallen in die Masse des Volkes zu bervahren: auch nach dem Jahre 1806. Und nicht wenige Familien, deren Ahnen vor zwei hundert 'Jahren als Taugenichtse in Banden über die Aecker trotteten, haben ihre Namen für immer mit den ruhmvollsten Erinner¬ ungen der Nation, mit den höchsten Leistungen in Kunst und Wissenschaft ver¬ bunden. Nach und nach haben unsre Junker besser gelernt, um ihre Wirth¬ schaft zu sorgen. ihre Pferde sind nach Engländern gezüchtet, der Scheffel Getreide gilt das Doppelte, eine Kuh drei mal. die Wolle ihrer Schafe drei bis vier mal so viel, als vor zwei hundert Jahren. Die hiesigen Bauern sind trotz allen Protestationen und Drohungen des Adels freie Leute gewor¬ den, und dadurch ist wieder der Werth auch der adligen Güter um das Dop¬ pelte gestiegen. Endlich hat sich gar die Productionskraft der meisten Güter verdreifacht, bei vielen verzehnfacht, seit der Bürger seine Wissenschaft, Mecha¬ nik, Arbeitskraft auch auf die Ackerscholle übertrug. Auch die Unordentlichen unter ihnen sind durch die Pfandbriefsysteme der Landschaften, durch zahlreiche Geschenke und Gnaden der Souveräne wenigstens mehrere Jahrzehnte langer conservirt worden, als ihre eigene Kraft sie erhalten hätte. Aber in den Schwächeren von ihnen ist noch heut etwas von den gemüthlichen Stimmungen der alten Feldläufcr zurück geblieben. Das neue Junkerthum. die häßliche Carricatur des adligen Wesens ist, wenn man genau zusieht, nichts weiter, als eine anspruchsvolle Fortsetzung der alten Krippenreiterei. Hinter Uniform und Ordenskreuz birgt sich nicht selten derselbe Haß gegen die Bildung ihrer Zeit, dieselben Vorurtheile, der gleiche tölpelhafte Hochmuth, eine ähnliche groteske Verehrung ihrer Privilegien und Familienrechte und hinter besserer Form derselbe rohe Egoismus gegenüber dem Gemeinwesen. Brutal, wo sie zu imponiren meinen, feige vor einer stärkern Gewalt, unterthänig, wo sie zu gewinnen hoffen, noch da eigennützig, wo sie am Loyalsten empfinden, be¬ trachten nicht wenige unter ihnen noch immer den Staat ähnlich, wie ihre Ahnen vor zwei hundert Jahren die gefüllte Vorathskammer eines Nachbars; aber stärker als vor zwei hundert Jahren erhebt sich grade jetzt gegen Solche G. F. der Haß und die Verachtung des Volkes.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/38
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/38>, abgerufen am 22.05.2024.