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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

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Athen. Die Agoranomen waren mit einer Peitsche bewaffnet, die sie natür¬
lich nur gegen Sclaven und Fremde in Anwendung brachten: gegen Bürger
verhängten sie bei leichteren Vergehen Geldstrafen, bei schwereren traten sie
zu einem Gerichtshofe zusammen, dessen Amtsgebäude wahrscheinlich am
Markte lag. Die Maße und Gewichte wurden von besondern Beamten re-
gulirt und vielleicht geaicht, deren es unter dem Namen Metronomen fünf
in der Stadt und fünf im Piräus gab. Auch für den Getreidehandel, der
für das kornarme Land von besonderer Wichtigkeit war, bestand eine getrennte
Aufsichtsbehörde. Zehn Sitophylakes (Getreidewächter) ließen bei sich alles
importirte Getreide declariren, steuerten dem Kornwucher und sahen auf Be¬
folgung der Mehl- und Brodtaxen, sowie darauf, daß Niemand mehr als
50 Scheffel Getreide zum eigenen Vorrath ankaufte, was bei Todesstrafe ver¬
boten war. Uebrigens fehlte es schon damals nicht an Börsenkniffen zur
Täuschung und Uebervortheilung des Publikums, um ein Steigen der Preise
zu bewirken. "So gern sehen sie eure Kalamitäten," sagt der Redner Lysias
von den Speculanten, "daß sie dieselben theils früher als die Anderen er¬
kunden, theils selbst erdichten. Da sollen die Schiffe im Pontus Schiffbruch
gelitten haben oder die ausgesegelten von den Spartanern gekapert oder die
Handelsplätze blokirt sein, oder die Handelsverträge nächstens gelöst werden."
Doch sorgten für Beobachtung und Handhabung der Handelsgesetze, vorzüglich
auch in Beziehung auf den Getreidehandel, zehn besondere Handelscuratoren
mit eigenen Kanzleischreibern und Amtsdienern, welche im Piräus ihr Bureau
hatten. -- Die Ausdehnung der Polizeigewalt über die Sitten war bekannt¬
lich am größten in Sparta, wo die allmächtigen Ephoren die gesammte
öffentliche Zucht wahrten. So wurde, um hier nur die auffallendsten Bei¬
spiele hervorzuheben, ein gewisser Naukleides, der durch Unterlassung der kör¬
perlichen Uebungen und durch Wohlleben eine in Sparta anstößige Wohlbe-
leibtheit erzielt hatte, mit Ausweisung bedroht, wenn er nicht seine Körperfülle
auf das gehörige Maß reduciren würde. Der König Archidamus bekam
einen Verweis, weil er eine kleine und häßliche Frau genommen hatte, die
nach der Meinung der Ephoren nur die Mutter von Königlein werden könnte.
Der Musiker Terpander aus Lesbos wurde bestraft, da er auf seine Leier
eine Saite mehr als gewöhnlich gespannt hatte und dadurch von der alten
und strengen Einfachheit der Musik abgewichen war. Die Frauen durften
weder Gold noch gestickte Kleider tragen, noch langes Haar. Ja sogar von
Lebensmitteln war es nicht unbedingt erlaubt "zu kaufen, was und wieviel
Jeder wollte, und nicht einmal den Bart abzuscheeren oder wachsen zu lassen
soll Lykurg der Willkür überlassen haben. Fremde, die auf irgend eine
Weise einen Übeln Einfluß aus Gebräuche und Sitten zu haben schienen,
wurden sofort ausgewiesen. In Athen stand die Sitten- und Luxuspolizei


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Athen. Die Agoranomen waren mit einer Peitsche bewaffnet, die sie natür¬
lich nur gegen Sclaven und Fremde in Anwendung brachten: gegen Bürger
verhängten sie bei leichteren Vergehen Geldstrafen, bei schwereren traten sie
zu einem Gerichtshofe zusammen, dessen Amtsgebäude wahrscheinlich am
Markte lag. Die Maße und Gewichte wurden von besondern Beamten re-
gulirt und vielleicht geaicht, deren es unter dem Namen Metronomen fünf
in der Stadt und fünf im Piräus gab. Auch für den Getreidehandel, der
für das kornarme Land von besonderer Wichtigkeit war, bestand eine getrennte
Aufsichtsbehörde. Zehn Sitophylakes (Getreidewächter) ließen bei sich alles
importirte Getreide declariren, steuerten dem Kornwucher und sahen auf Be¬
folgung der Mehl- und Brodtaxen, sowie darauf, daß Niemand mehr als
50 Scheffel Getreide zum eigenen Vorrath ankaufte, was bei Todesstrafe ver¬
boten war. Uebrigens fehlte es schon damals nicht an Börsenkniffen zur
Täuschung und Uebervortheilung des Publikums, um ein Steigen der Preise
zu bewirken. „So gern sehen sie eure Kalamitäten," sagt der Redner Lysias
von den Speculanten, „daß sie dieselben theils früher als die Anderen er¬
kunden, theils selbst erdichten. Da sollen die Schiffe im Pontus Schiffbruch
gelitten haben oder die ausgesegelten von den Spartanern gekapert oder die
Handelsplätze blokirt sein, oder die Handelsverträge nächstens gelöst werden."
Doch sorgten für Beobachtung und Handhabung der Handelsgesetze, vorzüglich
auch in Beziehung auf den Getreidehandel, zehn besondere Handelscuratoren
mit eigenen Kanzleischreibern und Amtsdienern, welche im Piräus ihr Bureau
hatten. — Die Ausdehnung der Polizeigewalt über die Sitten war bekannt¬
lich am größten in Sparta, wo die allmächtigen Ephoren die gesammte
öffentliche Zucht wahrten. So wurde, um hier nur die auffallendsten Bei¬
spiele hervorzuheben, ein gewisser Naukleides, der durch Unterlassung der kör¬
perlichen Uebungen und durch Wohlleben eine in Sparta anstößige Wohlbe-
leibtheit erzielt hatte, mit Ausweisung bedroht, wenn er nicht seine Körperfülle
auf das gehörige Maß reduciren würde. Der König Archidamus bekam
einen Verweis, weil er eine kleine und häßliche Frau genommen hatte, die
nach der Meinung der Ephoren nur die Mutter von Königlein werden könnte.
Der Musiker Terpander aus Lesbos wurde bestraft, da er auf seine Leier
eine Saite mehr als gewöhnlich gespannt hatte und dadurch von der alten
und strengen Einfachheit der Musik abgewichen war. Die Frauen durften
weder Gold noch gestickte Kleider tragen, noch langes Haar. Ja sogar von
Lebensmitteln war es nicht unbedingt erlaubt «zu kaufen, was und wieviel
Jeder wollte, und nicht einmal den Bart abzuscheeren oder wachsen zu lassen
soll Lykurg der Willkür überlassen haben. Fremde, die auf irgend eine
Weise einen Übeln Einfluß aus Gebräuche und Sitten zu haben schienen,
wurden sofort ausgewiesen. In Athen stand die Sitten- und Luxuspolizei


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[0375] Athen. Die Agoranomen waren mit einer Peitsche bewaffnet, die sie natür¬ lich nur gegen Sclaven und Fremde in Anwendung brachten: gegen Bürger verhängten sie bei leichteren Vergehen Geldstrafen, bei schwereren traten sie zu einem Gerichtshofe zusammen, dessen Amtsgebäude wahrscheinlich am Markte lag. Die Maße und Gewichte wurden von besondern Beamten re- gulirt und vielleicht geaicht, deren es unter dem Namen Metronomen fünf in der Stadt und fünf im Piräus gab. Auch für den Getreidehandel, der für das kornarme Land von besonderer Wichtigkeit war, bestand eine getrennte Aufsichtsbehörde. Zehn Sitophylakes (Getreidewächter) ließen bei sich alles importirte Getreide declariren, steuerten dem Kornwucher und sahen auf Be¬ folgung der Mehl- und Brodtaxen, sowie darauf, daß Niemand mehr als 50 Scheffel Getreide zum eigenen Vorrath ankaufte, was bei Todesstrafe ver¬ boten war. Uebrigens fehlte es schon damals nicht an Börsenkniffen zur Täuschung und Uebervortheilung des Publikums, um ein Steigen der Preise zu bewirken. „So gern sehen sie eure Kalamitäten," sagt der Redner Lysias von den Speculanten, „daß sie dieselben theils früher als die Anderen er¬ kunden, theils selbst erdichten. Da sollen die Schiffe im Pontus Schiffbruch gelitten haben oder die ausgesegelten von den Spartanern gekapert oder die Handelsplätze blokirt sein, oder die Handelsverträge nächstens gelöst werden." Doch sorgten für Beobachtung und Handhabung der Handelsgesetze, vorzüglich auch in Beziehung auf den Getreidehandel, zehn besondere Handelscuratoren mit eigenen Kanzleischreibern und Amtsdienern, welche im Piräus ihr Bureau hatten. — Die Ausdehnung der Polizeigewalt über die Sitten war bekannt¬ lich am größten in Sparta, wo die allmächtigen Ephoren die gesammte öffentliche Zucht wahrten. So wurde, um hier nur die auffallendsten Bei¬ spiele hervorzuheben, ein gewisser Naukleides, der durch Unterlassung der kör¬ perlichen Uebungen und durch Wohlleben eine in Sparta anstößige Wohlbe- leibtheit erzielt hatte, mit Ausweisung bedroht, wenn er nicht seine Körperfülle auf das gehörige Maß reduciren würde. Der König Archidamus bekam einen Verweis, weil er eine kleine und häßliche Frau genommen hatte, die nach der Meinung der Ephoren nur die Mutter von Königlein werden könnte. Der Musiker Terpander aus Lesbos wurde bestraft, da er auf seine Leier eine Saite mehr als gewöhnlich gespannt hatte und dadurch von der alten und strengen Einfachheit der Musik abgewichen war. Die Frauen durften weder Gold noch gestickte Kleider tragen, noch langes Haar. Ja sogar von Lebensmitteln war es nicht unbedingt erlaubt «zu kaufen, was und wieviel Jeder wollte, und nicht einmal den Bart abzuscheeren oder wachsen zu lassen soll Lykurg der Willkür überlassen haben. Fremde, die auf irgend eine Weise einen Übeln Einfluß aus Gebräuche und Sitten zu haben schienen, wurden sofort ausgewiesen. In Athen stand die Sitten- und Luxuspolizei 46 *

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/375>, abgerufen am 14.06.2024.